Tiergeschichten vom Ponyhof. Lise Gast
Читать онлайн книгу.das ist immer so eine Sache.
Dann haben wir den Ali, der als unreitbar galt, doch geritten. Ein paarmal setzte er uns ab, aber das macht uns nichts aus, wir fliegen öfter von einem Pony und sind es gewöhnt, uns beim Sturz zusammengekugelt abzurollen. Wir durften auch die andern Pferde reiten, die dort standen. Der Reitlehrer war früher in unserm Verein gewesen und kannte uns. Wir halfen beim Stroheinräumen und Mistfahren und Putzen, ruderten auf dem Bodensee und verbrauchten fast alles Geld. Eines Tages rief Mutter an, wo wir denn blieben. Unsere Schwester Brigitte hätte doch in dieser Woche Hochzeit, ob wir nicht dabeisein wollten.
Himmel, das hatten wir völlig vergessen. Natürlich wollten wir! Also wurde in Eile gepackt, danke gesagt und Abschied genommen. Und jetzt begann ein Rennen gegen die Zeit. Gottlob war es kühl, und wir konnten Winnetou ohne Bedenken stundenlang traben lassen.
Einmal trafen wir Zigeuner. Sie wollten uns unsern kleinen Hengst abschwatzen. An diesem Tag fuhren wir noch zwanzig Kilometer weiter, weil wir Angst hatten, sie würden ihn uns in der Nacht stehlen. Sie hatten auch Ponys, aber wie sahen die aus! Mager und struppig und schlecht gepflegt!
Weil wir am späten Abend keine Unterkunft mehr fanden, krochen wir schließlich unter eine Getreidegarbe. Der Mond kam heraus. Winnetou stand am Feldrain und graste. Wir wachten abwechselnd und froren wie die Schneider, denn es taute mächtig. Schließlich müssen wir doch beide eingeschlafen sein.
Als wir aufwachten, war die Sonne gerade aufgegangen. Der erste Blick galt Winnetou: Gottlob, da stand er! Erleichtert sprangen wir auf, umhalsten ihn und sagten ihm guten Morgen. Während wir dann losfuhren, malten wir uns aus, was wir uns diesmal zum Frühstück leisten würden: Milch und so viele frische Brötchen, wie wir essen konnten, und dazu Wurst aus der Hand. Dafür würde unser Geld sicherlich noch reichen.
„Wieviel haben wir denn noch?“ fragte ich. Steffi griff in die Hosentasche. Da aber war kein Portemonnaie. Wir suchten in allen Taschen. Schließlich hielten wir an und nahmen das ganze Gepäck auseinander. Kein Geldbeutel!
„Die Zigeuner!“ sagte Steffi.
Ich glaubte das nicht. „Die wollten doch aber den Winnetou!“
Nun, alles Hin und Her half nichts. Wir nahmen die Karte heraus. Achtzig Kilometer, eigentlich zwei Tagestouren, waren es noch bis nach Hause. Ob Winnetou das an einem Tag schaffen konnte? Er schaffte es! Heimzu laufen alle Ponys schneller, und Winnetou merkte genau, daß es nach Hause zu seiner lieben kleinen Frau Appelschnut ging. Er lief wie ein aufgezogenes Spielzeugpferd.
Fast die ganze Fahrt haben wir gesungen. Da merkte man den Hunger nicht so. Dann und wann fuhren wir auch unter Apfelbäumen durch. Das half uns natürlich auch, den Magen zu füllen. Trotzdem malten wir uns die heimatlichen Genüsse, die, noch dazu bei einer Hochzeit, zweifellos auf uns warteten, in den schönsten Farben aus.
Allmählich wurden die Wege bekannter. Jetzt kam schon unser Reitverein in Sicht. Doch diesmal hielten wir nicht an, sondern winkten nur hinüber und fuhren weiter. Und dann endlich unser Heimatstädtchen Lorch. Wir hielten einen Einzug wie die Königin von England. Nicht, weil wir uns so fühlten, sondern weil die Heimatzeitung uns auf dem Hinweg heimlich geknipst und einen Artikel über uns geschrieben hatte.
„Wart ihr wirklich am Bodensee?“ hörten wir immer wieder fragen. Es hätte nicht viel gefehlt, und das ganze Städtchen hätte geflaggt.
Und dann die Ankunft auf dem Ponyhof! Winnetou raste die letzten fünfhundert Meter im Galopp, obwohl es bergauf geht. Er trompetete, und Appelschnut machte in ihrer Koppel einen fast meterhohen Luftsprung und sauste zum Tor. Dort gab es eine aufgeregte, glückselige Begrüßung — kaum daß wir Winnetou Geschirr und Zügel abnehmen konnten. Aufatmend schütteten wir den letzten Hafer in den Trog. Ja, und was rollte da aus dem Reisesack heraus? Unser Portemonnaie! Steffi hatte es in der letzten Nacht aus Angst vor den Zigeunern dort versteckt und dann total vergessen. So brachten wir sogar noch Geld wieder mit nach Hause. Wir kauften davon einen hölzernen Brotteller für unsere Schwester zur Hochzeit, damit ihr in ihrer Ehe nie das Brot ausgehen sollte.
So endete unsere erste große Reise mit Winnetou, unserem geliebten kleinen Schimmelhengst.
