Der du von dem Himmel bist. Rudolf Stratz

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Der du von dem Himmel bist - Rudolf Stratz


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ich bis jetzt fünf, sechs Stunden täglich repetiert hab’, in den Schrank zurückstellen. Das ist alles! Auch äusserlich! Denn dass ich nun nicht die Geschmacklosigkeit haben werde, mich überall „Fräulein Doktor“ nennen zu lassen, das wirst du mir ja wohl zutrauen. Das ist eine Privatangelegenheit zwischen mir und der Fakultät gewesen. Im gewöhnlichen Leben mache ich davon keinen Gebrauch.“

      „Nun ja — äusserlich, wie du selbst sagst! Aber innerlich! Zum Kuckuck, Hedwig — du wirst doch das Gefühl des Sieges in dir haben! So leicht macht doch heutzutage, trotz allem, ein Frauenzimmer seinen Doktor in Deutschland immer noch nicht! Es gehört doch noch ein ordentlicher Haufen Energie dazu!“

      Hedwig Solitander wandte ihm im Gehen ihr Antlitz zu. Das war noch blasser geworden, sein ursprüngliches feines Weiss unter den goldroten Haaren vom Mondlicht noch verstärkt und um den Mund und in den grauen Augen der müde Zug. „Nein — dies Gefühl der vollbrachten Tat hab’ ich eben nicht, Hermann!“ sagte sie. „Ich sah’s kommen — schon lange — schon seit einem Jahr mindestens bin ich mir dessen bewusst geworden. Je näher das Doktorexamen gerückt ist und je mehr ich mich darauf vorbereitet hab’, desto gleichgültiger ist es mir innerlich geworden. Und in letzter Zeit so gleichgültig, ich kann dir gar nicht beschreiben, wie! Ich hab’ mir nichts anmerken lassen! Das sag’ ich niemandem als dir. Natürlich — man macht sein Examen — man führt doch durch, was man sich einmal vorgenommen hat. Man wird sich doch nicht blamieren, seinen Vater enttäuschen, seine Lehrer blossstellen, also — wie gesagt — selbstverständlich hab’ ich alles daran gesetzt, um mit Anstand durchzukommen, und das ist ja nun heute auch so weit gelungen ...“

      Sie brach ab und verstummte und Hermann Riedinger sagte nach einer Weile langsam: „Das wäre alles eher begreiflich, wenn du grosse Schwierigkeiten in deiner Laufbahn zu überwinden gehabt hättest, Hedwig! Da kommt nachher am Ziel der Rückschlag, die nachträgliche Verbitterung, das kenn’ ich! Aber bei dir: Es hat sich dir doch alles immer geebnet. Du stammst aus einer alten Gelehrtenfamilie — dein Vater ist ein Sonderling, der immer das Gegenteil von dem tut, was die andern meinen, also war es ganz natürlich, dass er dich zu den Jungens in das Gymnasium gesteckt hat. Du hast in deiner Vaterstadt dein Abiturium bestanden, hast in deiner Vaterstadt deine sechs Jahre studiert und jetzt ebenda deinen Doktor gemacht — das ist alles wie von selbst gegangen, als ob es so sein müsste — niemand hat sich darüber gewundert. Die Zeit ist doch längst vorbei, wo man eine Studentin für ein Fabelwesen gehalten hat — namentlich hier in Heidelberg — also nun sei doch froh und danke dem Schicksal, dass es mit dir so weit ist und du die Wissenschaft verbrieft und versiegelt in der Tasche hast!“

      „Und was tu’ ich nun mit der Wissenschaft?“

      „Das ist nun wirklich eine ganz verrückte Frage!“ versetzte Hermann Riedinger. „Was tut man mit der Wissenschaft? Nimm mir’s nicht übel, wenn ich dir da mit Gemeinplätzen komme: die Wissenschaft im höheren Sinne, in unserem Sinne ist natürlich Selbstzweck! Das weisst du so gut wie ich! Man muss in ihr aufgehen und das in ihr schaffen, wozu man bestimmt ist.“

      „Nun könnt’ ich dir ja antworten,“ sagte Hedwig Solitander, „dass es mit dem Schaffen bei uns Frauen immer noch so eine Sache ist — wenigstens in den nicht praktischen Berufen. Bei euch in der Medizin mag das ja anders sein — oder in der Chemie und derlei. Aber im rein Geistigen — da kommt es mir immer noch vor, als würfen wir alle vorläufig bloss Schatten von einem Licht, das wir uns anderswo, auf der Universität, von den Männern geborgt haben, und doch einmal zurückgeben müssen. Und wie’s dann wird — ob wir aus uns selbst einmal was Neues werden? Aber davon will ich gar nicht sprechen — von der Allgemeinheit — sondern nur ganz im einzelnen von mir und meinem Standpunkt ...“

