Kinder der Zeit. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.ganze Pastete . . .“
„Wie kam Hentsch dazu, in Mareuil . . .?“
„Papa! . . . Es gibt Generalstreik!“
Die Feldherrnaugen, gross und klar, gewohnt, Länder und Heere zu übersehen, hoben sich abwehrend zu der Tochter.
„Bitte, verschone mich, Kind! . . . Meine Herren, ich frage Sie: Wann und wo in der Weltgeschichte ist es erhört, dass ein Oberstleutnant die Entscheidungsschlacht eines Jahrhunderts in Europa leitete?“
Asta ging auf den Fussspitzen, um den Kriegsrat nicht zu stören, und steckte den Kopf in das Schlafzimmer ihrer Mutter. Exzellenz von Oderwolff lass da mit ihrer Freundin, Frau von Schnickel, und erzählte:
„Nein, meine Liebste: wir wollen ein Landhaus nur auf kurze Zeit mieten . . . So bei Naumburg etwa — in hübscher Gegend — mit nettem Verkehr. Wenn alles wieder in der alten Ordnung ist, kann man dann immer wieder nach Berlin zurück.“
„Ja. So wie jetzt kann es ja nicht bleiben!“ pflichtete Exzellenz von Schnickel bei. Asta Oberwolff schloss den Türspalt. Im offenen Kämmerchen nebenan übermurmelte die Jüngste des Hauses, das zernagte Ende des Federhalters zwischen den kleinen, weissen Zähnen, ihren Aufsatz über den Geist der Befreiungskriege.
„Eine tiefe sittliche Erneuerung ging durch das daniedergeworfene Volk. Alle Stände wetteiferten in Entsagung und Vaterlandsliebe. Heldentugenden wurden wieder wach.“
„Schön so, Effi!“
„Nicht wahr? Das geht dem Kruse ein wie Sirup!“
„Dem Klassenlehrer?“
„Ja. Der ist einfach süss. Den freut so was diebisch. Da schaut er einen dann so herzlich übers Heft hin an. So treu, so deutsch. Er ist restlos einzig . . . Also: ,Entsagung war das Gebot der Zeit. Auf alle Eitelkeit des Lebens hiess es verzichten.’ Du, Asta — es ist doch eigentlich gemein, dass man erst mit achtzehn in den Kintopp darf! Wenn nun die Jo da plötzlich das Flimmern kriegt — und ich steh’ draussen . . .“
„Effi — mit dem Geist der Befreiungskriege ist unsere eigene Zeit gemeint!“
„Die Thilde — in der Klasse — sagt: ,Da lachen ja die Hühner! Die Alten, die haben alles gehabt, und nun sollen wir die Dummen sein und nichts vom Leben haben!’ — sagt die Thilde! . . . Du — wenn man den Kruse fest ansieht, wird er rot . . .“
„Ihr könnt einen verrückt machen — alle zusammen!“ Herrgott, ja . . . Es wurde schon dunkel. Für sechs Menschen zugleich denken! Keiner half. Das Geld in den Schub! Kerze auf den Vorplatz! Hahn in der Backewanne auf! Aber Trinkwasser? „Minna — holen Sie ’mal Wasser — drüben am Brunnen, wo früher der Droschkenhalteplatz war!“
„In der Dusterkeit? Nee!“
„Ich komm’ mit!“ Beide, Fräulein und Mädchen, stiefelten, jede in einer Hand einen Krug, auf die Strasse . . . „Minna! Stellen Sie sich bloss nicht so etepetete an! Dann pump’ ich schon lieber höchsteigenhändig!“ Die Hofdame a. D. schwang rüstig den Schwengel. Schleppte die Wasserlast mit ins Haus zurück. Alwine Zwicknagel, die Portierstochter, stand rein zufällig unter dem Tor und lächelte maliziös.
„Guten Abend, Fräulein von Oberwolff!“
„’n Abend, liebes Fräulein!“ sagte Asta frisch und atemlos und lachte heiter. Nur um Gottes willen nicht so tun, als sei Wassertragen etwas Besonderes. „Was ist denn mit dem Lift los?“
„Geht nicht! Vater streikt!“
„Na — denn die Treppe ’rauf! Was geschafft werden muss, wird geschafft! Amüsiert Sie das so furchtbar, Fräulein Zwicknagel? Scheuen Sie sich denn vor einer ehrlichen Arbeit? Hab’ ich noch nicht bemerkt! Sie sind doch immer auf den Beinen!“
„Wird’ ich Ihnen jleich beweisen!“ sagte die Kleine, in plötzlicher Berliner Entschlossenheit und fasste mit Asta zusammen den Henkel der Kanne. Kameradschaftlich, ein paarmal verpustend, stiegen sie nach oben, das maulende Mädchen hinterher. „Danke schön, liebes Fräulein Zwicknagel!“ Portiers- und Generalstochter schüttelten sich lachend die nassen Hände. Im Flur schlug sich Asta mit der flachen Hand vor die Stirn.