Inko
Ehe wir Winnetou hatten, ließen wir unsere Stuten von einem kleinen Shetlandhengst decken, der in Hohenstaufen stand. Hohenstaufen ist ein kleinerer Ort am Fuße des Kaiserberges gleichen Namens, und dort lebte eine Ofensetzer-Familie, die wir ganz am Anfang um Hilfe gebeten hatten, als wir den Ponyhof einrichteten. Der Vorbesitzer hatte uns nämlich einen Herd hinterlassen, der viel zuviel Hitze spuckte, und wir meinten, man solle diese Hitze ausnützen. Wir fragten also, ob man nicht auf der anderen Seite der Wand, die Wohnzimmer und Küche trennte, einen Kachelofen anbauen könnte, so daß man mit dem Herd gleichzeitig zwei Räume heizte. Der gutmütige Ofensetzer bejahte das, versprach gleich ans Werk zu gehen und bewunderte nebenbei unsere Ponys. Binnen kurzem hatte er sich auch eins angeschafft, eine tragende Stute. Sie brachte bald darauf Inko zur Welt, einen niedlichen braunweißen Schecken. Er hatte wie seine Mutter Zuchtpapiere und versprach schon bald, gut zu vererben. Er hat uns eine ganze Anzahl schöner Fohlen gebracht.
Jedes Frühjahr kam er über Autostraßen und Bahnkörper hinweg zu uns herabgebraust, wenn unsere Stuten rossig wurden. Er roch das auf weite Entfernungen hin. Wir wußten immer schon Bescheid: Wenn es durchdringend trompetete, dann war Inko im Anmarsch. Sofort stürzten wir ans Telefon und riefen unsere Freunde an, schrien ohne Vorwarnung: „Er ist da, er ist da!“ Inko blieb meist ein paar Wochen, bis alle Stuten gedeckt waren.
Inko war klein, aber oho. Vorm Wagen war er gut und schnell, aber mit der Reiterei war er gar nicht einverstanden. Nur die jüngste Tochter einer anderen ponynärrischen Familie, die später nach Island heiratete, paßte als einzige von der Größe auf Inko, und wir amüsierten uns immer, wenn sie versuchte, ihn zu reiten. Es blieb stets bei dem Versuch, denn er war eifrig bestrebt, sie sofort loszuwerden. Kaum war sie aufgesessen, so fing er ein Rodeo an, ging vorn und hinten hoch, drehte sich, ging in die Knie oder stand auf den Hinterbeinen und schlug mit den Vorderhufen wild in der Gegend herum. Ulrike, genannt Nikkel, zeigte sich jedoch als ebenbürtiger Gegner. Sie ließ und ließ sich nicht abwerfen. Bockte er, so saß sie im Drehpunkt, ging er in die Knie, so stützte sie sich rechts und links ab, stieg er, so trieb sie. Wir standen daneben, schlossen Wetten ab und betätigten die Stoppuhr. Einmal filmte mein Schwiegersohn das ganze Theater. Einen ganzen Film hindurch hielt sich Nickel auf Inkos Rücken. Den Film haben wir noch. Er erheitert alle Zuschauer, die beim Anschauen die Gesichter verziehen und von einem Bein aufs andere treten. Es ist auch für uns jedesmal wieder ein Vergnügen, zuzugucken.
Inko brachte uns eine sehr schöne kleine Stute, Nike, die schwarz geboren wurde und dann langsam weiß wurde, erst die Mähne und der Schweif — das stand ihr am besten, und jeder, der sie zu dieser Zeit sah, wollte sie kaufen —, später am ganzen Körper. Dieses Fohlen schenkte ich meiner jüngsten Tochter zur Hochzeit. Sie war sehr beglückt und meinte dann später, wir sollten doch noch ein Fohlen aus diesem Paar, Mutter Nikolette, Vater Inko, ziehen. Es war viele Jahre später, und wir wußten nicht, ob Inko noch erfolgreich decken könnte. So borgten wir ihn uns aus, zogen zu Steffi, die damals noch im Nachbardorf wohnte und einen kleineren Ponyhof betrieb, und versuchten, Inko zum Decken zu verlocken. Es war sehr schwierig. Er hatte wenig Lust, immer führten wir ihm eine andere Stute vor die Nase, aber Inko verhielt sich ablehnend. So blieb Nike die einzige ihrer Art, denn andere Hengste schlug Nikolette ab. Nike geht heute noch immer im Reitschulbetrieb meiner Tochter mit und wird von allen geliebt, bekommt auch immer noch erste Preise.
Damals, zu jenem Versuch, war Inko nicht von selbst heruntergekommen, sondern wir hatten ihn geholt. Das war ein besonderes Vergnügen. Christoph, mein jüngster Sohn, hatte das Abitur gemacht, studierte nun und war nur noch in den Ferien daheim. Damit waren meine kleineren Pferde reiterlos geblieben, und da ich überhaupt finde, daß auf einen Ponyhof Kinder gehören, nahm ich zwei Jungen auf, zehn und elf Jahre alt, aus einem Heim, dessen Leiterin ich kannte.
Diese beiden habe ich jahrelang bei mir gehabt, und jahrelang gab es mit ihnen Freude und Last. Freude, weil es einfach schön ist, mit Kindern zu leben, Last, weil sie vom ersten Tag an klauten wie die Raben! Ich