Bleibt uns die Hoffnung. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.wovon sollen wir dann leben?« rutschte es ihr heraus; als er zusammenzuckte, fügte sie rasch hinzu: »So habe ich es nicht gemeint, Arnold … nur, du weißt doch selber, daß du im Moment nicht genug verdienst, all unseren Verpflichtungen nachzukommen. Ich mache dir keinen Vorwurf daraus, bestimmt nicht, bloß müssen wir doch den Tatsachen ins Gesicht sehen. Ich könnte mich natürlich wieder nach einer Stellung als Sprechstundenhilfe umsehen, aber was würde dann aus Katja?«
»Bin ich für die etwa auch verantwortlich?«
»Ich weiß es nicht. In gewissem Sinne sicher doch. Sie ist Ilonas Baby. Und wir haben sie doch lieb, nicht wahr?«
Sie sah ihn so flehend an, daß er ihr nicht widersprechen mochte und nur etwas Unverständliches vor sich hin brummte. Sie nahm es als Zustimmung.
»Siehst du, ich wußte es ja!« rief sie und drückte seinen Arm. »Ich verstehe auch, daß dir die ganze Situation auf die Nerven geht. Aber es hat keinen Sinn, wenn wir uns jetzt auch noch gegenseitig fertigmachen. Wir müssen Zusammenhalten! Eines Tages werden wir wieder obenauf sein.«
»Wie den?« fragte er freudlos.
»Weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, daß es im Leben immer raufund runtergeht. Und momentan sind wir eben ziemlich unten. Wenn es auch noch viel schlimmer hätte kommen können. Irgendwie, das fühle ich einfach, wird sich alles wieder zum Guten wenden.«
»Wenn ich deinen Optimismus bloß teilen könnte.«
»Versuch’s wenigstens!«
Sie waren an der Seitenwand des Hauses entlanggegangen. Sabine blieb stehen und hielt auch ihren Mann zurück. »Ich habe auch so meine Kümmernisse«, sagte sie, »sieh dir nur mal meinen Garten an! Vor einem Jahr war das noch ein kleines Paradies! Und jetzt? Zwei Rosenstöcke sind eingegangen. Die anderen sind voll Blattläuse. Selbst an den Beerensträuchern habe ich nichts tun können. Es fehlt mir einfach die Zeit dazu. Und es wäre auch ziemlich sinnlos. Mit zwei wilden kleinen Buben im Haus läßt sich ein Garten nicht in Ordnung halten.« Sie fürchtete, etwas Falsches gesagt zu haben, und fügte hastig hinzu: »Ich bin ihnen nicht böse deswegen. Man darf nicht vergessen, daß Rosy bestimmt schon lange Zeit sonderbar war, bevor die Krankheit richtig zum Ausbruch kam. Sie hat ja zum Schluß kaum noch gewagt, das Haus zu verlassen. So waren Chris und Andy mit ihr zusammen eingesperrt. In dieser Altbauwohnung mitten in der Stadt. Kein Wunder, daß sie jetzt ihre Freiheit genießen. Der ganze Garten ist für sie nur ein großer Spielplatz.« Sie seufzte leicht. »Blumen sind auch gar nicht so wichtig, nicht halb so wichtig wie Kinder jedenfalls. Trotzdem wäre ich froh, wenn sie endlich ihre Spielecke hätten. Dann könnte ich sie vielleicht doch davon abhalten, in den Beeten herumzubuddeln und Blumenzwiebeln auszugraben.« Sie sah ihn erwartungsvoll von der Seite an.
Doch er griff das Stichwort nicht auf, sondern zog sie nur ungeduldig zur Loggia hin; sein grüblerischer Gesichtsausdruck verriet ihr nicht einmal, ob er ihr überhaupt zugehört hatte.
Die Zwillinge verteilten auf dem Tisch die Servietten. Sie hatten dabei die Mienen verfolgter Unschuld aufgesetzt und sahen mit ihren blauen Augen und den dunkelblonden Pagenköpfen wie kleine Engel aus.
Obwohl Sabine sich nicht von ihnen täuschen ließ, empfand sie doch Rührung bei ihrem Anblick. Bei all ihrer Frechheit waren sie doch so hilflos und so verletzlich. Mehr als ein halbes Jahr war es her, daß man ihre Mutter fortgebracht hatte, und seitdem hatten sie sie nicht mehr gesehen. Sie fragten nie nach ihr, und gerade das schien Sabine bedenklich. Wie sehr mochten sie sie im tiefsten Inneren vermissen!
Als sie für sich und Arnold einen Aperitif aus dem Eisschrank in der Küche holte, mixte sie für jeden der Jungen ein hohes Glas mit Himbeersaft und tat zwei Kunststoffhalme dazu. Sie brachte ihnen die Erfrischung, und sie bedankten sich ernst und artig.