„Der Herd ist ja auch kalt. Kein Tee. Nichts da. Minna, ich hol’ noch rasch ’ne Büchse norwegischen Fischpudding aus dem Schuhladen! Neulich hab’ ich doch irgendwo ’mal Wein gesehen . . . richtig . . . in dem Seifengeschäft . . . wo die billigen Klubsessel standen . . .“
Sie tappte, zurückkehrend, durch den nun stockfinsteren Vorraum, tastete mit der Hand nach dem Kleiderhaken. Leer. Die Besucher weg. Aber ein neu dahingehängter Offizierssäbel schaukelte und klirrte. Ach so! Na ja. Das war nicht für sie, das galt Jo . . .
In dem kalten, riesigen Berliner Zimmer zitterte der Lichtpunkt eines Kerzenstümpfchens. Um das Glühwürmchen herum sass die Familie Oderwolff, eingewickelt und eingemummt, wie eine Gesellschaft von Nordpolfahrern in Winternacht. Frau von Oderwolff spann ein Garn aus alten Zeiten: „Die gute Zwickel — die hättet ihr damals sehen sollen . . . Wann war das nur? . . . Noch ehe die dreizehnten Husaren von Frankfurt nach Diedenhofen kamen. Da stand ich mit ihr in Magdeburg zusammen. Die Regimentsquadrille nach dem Kaisermanöver . . . Sechzehn Paare . . . In friderizianischer Uniform . . . Wir Damen gepudert und im Dreispitz . . .“
„Guten Tag, Herr von Nemerow!“ sagte Asta dazwischen. Die Töchter hörten kaum noch zu, wenn Mama ihre Garnisonerinnerungen aus der Steinzeit auskramte. Sie reichte einem jungen, sich erhebenden feldgrauen Hauptmann die Hand, über die er ritterlich seinen schnurrbärtigen energischen Soldatenkopf zum Kuss neigte. Das Stearinlicht überflackerte in seinem sich straff und elastisch aufrichtenden Umriss ein Bild der alten Armee. Er knipste seine Taschenlaterne an, um Jo nach hinten zu geleiten und ihr beim Heranholen des Tischgeschirrs zu leuchten.
„Ein schönes Paar . . .“, sprach die Exzellenz, wohlgefällig hinterher, in mütterlichen Gedanken. Ihre Jüngste stützte den Kopf in die Kinderhand und den Ellbogen auf die Tischplatte.
„Soviel Geld gibt’s gar nicht, wie er nicht hat“, verkündete sie. „Und die Jo ’nen Groschen weniger!“
„Effi — wo schnappst du denn diese entsetzlichen Redensarten auf?“
„Fliegen ’rum wie die Motten, Mama!“
„Und lümmle dich nicht so hin! Manieren wie ein Strassenjunge! Papa . . . Die Kinder verwildern in einer Art . . .“
Der General hörte nicht zu. Er strich sich mit der Hand über die in Gramfurchen gealterte Stirn und musterte seine Aelteste:
,,Wein, Asta? . . . Was soll denn das Liebesmahl?“
„Unser Biedermeier ist fort mit Schaden, Papa!“
„Mit Schaden? Ich hab’ doch strengstens befohlen: Nicht unter zehntausend! Anständig wollen wir in Geschäften sein. Aber —“
„Na — dann war ich unanständig!“ Asta half Jo den Tisch decken. „Wieviel? Sag’ ich nicht! Morgen auf die Bank!“
„Ich habe gestern auch verkauft!“ versetzte plötzlich Joachim von Nemerow. Eine allgemeine Bewegung.
„Wasser-Bärschwitz?“
Der junge Hauptmann nickte.
„Oder eigentlich: der Gläubigerausschuss hat’s verkauft. Es gehörte ja kein Ziegel auf dem Dach mehr mir! Ich muss es nur der Form wegen nächste Woche übergeben.“
„Wer sind die Käufer?“
„. . . Schieber! Vater und zwei Söhne. Ja — zweihundert Jahre haben wir die olle Klitsche gehabt!“
„Da hätt’ ich aber doch um jeden Preis, lieber Nemerow . . .“
„Ich hab’s schon oft gesagt, Exzellenz: Mein Vater war ein eminent guter Landwirt und konnt’ es nicht mehr schaffen! Wie er dies Frühjahr — nachdem mein dritter Bruder gefallen war, den Schlaganfall bekam, da trat schon einen Tag