Kinder der Zeit. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Nur . . . Dazu der Gemeinenmantel und eine Feldmütze ohne Schirm . . .“
„Ich habe nicht die geringste Lust, als viermal verwundeter Offizier in der Heimat von eben eingekleideten Lausbuben gewaltsam meiner Abzeichen beraubt zu werden! In Berlin stürze ich mich kopfüber in Zivil!“ Er verschnürte seinen Rucksack und knöpfte den von Entlausungsdämpfen dünnen Soldatenmantel zu. „Machen Sie sich fertig, gnädiges Fräulein! Wir fahren ein!“
Der Vormittag des zehnten November war hell und trocken. Die Strassen des westlichen Berlin, wo sie den Zug verlassen hatten, lagen menschenleer in sonntäglicher Stille. Ferne Kirchenglocken brummten. Nirgends war etwas Ungewöhnliches. Nur einmal, wie ein Blutstropfen in einem friedlichen Gesicht, eine kleine rote Fahne über einem Hauseingang. Matrosenblau darunter. An den Litfasssäulen ein Anschlag des Kasernenrats der Elisabether. Dann wieder gassenweit Feiertagsfrieden.
„Ist das aber komisch . . .“, sagte Asta von Oderwolff, während sie nebeneinander auf dem Bürgersteig dahingingen. „Ich dachte, hier sieht’s aus wie Kraut und Rüben, und nun . . . Ach Gott . . . Sind die Leute am Ende wieder zur Vernunft gekommen? . . .“
„Ich glaube, sie machen eher eine Kunstpause. Aber immerhin haben wir Dusel, dass ich Sie auf einem ganz gemütlichen Sonntagsbummel nach Hause bringen kann . . .“
„Da, gleich um die Ecke, ist’s schon!“
Vor dem Tor der eleganten Mietkaserne streckte sie ihm dankend die Hand hin. Aber er wehrte.
„Nee — nee — die Ihrigen könnten abgereist sein . . . Nachher stehen Sie oben wieder da . . . allein auf weiter Flur! . . . Ich bin erst beruhigt, wenn ich Sie wirklich bei Ihren verehrten Herrn Eltern weiss!“
,,Von Oderwolff“ stand im zweiten Stock auf der Messingplatte neben dem Glockenknopf, auf den Asta drückte. Flüchtige Schritte liefen innen. Ein grosses, dunkles Auge spähte misstrauisch durch das Guckloch.
„Das ist meine Schwester!“ Fräulein von Oderwolff klatschte ungeduldig in die Hände. „Mach’ auf, ja! Herrgott — du Hasenfuss . . . ich bin’s!“
,,Also alles in Ordnung! Adieu!“ rief der Feldgraue durch das Rasseln der Sperrkette. Er schüttelte Asta schnell die Hand. Sie kam gar nicht dazu, ihm zu danken. Er war schon den Treppenabsatz hinab. Hörte oben die helle Damenstimme: „Asta! . . . Die Asta ist da! Papaaa, die Asta!“ Er lächelte vor sich hin, während er vor das Haustor trat. Dann bog er um die Ecke. Sein Gesicht wurde hart und finster.
II
Regentriefen über nassglitzernden Berliner Dächern . . . vereinzelte Schneeflocken im Wind . . . Klack! Durch den Nachmittagsnebel die Kugel eines Dachschützen, das Auffpritzen einer Pfütze. Ein paar Frauen wie gescheuchte Hühner um die Ecke: „Rasch, Schlögl! Da schiessen die Brüder schon wieder!“ Der Matsch auf dem menschenleeren Asphalt schleuderte Schlammgüsse hinter den Gummirädern einer nagelneuen Limousine. Der Herr innen trommelte mit dem Stock an die Vorderscheibe:
„Stopp, Mensch! Da ist ja Nummer siebzehn!“
Klack! Wieder irgendwo ziemlich weite Unsichtbar. Der grosse, breitschulterige junge Mann kletterte aufgeräumt aus dem Luxusauto, stand behäbig, in flatterndem Mantel, die Zigarre im Mund, das Blondbärtchen in dem blühenden, rosigen, runden Gesicht unternehmend aufgedreht. Er schüttelte missbilligend den Kopf mit dem schrägsitzenden, modischen Filzhut.
„Hier schmeissen sie wieder mit harten Gegenständen! Schlögl: Warum machen Sie so missvergnügte Naslöcher?“
„Ich hab’ von der Front noch die Näse voll von dat Jeknalle!“ murrte der Chauffeur. „Ick fahr’ nach Hause!“
„I wo! Hiergeblieben, alter Kronensohn . . .“
„Und in ’ner Stunde Jeneralstreik!“
„Jeht Sie doch nischt an! Stechen Sie sich man das Kraut da in die Visage!“ Der Herr bot seinem Chauffeur kameradschaftlich die Zigarrentasche. „So! . . . Nanu . . .?“
Klack! . . . In der Nähe.
