Kinder der Zeit. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.mach’ doch alles mit! Ich bin doch ’n anständiger Mensch!“
„Das heisst natürlich: Unser Betrieb in allen Ehren! Uns kann keiner an die Wimpern klimpern! Wir blühn wie junger Flieder! Unschuldig wie die Waisenknaben . . . Aber sehen Sie: Was mein Bruder ist — der Jotthold — der is doch ’in jebildeter Mensch. Auf dem seine Erziehung hat Papa mehr spendiert — ich war ja immer mehr ’n bissken leichtes Tuch. Stadtreisender in Sodawasser und so . . .“
„Weiss ich doch, dass der andere Herr Bartuschke Rechtsanwalt ist . . . Ich les’ doch auch die Strafprozesse in Moabit.“
„Der hat dort schon die schwersten Jungens losjeeist! Dabei ein Mensch wie ’n Kind — der Jotthold! Von dem Jerichtssaal — da hat er nun so den Sprechanismus. Dadurch ist er jetzt in die Politik gekommen. Jetzt haben wir noch die Rätewirtschaft. Aber wenn’s erst ans Wählen geht — der Jotthold kommt ins Parlament. Der Mann wird jross aufgenommen. Der steigt wie ’ne Aktie. Der wird noch Minister. Also halten Sie sich ran, Fräulein! Klettern Sie mit! Wie heissen Sie denn eigentlich?“
„Zwicknagel!“
„Au! Das piekst einen förmlich! Und der Vorname?“
„Alwine.“
„Bong! Also Fräulein Alwine . . . Alwinchen . . . Cousinchen . . .“
„Herr Bartuschke, eins muss ich vorher sagen: Ich heisse Fräulein Zwicknagel! Ich bin ein durchaus solides Mädchen!“
„Weiss ich doch! Weiss ich doch! I wo werd’ ich denn . . .“
„Na — Sie plinkern so mit dem linken Ohr . . .“
„Rein äusserlich! Ich tipp’ Ihnen mit dem Zeigefinger auf die Schulter und sage Ihnen, dass Sie keine von denjenigen, wo, sind . . .“
„Streng reelle Irundsätze, Herr Bartuschke!“
„Warum? Weil Sie viel zu schlau sind, sich zu verplempern. Sie sagen sich: Immer kaltes Blut und warm anjezogen. Ich bin ’n Menschenkenner: Sie wollen hoch hinaus!“
„Noch höher!“
„Also proste Mahlzeit! Morgen bei meinem Bruder Jotthold!“
Ein letztes Misstrauen in den hellen Augen der kleinen Berlinerin:
„Ist das kein Theater, Herr Bartuschke?“
„Spass!“ Bartuschke nahm die Frage nicht krumm. Er deutete vertraulich, die Zigarre schief im Mund, auf die Visitenkarte: „Sehen Sie, wenn ich da oben links ’nen kleinen Bleistiftpunkt gemacht hätte, dann hiesse das: ,Falle! Schick’ sie wieder weg!’ Nee — eingekniffen hab’ ich die Karte! Das bedeutet: ,Seriöse Sache!’ Ich bin ’n Mensch, treu wie Gold! Sieht man mir an, Fräulein — nicht? Was mir meine Ehrlichkeit schon im Leben geschadet hat! . . . Ja — lachen Sie nur! Ich bin immer zu gewissenhaft. Ich könnte jetzt zum Beispiel doch einen Kuss von Ihnen verlangen . . .“
„Unterstehen Sie sich man . . .“
„Dabei holt sie schon mit der flachen Hand aus!“ sagte Bartuschke. „Au Backe! Das will ich gar nicht erst probieren. Ich mag gar keinen Kuss — dafür bin ich viel zu solide. Ich heisse im Freundeskreis nur der stille August. Jetzt denkt sie sich nämlich: ,So siehst du aus, sagt der Berliner!’ Also nu wenigstens die Patschhand darauf! Sol Abgemacht!“
„Tausend Dank, Herr Bartuschke!“
„Jern jeschehen.“ Bartuschke wurde geschäftsmässig. Er blätterte in seiner Brieftasche. „Im zweiten Stock wohnt doch hier Exzellenz von . . . von . . . wat die Leute für Namen haben — von Oderwolff? Stimmt? Feine Familie — wat?“
Ein geringschätziges Achselzucken drüben.
