Tiergeschichten vom Ponyhof. Lise Gast

Читать онлайн книгу.

Tiergeschichten vom Ponyhof - Lise Gast


Скачать книгу
sich schon Pferde als Luxus?

      „Schlachten Sie die?“ wurden wir manchmal gefragt. Das wurde jedesmal entrüstet verneint. Ein wohl aus Ostpreußen stammender Mitbürger sagte uns mal im Vorübergehen: „Ich hatte zu Hause auch Pferde. Die waren aber größer, Ihre können ja nicht mal eine Nähmaschine ziehen!“

      Worauf wir natürlich giftig antworteten, unsere Nähmaschine bräuchte keine Luftveränderung, die täte ihre Pflicht zu Hause.

      Jetzt ist das anders geworden. Auch kleine Ortschaften haben Reitvereine, junge Mädchen halten sich Pferde, die sie beim Bauern unterstellen, und verzichten dafür auf vieles, und mancher Junge — ach, gäbe es das doch öfter! — besitzt statt eines Motorrades ein Pferd. Damals aber waren Pferde etwas ganz Ausgefallenes, noch dazu solch kleine. Der Ort, in dem wir die Baracke fanden, aus der der nun wirklich berühmte Ponyhof wurde, ist bei den Einwohnern inzwischen bekannt.

      „Wir gehet jetzt immer ins Oimersbachtal spaziere“, versicherten mir die braven Schwaben, und zum letzten Fohlenbrennen sammelten sich siebzig Pferde, wo es, ehe wir kamen, ein einziges gegeben hatte.

      Wie schön! Wir halten es für gut, daß Kinder mit Pferden aufwachsen, sie übernehmen Verantwortung, lernen, für ein Tier zu sorgen, und sind immer beschäftigt.

      Daß wir an der neuen und nun schon fast eingebürgerten Pferdeliebe mitschuldig sind, merkten wir sehr bald. Wir bekamen Besuch in Scharen. Nicht nur Freunde und Bekannte, sondern auch Unbekannte, die unsere Bücher gelesen hatten, scheuten oft weite Fahrten nicht, um uns kennenzulernen. ›Lorch‹ gibt es in der Bundesrepublik zweimal, einmal an der Rems, dort wohnen wir, und einmal am Rhein. Das wissen manche Leute nicht. Auch mit Lorsch bei Worms werden wir oft verwechselt. Einmal kamen Leute aus Hannover, die erst das andere Lorch durchforstet hatten. Sie gaben aber nicht auf und fuhren den nicht geringen Umweg dann doch noch bis zu uns. Hausfrauenvereine, Kindergärten, Schulklassen kamen, sogar Berühmtheiten, begleitet von Journalistinnen, es war manchmal reizend und lustig und manchmal irre langweilig und kaum zu verkraften. Denn wer einmal da war, ging nicht wieder, es war, als hätten unsere Stühle Pech an den Sitzen, und die Beklebten fest. Die Kinder wurden schon wütend, wenn wieder auf der Straße ein Auto hielt, und Heidi holte einmal die Quarktorte vom gedeckten Kaffeetisch und schob sie mit Schwung unter die Couch, knirschend vor Wut: „Die bekommen sie nicht. Immer, immer dieser Besuch, und für uns bleibt nichts übrig.“

      Wir hatten damals auch einen zahmen Waschbären. Der lief in Haus und Garten umher und naschte auch gern. Von einer Nußtorte hatte einmal der Besuch ein Stück übriggelassen. Der Bär kletterte auf die Bank, griff über den Tisch — Waschbären haben richtige kleine Hände — und holte es sich.

      Ein andermal sagte ich aus Verzweiflung am Telefon, als sich wieder drei junge Mädchen ankündigten und fragten, wann es denn am besten passe: „Früh um fünf.“ Damit, dachte ich, hätte ich sie aus dem Felde geschlagen. Aber siehe da, sie kamen tatsächlich zu der nicht sehr üblichen Zeit. Ich hatte gerade die Sense auf den Zweispänner gelegt und wollte losfahren, um Futter zu schneiden. Sie erwiesen sich jedoch als patent und munter, eine bot sich an, Frühstück zu machen und auf die Babys aufzupassen — ich hatte damals zwei kleine Enkelkinder bei mir, die wir die „Folterknechte“ nannten —, die beiden anderen Mädchen fuhren mit mir in den Wald. Sie halfen nett und verständig, luden auf, was ich schnitt, die eigene Sense gibt man nicht gern aus der Hand, und fanden es herrlich, mit hochbeladenem Wagen nach Hause zu kommen. Dort hatte inzwischen die dritte auf der Veranda gedeckt, Kaffee gekocht, die beiden Babys angezogen und war gerade dabei, sie zu füttern. Das war ein Besuch, an den ich gern zurückdenke.

      Manchmal wurden wir auch um ein Nachtlager gebeten. So zwei Mädchen, etwa zwanzig Jahre alt, die ihre ganze Schulzeit über gespart hatten, um nach dem Abitur einen großen Sommerritt zu machen. Sie wohnten bei Ulm, waren auf dem Rückweg, fragten, ob sie eine Nacht bei uns bleiben dürften — gern! —, und sattelten ab. Eins der Pferde banden sie auf der Weide an, das andere blieb von selbst dabei, und der Schäferhund legte sich wachsam daneben. Er hatte die ganze Tour ohne Leine mitgemacht, durch Frankreich und die halbe Bundesrepublik. Wir behielten die zwei dann zwei Tage und Nächte, es war sehr nett mit ihnen. Überhaupt kamen immer wieder junge Reiterinnen, die um Quartier baten. Meine Ponyhoftochter hat unter anderem ein Buch geschrieben, darin heißt die weibliche Hauptperson Inka und das Fohlen Frechdachs. Ohne dieses Buch zu kennen, kam ein Mädchen Inka mit einem Pferd Frechdachs und lachte sehr, als wir ihr das Buch zeigten.

