Reni. Lise Gast

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Reni - Lise Gast


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beide keine Bademützen und deshalb die Zöpfe hochgebunden gehabt, nun aber hingen sie wie nasse Schlangen um Hals und Schultern.

      „Eklig — wollen wir sie uns nicht abschneiden?“ fragte Reni und lachte über Erikas Entsetzen. Dann verließen sie den Schauplatz ihrer Tätigkeit und schwammen zu Fräulein Sonneson hinunter.

      „Wir wollen doch mal unters Wehr gehen“, schlug Reni vor, nachdem sie sich eine Zeitlang im Gras und in der Sonne geaalt hatten, „das denke ich mir herrlich, wenn es so auf einen runterhaut!“

      „Daß euch aber nichts passiert — ich geh lieber mit!“ sagte Fräulein Sonneson und stand auf. Sie kletterten über den Hang hinunter, dorthin, wo das Wehr, das vielleicht drei Meter hoch herunterstürzte, auf die Steine aufschlug. Es riß da unten auch noch gewaltig, und die Steine waren naß und glitschig von Algen.

      „Du kommst nicht bis ran!“ prophezeite Erika, die neben Reni stehengeblieben war, aber Reni versuchte es immer wieder. Sie stand in dem fußhohen, reißenden Wasser, das ihr bis an die Knie und manchmal bis an die Hüften hinaufschäumte, und schob sich immer näher heran, und dann — Erika schrie laut auf — verschwand sie auf einmal hinter dem dicken, gelblichen Wasservorhang. Sie war bis hineingekommen, nein, diese Reni!

      Ein paarmal kam ihre Hand hervor, die aber von dem herabstürzenden Wasser sofort wieder heruntergerissen wurde, manchmal da, manchmal dort. Man mußte hinter dem Wehr hin und hergehen können, es war für die Zuschauer richtig spannend, wo sie nun auftauchen würde. Dann kam ein Fuß zutage — und dann auf einmal die ganze Reni, sie kam geschossen, auf dem Hosenboden sitzend, rutschte aus dem Wehr heraus, drehte sich um sich selber, fing sich wieder, rutschte von neuem weiter und kam dann lachend und triefend angekrochen, noch ganz taumelig und benommen. Erika sah ihr gespannt entgegen.

      „Erzähl doch mal, kann man dahinter stehen?“

      „Na, aber! Gut! Es ist wie hinter einem Vorhang, aber einen Krach macht das Wasser!“

      „Ich will auch mal dahinter!“ zappelte Erika. „Komm, wir gehen miteinander!“

      „Aber Kind, wenn dir was passiert!“

      „Was soll mir denn passieren, Fräulein Sonneson? Reni ist doch auch nichts passiert, und sie ist ganzbeinig wieder rausgekommen, und meine Zöpfe sind sowieso schon naß. Oder ist da drin die Wassernixe?“ fragt Erika lachend, wenn auch trotz allem etwas ängstlich. Reni hatte sie schon an der Hand gepackt.

      „Weder Wassernixe noch Wassermann, nur Wasser!“

      Sie schoben sich, nebeneinander und fest angefaßt, wieder an das Wehr heran. Fräulein Sonneson sah ihnen mit ihren guten braunen Augen besorgt nach, mochte es aber nicht direkt verbieten. „Vorsicht!“ rief sie immer wieder. „Jaja!“ antwortete Reni dann, ohne den Kopf zu wenden, für sie beide. Sie mußten genau aufpassen jetzt.

      Erika klammerte sich fest an Renis Hand und rutschte ein paarmal aus, aber sie blieben doch aufrecht. Immer näher kamen sie dem herunterstürzenden Schwall.

      „Keine Angst! Einfach durch und rein!“ schrie Reni Erika durch das Tosen zu, und riß sie mit sich.

      Erika war wie betäubt, man mußte schnell durch den Vorhang hindurch und dahinter, sie aber war nur hindurchgegangen und stand nun einen Augenblick, während ihr das Wasser auf Kopf und Schultern haute ...

      „Du bist verrückt, hat’s weh getan?“ schrie Reni ihr ins Ohr. Erika schüttelte den Kopf, sie standen miteinander in der gelblichen, nassen Dämmerung, die hinter dem Wasservorhang herrschte, und es lief ihnen an den Gesichtern und Haaren herunter. Das ganze Wasser stürzte nämlich nicht im Bogen herab, sondern viel lief und spritzte auch daneben — es war jedenfalls ganz komisch und völlig neu hier. Wenn man sprach, bekam man es in den Mund, und in die Augen lief es einem auch dauernd. Reni steckte wieder die Faust in den Vorhang, da schlug ihr eine Sturzwelle an den Bauch — sie zog die Hand schnell wieder fort.

