Diese heiß ersehnten Jahre - Liebesroman. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.Seine Bakken waren von Kälte und Wind gerötet, und seine braunen Augen blitzten vor Lebenslust. Er hatte eine wollene rote Zipfelmütze tief in die Stirn gezogen. Über seiner linken Schulter hingen die aneinandergebundenen Schlittschuhstiefel.
Bei seinem Anblick wurde es Martina warm ums Herz. »Hei, Knüsel«, sagte sie und mußte der Versuchung widerstehen, ihn in die Arme zu ziehen; Stefan wurde im Juni acht Jahre alt und hatte es in letzter Zeit nicht mehr gern, abgeküßt zu werden.
»Hunger hab’ ich!«
»Wir essen, sobald Vati nach Hause kommt.«
»Kommt er denn?«
Martina, die gerade die Haustür aufschloß, sah überrascht hoch. »Wie meinst du das?«
Stefan hielt ihrem Blick ohne Scheu stand. »Na, ihr habt euch doch gestern gezankt.«
»Stimmt schon. Aber das wird ihn doch nicht daran hindern, zum Essen nach Hause zu kommen.« Sie schob ihren kleinen Sohn in den Hausflur.
»Claudia sagt, daß ihr euch furchtbar böse seid.«
Martina erkannte, daß er ihr das Stichwort gab, die verfahrene Ehesituation zu erklären. Aber sie schreckte davor zurück, wußte nicht, ob sie Stefan erzählen sollte und erzählen konnte, was wirklich geschehen war.
So behauptete sie und kam sich selber recht erbärmlich vor: »Claudia redet viel daher. Wo steckt sie eigentlich? War sie auch beim Schlittschuhlaufen?«
»Claudia doch nicht!« Stefan ließ sich ohne weiteres ablenken. »Die ist bei ’ner Freundin oder im Alten Rathaus in der Bibliothek.«
»Na, sicher kommt sie auch bald.« Martina schloß die Wohnungstür auf. »Zieh deinen Mantel aus und wasch dir die Hände.« Sie nahm das Kopftuch ab und hängte den Kamelhaarmantel sorgfältig über einen Kleiderbügel.
Stefans Worte hatten sie nachdenklich gemacht. Helmut und sie hatten sich gestern nur mühsam den Kindern gegenüber zusammengenommen und anschließend die halbe Nacht gestritten. Sie hatte ihm furchtbare Dinge an den Kopf geworfen. Danach hatte sie auf der Couch im Wohnzimmer geschlafen.
War es möglich, daß er das Ende ihrer Ehe akzeptierte und bereits ausgezogen war?
Martina trat in das Schlafzimmer. Alles war noch, wie sie es am Morgen verlassen hatte. Sein Bett war gemacht. Sie öffnete den Kleiderschrank und sah mit einem Blick, daß seine Anzüge noch da waren. Sie hätte es sich denken können. So leicht kam sie nicht davon.
Einen Augenblick lang stand sie nachdenklich, hörte, wie Stefan nebenan die Wasserspülung zog, und überlegte, wie es praktisch weitergehen sollte. Sie hatte nicht sehr gut auf der schmalen Couch geschlafen, aber wenn sie Helmut aus dem ehelichen Schlafzimmer ausquartierte, behielt sie zwar ihr bequemes Bett, hatte aber keinen Aufenthaltsraum mehr in der Wohnung, die ohnehin längst zu klein geworden war. Sie hatten sie nur behalten, weil sie so zentral lag. Außer dem Schlafzimmer gab es nur noch den Wohnraum und das Kinderzimmer, in dem Claudia und Stefan, eigentlich schon zu groß dazu, miteinander untergebracht waren. In der Einbauküche, die kaum mehr als eine Kochnische war, konnte man sich kaum um die eigene Achse drehen; sie hatte nicht einmal ein Fenster, sondern nur eine Entlüftung.
Nein, es war besser, sie gewöhnte sich an die Couch. Bis zur Scheidung mußte es gehen. Martina nahm ihr Bettzeug über den Arm, trug es ins Wohnzimmer und bezog die Couch. Dabei fiel ihr ein, daß sie in Zukunft nachts das Fenster nicht offenlassen konnte, weil das Wohnzimmer nach vorne lag. Die Neustraße war, obwohl Einbahnstraße, viel befahren und entsprechend laut. Auch damit mußte sie sich abfinden.