      Mit diesem Buch erlebten wir dann geraume Zeit später eine unglaubliche Geschichte. Tochter und Schwiegersohn hatten den Ponyhof übernommen, und als es hieß, man sollte sich am Schüleraustausch beteiligen, nahmen sie einen etwa sechzehnjährigen Jungen mit Namen Matthias aus Peru auf. Eines Tages war ich bei ihnen, um auf unseren gemeinsamen Verleger zu warten, der sich angesagt hatte. In der schön aufgeräumten Küche — wir nennen das Türken bauen, wenn wir vor Besuch sehr aufräumen — lag das Buch „Pony Frechdachs“ auf dem Tisch. Matthias sah es und sagte: „Dasselbe Buch hab’ ich zu Hause auch und hab’ es sehr oft und gern gelesen.“

      „Weißt du, von wem das ist?“ fragte ich und erzählte ihm dann, daß meine Tochter es geschrieben, mir diktiert habe — sie war damals gerade mit Arbeit überhäuft, und so half ich ihr — und daß wir im Moment auf den Verleger warteten, der auch prompt in dieser Minute erschien. Matthias’ Buch, in Lima in Peru gelesen, fand hier Autorin, Tippse und Verleger bei dem „Pony Frechdachs“ vereint, ausgerechnet in dem kleinen Ponyhof, in den es ihn zufällig verschlagen hatte, als gäbe es auf der ganzen weiten Welt nur diese Stelle.

      Wir hatten, wie man sieht, auch netten Besuch. Ein andermal, an einem Sonntagvormittag, schlenderte ich den schmalen Weg von uns zum Städtchen hinunter und fand, es war nicht das erste Mal, einen Wagen, der mit den beiden linken Rädern im Graben stand. Der Fahrer war gerade ausgestiegen und besah sich den Schaden. Ich sprach ihn an.

      Es gehört zu meinen Leidenschaften, „gestrandete“ Autos wieder flottzumachen. Ob Schneewehe, Straßengraben oder Benzinmangel, ich kann nicht vorbei. In diesem Fall sah es nicht bedrohlich aus, niemand war verletzt.

      „Warten Sie, ich hol’ Pferde, die ziehen Sie heraus“, versprach ich, kehrte um und kam nach ein paar Minuten mit den Shetties wieder, schon fertig angeschirrt. Für unsere größeren Ponys, die Isländer, hatten wir damals keine Geschirre, weil der passende Wagen noch fehlte. Aber die Kleinen sind stärker, als man denkt. Das sagte ich auch dem Pechvogel, als er ziemlich skeptisch meine kleinen vierbeinigen Helfer betrachtete, und setzte hinzu: „Der schlechteste Versuch ist der, den man nicht macht.“ Wir befestigten also die Zugstränge an der Vorderachse, und ich nahm die Zügel auf. „Winnetou, Schnute, nun zeigt mal, was ihr könnt“, spornte ich die beiden an. Einmal tief geatmet, und der Wagen stand auf der Straße. Diese kleinen stämmigen Pferdchen legten all ihren Ehrgeiz hinein, mich nicht zu enttäuschen, und der Autofahrer staunte. Ich lächelte stolz. Dann fragte ich ihn: „Wohin wollten Sie denn überhaupt? Hier ist die Welt doch bald zu Ende, jedenfalls ist es verboten, weiterzufahren.“

      „Das ist ärgerlich“, antwortete er, „ich wollte nämlich zu Lise Gast und wurde im Städtchen hierher dirigiert.“ Ich mußte natürlich lachen.

      „Also, bis dahin dürfen Sie“, sagte ich, nahm meine Pferdchen am Halfter und ging voran. Zu Hause war noch der Frühstückstisch gedeckt, und wir saßen lange auf der Veranda und unterhielten uns über meine Bücher, derentwegen er gekommen war. Nach ein paar Tagen bekamen wir ein großes, reichhaltiges Paket mit Kaffee, Keksen, Schokolade, zwei guten Flaschen Wein und prallen Mohrrüben für die Ponys. Das mußte unser Gast gewesen sein. Wir freuten uns, aber leider ging der Absender verloren, nun konnten wir uns nicht bedanken. Jahrelang ärgerte ich mich, ich wußte nur, daß er aus Münster stammte.

      Viel später schrieb mir aus eben dieser Stadt eine Mutter, sie wolle gern ihre zwei Töchter und zwei von deren Freundinnen zu mir geben, sie würden mir auch helfen und sich nützlich machen. Ich bekomme oft solche Angebote. Münster — ich überlegte und sagte dann zu. Meine Haushaltshilfe hatte gerade Urlaub.

      Die vier Mädchen wurden von einer sehr netten Mutter vorbeigebracht, und wir unterhielten uns gut. Schließlich, ich hatte schon viele merkwürdige


Скачать книгу