Arnold hatte die Jacke ausgezogen, den Hemdkragen gelockert und sich in einem der Liegestühle ausgestreckt.
Sabine setzte sich auf einen Korbstuhl neben ihn und wartete, bis er getrunken hatte und seine Züge sich entspannten. Dann wagte sie einen neuen Vorstoß. Diesmal ging sie direkter vor.
»Es ist ein schöner Abend, Arnold!« Sie legte ihre Hand auf die seine. »Im Fernsehen ist auch nichts von Bedeutung. Könntest du nicht heute das Klettergestell einbetonieren?«
»Ich? Wieso ich?«
Sie lächelte ihn bittend an. »Weil du es am besten kannst, Lieber!«
»Das ist doch kein Grund, mich auszunutzen! Warum fragst du nicht Egon darum? Schließlich sind es seine Rangen. Oder wende dich an Sven. Der Junge könnte auch ruhig mal mit zupacken.«
»Er strengt sich furchtbar für die Schule an«, verteidigte Sabine ihren Sohn.
»So? Tut er das? Hoffentlich macht sich das auf seinem nächsten Zeugnis bemerkbar.«
»Er wird sicher versetzt!« behauptete sie mit einer Überzeugungskraft, die nicht ganz echt war. »Er gibt sich doch so viel Mühe!«
Er blickte sie zweifelnd an. »So? Findest du? Wenn du mich fragst, der Junge ist ein Waschlappen. Er hat von wirklicher Arbeit überhaupt keine Ahnung. Dumm ist er ja nicht, das wissen wir beide. Aber er hat keinen Mumm in den Knochen. Sobald er sich einmal wirklich anstrengen muß, klappt er zusammen.«
»Du übertreibst«, sagte Sabine und merkte selber, daß es schwächlich klang; sie wollte ihren Mann nicht reizen und andererseits auch nichts auf den Jungen kommen lassen.
Arnold nahm einen Schluck und setzte das Glas hart auf den mit bunten Steinfliesen ausgelegten Boden der Loggia. »Er ist ein Muttersöhnchen.«
»Das mußte ja kommen.« Sabine konnte und mochte die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht unterdrücken. »Jetzt sag bloß noch, daß ich an seinem Versagen schuld bin!«
Sie blickten sich an; beide sekundenlang erfüllt von kalter Feindseligkeit. Es war Arnold, der den Blick als erster senkte. Er war einsichtig genug, sich zuzugeben, daß die Betrugsaffäre, in die er selber verwickelt gewesen war, auch keinen guten Einfluß auf die Entwicklung seines jüngsten Sohnes hatte haben können, der noch mitten in den Pubertätsjahren steckte. Er schwieg aus Angst, sie könnte es ihm vorhalten, und litt darunter, daß er nicht auftrumpfen konnte.
Sabine ahnte, was in ihm vorging, und ihre Stimmung schlug um. »Ich glaube, es gibt gar keine Erziehung ohne Fehler«, meinte sie versöhnlich, »deshalb hat es keinen Zweck, einen Sündenbock zu suchen. Er hat sich ja auch schon gebessert, wirklich. Er geht abends überhaupt nicht mehr weg, ist dir das nicht aufgefallen? Das ist doch bestimmt ein gutes Zeichen!«
»Es würde ihm aber trotzdem nichts schaden, wenn er sich auch mal körperlich betätigen würde.«
»Du hast recht.« Sabine stand auf. »Ich werde ihn darum bitten.«
»Bitten? Seit wann werden Kinder um Gefälligkeiten gebeten?! Befiehl es ihm!«
Sie strich sich mit beiden Händen den Rock ihres hellblauen Hemdblusenkleides glatt. »Er ist kein Kind mehr, Arnold.« Sie seufzte.
Die Zwillinge, die schweigend und lauschend ihre Gläser geleert hatten, wurden lebendig.
»Nicht traurig sein, Tante Biene!« Chris schmiegte sich an sie. »Wir werden dir helfen!«
»Ja, wir werden das Gestell einbottenieren!« In seinem Eifer sprach Andy das fremde Wort falsch aus. »Wir machen das schon!«
»Das ist sehr lieb von euch.« Sabine strich ihnen über die Köpfe. »Aber dazu seid ihr noch ein bißchen zu klein. Und außerdem ist es auch schon zu spät. Ihr müßt gleich nach dem Essen in die Falle.«
»Dann machen wir es morgen!« erklärte Andy unerschüttert.
»Wenn ich niemand anderen finde, werde ich morgen vielleicht wirklich auf eure Hilfe angewiesen sein. Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als es selber zu machen.«
»Mit uns!« rief Andy begeistert.
»Au ja!« schrie Chris und hopste auf und nieder.
»Wann