Martina kniete sich vor die Schrankwand, das neueste Möbelstück, und begann umzuräumen, um Platz für ihre Wäsche und Schuhe zu bekommen.
»Machst du noch nichts zu essen?« fragte Stefan von der Tür her.
»Du wirst schon nicht verhungern.«
»Wer soll denn hier schlafen?«
»Ich.« Martina fühlte Stefans nachdenkliche Augen auf sich gerichtet und rang sich nun doch zu einer wenn auch sehr fadenscheinigen Erklärung durch. »Vati und ich, wir gehen uns momentan ziemlich auf die Nerven, weißt du, und da wollen wir lieber jeder für sich schlafen.«
»Auf einmal?«
»Du wünschst dir doch auch schon lange ein eigenes Zimmer.«
»Das ist doch was anderes.«
Martina richtete sich auf. »So anders auch nicht.« Sie trat auf Stefan zu und legte ihm sanft die Hand in den Nacken. »Erwachsene sind nicht so anders als Kinder. Sie ärgern sich auch mal gegenseitig.«
»Ach so! Hat Vati dich geärgert?«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Und du bist ihm jetzt böse?«
»Ja. Aber hör jetzt auf, mir Fragen zu stellen. Hilf mir lieber.« Stefan ließ sich willig einspannen, und als Claudia eine halbe Stunde später nach Hause kam, war das Werk getan; so viel von Martinas persönlicher Habe wie irgend möglich war in zwei Abteilen der Schrankwand verstaut, an der auch, aus Mangel an anderem Platz, einige Kleider, Röcke und Kostüme schaukelten.
Claudia sah es sofort. Ohne Gruß blieb sie auf der Schwelle stehen und fragte: »Was ist das?« Sie war ein dünnes Mädchen von neun Jahren, groß für ihr Alter und blauäugig; das lange blonde Haar trug sie in einem Pferdeschwanz.
»Ich bin umgezogen«, erwiderte Martina.
»Warum?«
»Weil Vati und Mutti sich gestritten haben«, erklärte Stefan in überlegenem Ton, »das weißt du doch selber ganz genau. Also frag nicht so dumm.«
Claudia stiegen Tränen in die Augen. »Ist das wahr, Mutti?«
»Ich denke, wir waren gestern nacht laut genug.«
»Ihr habt ganz schön geschrien«, bestätigte Stefan.
»Aber . . . deshalb brauchst du doch nicht im Wohnzimmer zu schlafen!«
»Es ist besser so, Claudia, glaub mir. Wenn man wütend auf jemanden ist, dann mag man nicht neben ihm schlafen.«
Claudia stand steif wie ein Stock. »Du hast heute nacht geschrien, du wirst dich scheiden lassen.«
»Das hast du gehört?!« Martina errötete vor Schreck bei dem Gedanken, was die Kinder noch alles aufgeschnappt haben könnten.
»Das hast du aber nur so gesagt, weil du wütend warst?«
»Mutti ist immer noch wütend«, ließ sich Stefan vernehmen.
»Ja, das ist wahr«, bestätigte Martina.
»Aber du willst dich doch nicht wirklich scheiden lassen?«
»Vielleicht doch, Claudia«, sagte Martina vorsichtig.
»Nein! Das kannst du nicht tun!«
»Doch kann sie, wenn Vati sie geärgert hat!«
Claudia fuhr herum und zischte ihren Bruder an. »Halt du doch die Klappe, was verstehst du schon davon?!«
»Zank nicht mit Stefan«, sagte Martina. »Er hat dir nichts getan.«
»Aber, Mutti, Mutti, das kannst du doch nicht tun!« Claudia lief zu Martina hin und klammerte sich an ihren Arm.
»Ihr gehört doch zusammen! Wir alle gehören zusammen!«
Martina löste sich aus dem Griff ihrer Tochter. »Wir werden ausführlich darüber reden, wenn du nicht mehr so aufgeregt bist. Wasch dir das Gesicht ab und kämm dir das Haar. Wir alle müssen uns jetzt sehr zusammennehmen.«
»Mutti, bitte . . . «
Martina verstand die Aufregung ihrer Tochter, und dennoch konnte sie nichts daran ändern, daß sie nur mit nervöser Gereiztheit reagierte. »Bitte, geh jetzt«, sagte sie, und es klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte.
Claudia