      „Ja, aber wieso stehst du denn anders zur Wissenschaft als andere?“ frug Hermann Riedinger erstaunt. „Wie kriegt man denn das überhaupt fertig? Das begreif’ ich gar nicht, dass es da zwei verschiedene Standpunkte geben soll?“

      Sie nickte. „Das ist’s ja eben! Das was ich gelernt hab’ — das steht neben mir — ausser mir — ganz fremd. Es ist absolut gar kein Teil von mir selbst geworden, so wie du eben gemeint hast, man müsse ganz von seiner Wissenschaft durchdrungen sein! Wie ich angefangen hab’ zu studieren, da hab’ ich davon eine Ahnung gehabt. Aber dann ist das mehr und mehr geschwunden. Da war ich und das hatt’ ich zu lernen. Dazwischen gab’s in letzter Zeit kaum mehr ein Bindeglied als den Ehrgeiz und das Pflichtgefühl. Und darum, wenn du dich wunderst, weil ich sage: meine Persönlichkeit ist von meinem heutigen Examen und was drum und dran ist, ganz unberührt geblieben und wird es auch in Zukunft sein — ja, das kommt eben daher, dass meine Studien in den letzten Jahren mehr und mehr ausserhalb von mir waren — und ich hab’ für mich gelebt.“

      „Dann hast du auch nicht an das geglaubt, was du gelernt hast!“ sagte Hermann Riedinger ruhig.

      „Doch — ich hab’s schon geglaubt — oder vielmehr: ob es wahr war oder nicht, das war mir gleich. Ich hab’ es mir eben eingeprägt, weil es die Professoren im Examen hören wollten. Aber es war nicht das, was ich hören wollte ...“

      „Und was ist das?“

      „Ja — wenn ich das wüsste!“ sagte Hedwig Solitander und schaute, ehe sie das Neckarufer verliessen und in die Weststadt einbogen, noch einmal über den bläulichen Flussspiegel hinaus ins Weite.

      „Aber es muss doch etwas da sein!“

      „Es ist nichts da. Nur eine Leere. Und unter dieser Leere leid’ ich! Und das ist mein Leben!“

      Er warf einen scharfen, beinahe erschrockenen Seitenblick auf sie und schwieg eine Weile, verdutzt durch ihr plötzliches, unvermittelt ihrer sonstigen kühlen Ruhe entsprungenes Geständnis. Und sie setzte gepresst, in unsicherem Stimmklang hinzu: „Natürlich, Ahnungen hat man so manchmal — dunkle Vorstellungen, wie etwas sein könnte — oder sein müsste im Leben. Aber man kann sie nicht festhalten. Sie sind gleich wieder weg. Und dann ist die grosse Leere und daneben steht die Wissenschaft. Und die beweist mir gar nichts. Wenn die was ansieht, dann zerfällt jedes Ding gleich in drei Teile und sieben Paragraphen und das mag ja wahr sein — aber mir hilft das wenig. Das ist nicht das, was ich brauche, um über mich selbst hinweg zu kommen und über diese Stimmung, dass man so ganz allein in der Weite steht — und überhaupt alles ...“

      „Und glaubst du denn, dass diese Stimmung etwas Gesundes ist?“

      „Nein — sie ist krankhaft — natürlich — ich leide ja daran — schon lange — ich sag’s dir ja ...“

      „Und hast du denn eine Ahnung, woher die eigentlich ihren Ursprung genommen hat?“

      „Gewiss! das weiss ich jetzt ganz genau.“

      „Also — was ist denn schuld daran?“

      „Du!“

      „Ich?“ sagte er gedehnt, ungläubig staunend.

      „Ja — du! Nur du! Aber das soll kein Vorwurf sein, Hermann! Du bist eben wie du bist! Und ebenso wirkst du natürlich auch auf andere!“

      Er überlegte eine kurze Zeit ihre Worte. Dann versetzte er rasch und bestimmt: „Hör ’mal, das versteh’ ich noch nicht! Das geht vorläufig noch über meinen Horizont. Das musst du mir näher erklären!“

      Sie nickte. „Gerne. Gerade heute! Das ist der Tag dazu — wo ich alles hinter mir hab’, was ich seit vielen Jahren erreichen wollte — und vor mir ist, vorläufig, nichts. Rein gar nichts. Das ist ein Gefühl, als schwebte man im leeren Raum. Man möchte sich irgendwo festhalten — die Füsse irgendwohin stellen — und es ist nichts da ... Und das ist eben durch dich gekommen!“

      „Na — erzähl ’mal!“ meinte er aufmunternd. Er war äusserlich so gelassen wie immer geblieben.

      „Ja, sieh,“ sagte Hedwig Solitander. „Ich bin Zeit meines Lebens ein ziemlich einsames Menschenkind gewesen. Damit fängt die Sache an. Ich hab’ nie Bruder oder Schwester gehabt und meine Mutter ist gestorben, wie ich kaum fünf Jahre war. Nun — das weisst du ja alles — und auch, dass Papa ein Sonderling ist und sich nie viel um mich gekümmert


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