„Der Betrieb ist gut!“ sagte der junge Mann gemütsruhig. Ein offenes Lastauto sauste heran. Stahlhelmgewimmel. Ein Stachel-Igel von Gewehrläufen. Wie Bullenbeisser vorn die M.G. Nuf von der Ecke: Wohin? Handbewegung: Strassenkampf im Norden! — Na — und wir hier? — Keine Bange! Ein halbes Dutzend Soldaten war vom Auto gesprungen und spähte schussbereit von den Bürgersteigen nach den Mansardenfenstern. Mäuschenstille plötzlich dort oben überall . . .
„Die sind vom Freikorps Windeck!“ sagte der Chauffeur verdrossen. Der grosse junge Herr lachte wohlgelaunt. Er rieb sich die nasskalten Hände. Er hatte an dem Haus geklingelt. Er summte im Warten: „Berlin — du bist ein Juwel!“ Er trat fröstelnd von einem Bein aufs andere. Drückte ungeduldig wieder auf den Knopf: „Na, endlich!“ Er trat ein. „Fräulein, Ihre Zeit möchť ich haben.“
Eine braune Cléofrisur unten am Boden, aus dem Fensterchen der Portierwohnung. Ein hübsches, berlinisch helles Mädchengesicht mit intelligenten braunen Augen. Eine scharfe Berliner Stimme:
„Wohin — der Herr?“
,,Wäsche auf’m Boden stehlen!“ sagte der Herr stehenbleibend und aufrichtig. „Tu ich immer in fremden Häusern! Vereidigter Flatterfahrer! Auf mich sind sie scharf in Moabit . . .“
Er kitzelte freundlich mit dem Stock nach unten in das Portierfenster.
„Kille! Kille! . . . Nur nicht gleich tückisch, Fräulein! Nu denkt sie nämlich: ,Oller Stiesel!’ Ja? Na — sehn Sie! Ich kenn’ die Menschen und die Mächens!“ Er musterte, breitbeinig dastehend, leutselig die hübsche Berliner Pflanze zu seinen Füssen: Onduliert, manikürt. Die Bluse noch Friedensseide. „Sagen Sie mal, Fräulein; Haben Sie denn nischt Besseres zu tun, als dazusitzen und die Strippe zu ziehn?“
„Ich vertrete bloss mal Muttern!“ sagte die junge Dame fühl von unten und zugleich sehr von oben herab. „Im übrigen haben wir jetzt den Freistaat — haben Sie vielleicht auch schon in der Zeitung gelesen? — Nich? Arbeit ist jetzt ’ne Ehre!“
„Dabei denkt sie sich nämlich: Schieber!“ Der grosse, junge Mann lachte herzlich. Er trug einen streng modernen, zimtbraunen Riegelulster. Im grünen Schlips einen unwahrscheinlichen Diamanten.
Die junge Dame hob nüchtern prüfend den braunen Scheitel zu seiner Länge über ihr.
„Na — aus’m Irafenschloss sind Sie wohl nicht entsprungen!“
„Nee! Budikersohn aus Berlin C! Aber kesser Junge! Gemütsmensch dabei, Fräulein!“
„Lassen Sie doch das dämliche Kille-Kille mit Ihrem Stock!“ sagte die kleine Berlinerin unten. Ich bin nicht kitzlich!“
„Und was machen Sie, wenn Sie nicht die Strippe ziehen?“
„Mich nützlich!“
„Wo denn?“
„Bei der Hydrag!“
„Wat? Bei den faulen Köppen? Wenn ich man bloss von den Brüdern höre! Das glaub ich, dass Sie sich da gesund gemacht haben, Fräulein Die Bande lag immer richtig! Da wurden Sachen gedreht — na — das wissen Sie ja besser als ich!“
„Was wünschen Sie hier im Hause, mein Herr?“
„Die Hydrag! Na — ich will nischt gesagt haben, aber ich möchte kein silberner Löffel sein, wenn einer von der Blase ins Zimmer kommt! Unkollejial, Fräulein!“ Der grosse, junge Herr beugte sich, auf den Stock gestützt, vorwurfsvoll zu dem hübschen Mädchenkopf unten. „Die feinsten Nummern haben sie einem aus Futterneid verkorxt! Ich war um ein Haar mal drauf und dran, mir die Angströhre aufzuklemmen und zum Staatsanwalt zu gehen!“
„Aber dann haben Sie’s doch lieber jelassen!“ sagte die junge Dame unten spitz, mit einem eigentümlichen Zug um den Mund.
Ein Achselzucken oben: „Gott — man ist ein guter Kerl! Ich