„Na ja, was man früher so fein nannte . . .“
„Pinkepinke?“
„Gott, Herr Bartuschke . . . So ’n alter Jeneral — heutzutage mit Frau und drei lebensjrossen Töchtern.“
„Also Armut und Edelsinn. Dacht’ ich mir!“
„Herr Bartuschke: benehmen Sie sich! Seien Sie recht jebilvet da oben! Der General ist doch so ein berühmter alter Herr! Er hat doch so viele Schlachten jewonnen! Er grüsst mich immer zuerst, wenn er mir auf der Treppe begegnet. Jawoll — das tut er!“
„Beiss’ ick denn, Fräulein Zwicknagel? Ich hab’ doch nur ’n Jeschäft mit dem Mann!“
„Im Krieg, wenn er auf Urlaub in seinem feldgrauen Auto vorjefahren ist — da hat der Hauswirt ’ne Jirlande am Tor anbringen lassen: Hoch der Sieger von . . . Das war so ’n polnischer Name — zum Niesen — und ich hab’ jeknickst und einen Blumenstrauss überreicht, und die Leute auf der Strasse haben Hurra jeschrien! Und jetzt . . . Soll ich Sie rauffahren, Herr Bartuschke?“
„Immer ruff ins Vergnügen!“
Alwine Zwicknagel öffnete dienstwillig die Lifttür. Der Aufzug surrte durch den Schacht. Oben fühlte sie eine Banknote in der Hand.
„Kaufen Sie sich ’n Rittergut, Fräulein!“
„Herr Bartuschke: ich nehm’ doch kein Trinkgeld!“
„Bekieken Sie sich erst mal die Liebesjabe!“
„Aber das sind ja . . .!“ Die Kleine wurde sprachlos. August Bartuschke belehrte freundlich:
„So braune Lappen machen sie jetzt in der Reichsdruckerei aus dem Handgelenk — jeden Morgen ’n paar Milliarden — soviel Deutschland will!“
„Aber wofür krieg’ ich denn . . .?“
„Ja — sehn Sie: so bin ich! Das ist bei mir nicht wie bei armen Leuten!“ Der junge Mann schlug nachlässig den aufgeknöpften Ulster und Sakko zurück. In dessen Innentaschen steckten lose die Tausendmarkscheine in dicken Bündeln übereinander.
„Unter ’nem Milliönchen im Rockfutter trau’ ich mich heutzutage nicht auf die Strasse. Dazu bin ich zu nervös. Na . . . Mahlzeit?“
Auf der Messingplatte am Eingang stand „von Oderwolff“. August Bartuschke klingelte. Lächelte schwerenöterhaft in Hoffnung auf ein niedliches, öffnendes Hausmädel. Aber auf der Schwelle stand eine hochgewachsene junge Dame. Nahm aus kühlen, grossen, blauen Augen sein Gardemass von dem zeisiggrünen Selbstbinder mit dem bohnengrossen Solitär bis zu den taubengrauen Gamaschen. Ihr schönes, etwas strenges Gesicht war frostig fragend. Er tat vor Bewunderung die Zigarre aus dem Mund.
„Morgen! Bin ich hier recht bei Oderwolffs?“
„Asta!“ rief es von hinten. „Wer ist denn da?“
Die junge Dame wandte den Kopf.
„Ein Herr, Mama! Ich weiss nicht, was er will . . .“
„Ich wäre Freier . . .“, sagte August Bartuschke.
Sie trat schweigend einen Schritt zurück.
„. . . Freier auf die Biedermeier-Möbel, die Sie im Blättchen zum Verkauf angezeigt haben. Aber uralt antik müssen sie sein. Wir kaufen nämlich ein Schloss — Bartuschke ist mein Name . . .“
Fräulein von Oderwolff erwiderte nichts.
„Zu dritt! Papa, mein Bruder und ich. Da möchte ich meinen Flügel mit allen Schikanen der Neuzeit ausstaffieren. Nee — weil Sie mir so nach dem Ringfinger schauen: Verheiratet bin ich leider Gott sei Dank noch nicht. Aber warum soll sich’s ein armer Junggeselle . . .“
„Bitte! Hier!“
Asta von Oderwolff öffnete mit der seelenlosen Miene einer Schlosskastellanin, die Besucher umherführt, eine Tür und blieb stehen — mit einem vernichtenden Blick:
„Wollen Sie nicht vorher Ihre Zigarre weglegen?“
„Gern! Wird gemacht!“ Er verstaute den Havannastummel in der Visitenkartenschale. Innen umschrieb Fräulein von Oderwolffs weisse