      „Und wie kommt man wieder raus?“ fragte Erika schreiend. Reni schrie zurück: „Vorhin bin ich gerutscht, aber wir können auch im Stehen, wenn wir uns einander festhalten ...“

      „Bloß noch einen Augenblick!“ Erika wollte noch nicht, teils, weil es ihr hier zu gut gefiel, teils, weil sie doch ein bißchen Angst hatte vor der Rückreise. Reni lachte und machte die Augen zu und den Mund auf, ließ das Wasser hinein und über die Zunge laufen. „Jetzt sind wir Wassernixen — ganz aus Wasser!“

      „Los, wollen wir jetzt?“ fragte sie nach einer Weile. Erika klammerte sich fest an sie an, hier hinten war keine Strömung, da hatte sie allein und ganz sicher gestanden. Aber jetzt war es besser, sie vertraute sich der Freundin an ...

      „Achtung jetzt!“ schrie Reni, sie fühlten beide das Wasser auf sich einprasseln, Reni schoß ein bißchen zu schnell heraus, zog Erika nach, verlor die Balance und wackelte, während sie nebeneinander auf den glatten Steinen entlangrutschten, bemüht, das Gleichgewicht zu halten. Einen Augenblick schien es, als gelänge es ihnen, aufrecht zu bleiben, aber man hatte auf den verflixt glatten Steinen keinen Halt. Erst fiel Reni, sie wollte Erika nicht mitreißen und sie deshalb loslassen, aber Erika klammerte sich ganz fest an sie an und wurde dadurch mitgerissen. Reni fiel leicht und seitlich, es war mehr ein Hinrutschen als ein Stürzen. Erika dagegen plumpste schwer und ungebremst auf den einen Arm. Sie schrien beide. Fräulein Sonneson am Ufer schrie auch.

      Reni krabbelte sofort auf allen vieren zu Erika und wollte ihr aufhelfen, aber die winkte mit dem einen Arm ab.

      „Es ist auch besser, wir bleiben unten, wir fallen sonst doch bloß wieder hin!“ lachte Reni und spuckte Wasser aus, „komm, dort rüber. So, jetzt sind wir gleich gerettet aus den Niagarafällen!“

      Erika kam nach. Reni fiel es nicht weiter auf, daß sie still war und nicht mitsprudelte — so wie sie, die das Ganze sofort Fräulein Sonneson schilderte —; erst nach einer Weile merkte sie, daß Erika ganz still saß.

      „Hast du dir wehgetan?“ fragte sie mitleidig.

      „Ach, bissel. Am Arm“, sagte Erika, die sich nichts anmerken lassen wollte. Fräulein Sonneson konnte es nicht lassen, ein „Siehst du!“ dazuzugeben, aber sonst war sie nett und freundlich wie immer. „Wollt ihr euch nicht anziehen?“ fragte sie.

      Als sie zu dem Platz, wo die Sachen lagen, zurückgingen, merkte auch Reni, daß es Erika nicht gutgehen mußte.

      „Wo tut’s denn weh?“ fragte sie leise. Erika schüttelte den Kopf. Aber beim Abtrocknen biß sie die Zähne zusammen und gestand endlich kleinlaut, sie könne nicht allein in ihr Kleid. Der Arm täte so weh, sie könne ihn nicht heben.

      „Welcher?“ fragte Fräulein Sonneson ahnungsvoll. Der rechte! Reni trocknete ihr die Haare, sie verstand sich darauf, die Zöpfe ins Frottiertuch zu wickeln und dann auszuwringen wie ein Wäschestück — und zog ihr hilfsbereit das Dirndlkleid über den Kopf.

      „Es wird schon wieder besser!“

      Es wurde aber immer schlimmer. Fräulein Sonneson hängte den Arm in eine Schlinge, die sie aus einem Halstuch machte, und dann gingen sie langsam und kleinlaut über die Wiesen nach Hause.

      Erika war sehr tapfer und vernünftig, aber sie hatte ziemliche Schmerzen. Frau Niethammer erschrak sehr, als sie sie so kommen sah, und rief gleich den Doktor an. Er kam — es war eine scheußliche Wartezeit. Und dann stellte er, wenn auch zum Glück keinen Bruch, so doch ein angebrochenes Schlüsselbein fest.

      „Der Arm muß ruhig liegen, weiter ist nichts nötig“, sagte er. „Na, Mädel, ich gratuliere, daß es der rechte ist. Da brauchst du keine Schularbeiten zu machen!“

      Erika lächelte blaß. Ihr war Mutters entsetztes Gesicht viel schlimmer als die Schmerzen — die zu zeigen, war sie ein viel zu tapferer Kerl. Aber Mutters verzweifeltes Gesicht war ihr furchtbar — als hätte sie ihr etwas angetan, und mit Absicht! Als Frau Niethammer immer noch weiter jammerte, sagte der Doktor schließlich freundlich, aber doch ein bißchen barsch und verweisend:

      „Frau Niethammer,


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