Bleibt uns die Hoffnung. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.Gitter entdeckte, dessen Stäbe sie mit beiden Händen festhielt wie ein Schulkind. Für dies eine Mal jedenfalls war seine Furcht unbegründet gewesen.
Sie hatte ihn jetzt auch erkannt, löste die rechte Hand und winkte ihm zu.
Er mußte erst sein Auto einparken, und in seiner Nervosität – es konnte ihm jetzt nicht mehr schnell genug gehen – gelang es ihm schlechter als gewöhnlich. Er stieß hinten gegen die Mauer, und es gab ein häßlich knirschendes Geräusch. Er nahm sich nicht die Zeit, den Schaden zu besehen, hoffte, daß keiner entstanden war, holte die Riesenschachtel Pralinen vom Nebensitz, schloß ab und jagte los.
Sie küßten sich durch die Gitterstäbe.
»Rosy, mein Liebling!«
»Endlich, endlich!«
»Du siehst gut aus!«
Rosy zupfte sich ein rotblondes Löckchen vor das Ohr. »Eine Pflegerin … Bertha, die nette, du weißt ja … hat mich gestern gebadet und mir das Haar gewaschen, damit ich schön für dich bin.«
»Du bist schön, Liebling! Da … ich habe dir was mitgebracht!« Er hielt die Pralinenpackung senkrecht und schob sie ihr zu.
»Wunderbar! Darf ich sie gleich aufmachen?«
»Sicher! Dafür sind sie ja da!« Er freute sich, denn sie schien ihre Angst, vergiftet zu werden, völlig überwunden zu haben.
»Bussi!«
Sie küßten sich noch einmal durch die Stäbe. Dann trennten sie sich, weil er die Anmeldung passieren mußte, bevor er zu ihr in den Park hinein durfte. Erst danach konnten sie sich umarmen.
Rosy trug wie die anderen Patienten die häßliche blaugraue Anstaltstracht, aber sie hatte sie mit einem gelben Seidentüchlein aufgehellt und lang baumelnde Ringe in den Ohren befestigt. So brachte sie es fertig, fast schick auszusehen; sie wirkte nicht wie eine Kranke, sondern eher wie eine Schauspielerin, die eine Kranke darstellte. Sicher trug ihr leuchtendes Haar zu diesem Eindruck bei und die hellgrünen Augen. Sie hatte in den letzten Monaten, seit es ihr besser ging, so sehr zugenommen, daß sie geradezu mollig geworden war. Seit vielen Jahren hatte sie nicht mehr so sehr wie heute dem Mädchen geglichen, in das Egon sich verliebt hatte.
»Du siehst wunderbar aus«, sagte er.
Sie lachte. »Wenn du das noch einmal sagst, muß ich es dir wohl glauben.« Sie hatte das Cellophan abgerissen und öffnete jetzt die Pralinenschachtel. »Dabei mache ich mir Sorgen um meine schlanke Linie.«
»Unsinn!«
Sie wählte mit Behagen, fischte sich mit spitzen Fingern eine Praline heraus und steckte sie sich in den Mund.
»Hm, gut!« erklärte sie mit vollem Mund. »Du darfst mich nicht anlügen, Egon! Ich weiß, daß ich schrecklich dick geworden bin. Kein Kleid wird mir mehr passen, wenn ich nach Hause komme.«
»Ich kaufe dir lauter neue!«
»Au fein! Dann kann ich ja noch eins nehmen!« Sie nahm sich eine zweite Praline heraus, bevor sie Egon anbot.
»Nein, danke, Liebling die sind ja für dich!«
Rosy leckte sich die Finger ab. »Du darfst nicht glauben, daß das Essen hier so gut ist, das ist es nämlich nicht!« Geheimnisvoll flüsternd fügte sie hinzu: »Ich glaube, die geben uns was, daß wir ständig hungrig sind!«
Er konnte nicht verbergen, wie sehr er erschrak.
»Nein, nein, du mußt nicht denken, ich habe mir das ausgedacht«, beruhigte sie ihn rasch, »alle sagen das! Du kannst fragen, wen du willst! Die sagen, das sind Tabletten zum Sedieren, aber es kommt alles mögliche dabei heraus … daß man einen Appetit wie ein Riese hat und überhaupt keine Lust auf Liebe .. na, du weißt schon, wie ich’s meine! Oder willst du etwa behaupten, das ist normal?«
»Ich habe wahnsinnige Lust darauf«, sagte er und legte den Arm um ihre sanft gerundete Hüfte.
»Das glaub’ ich dir! Du kriegst auch nicht solches Zeugs zu essen! Weißt du was? Das nächste Mal werfe ich es ins Klo! Sie passen schon nicht mehr so auf mich auf!«
»Das darfst du nicht!« Er zog sie noch enger an sich. »Liebling, versprich mir, daß du das nie tust! Alle Medikamente sind dazu da, daß du gesund wirst, und du willst doch gesund werden, nicht wahr?«
»Ich bin gesund! Mir fehlt gar nichts mehr!« Sie riß sich von ihm los und sah ihm gerade in die Augen. »Wann holst du mich endlich hier heraus?«
Er war durch die Heftigkeit ihrer Forderung bestürzt. »Aber, Rosy, das liegt doch nicht in meiner Macht! Ich habe wirklich alles versucht!«
»Egon!« Ihre Stimme hatte plötzlich einen anderen Ton. »Da vorne kommt Doktor Mayer! Was für ein Glück. Komm, wir laufen zu ihm, und dann kannst du ihn gleich fragen! Halt mal die Pralinen, damit ich …« Sie drückte ihm die Schachtel in die Hand, wischte sich mit den Fingern die Wangen trocken und tastete nach ihrer Frisur. »Er darf nicht merken, daß ich … er kann es nicht leiden, wenn man sich aufregt!«
Oberarzt Dr. Mayer war ein schwerer Mann, dessen großer Kopf auf einem so kurzen Hals saß, daß er direkt in den Schultern zu stecken schien. Das schwarze, glatte Haar trug er gerade gescheitelt und sehr kurz geschnitten. Er strebte in Begleitung einer Kollegin von der Aufnahme her dem Haupthaus zu und war so in das Gespräch vertieft, daß er Rosy und Egon erst bemerkte, als sie ihm den Weg abschnitten. Zweifellos paßte ihm die Störung nicht, aber er gab sich gelassen.
»Herr Doktor«, sagte Rosy hastig, »mein Mann möchte mit Ihnen sprechen!«
»Na, dann kommen Sie doch mal zur gegebenen Zeit zu mir in die Sprechstunde, Herr Kasparek, dafür ist die ja da!«
»Es tut mir leid, aber ich kann wochentags schlecht fort. Ich bin Geschäftsführer in einem Supermarkt, und ich kann den Betrieb nicht einfach sich selber überlassen.« Unter dem beschwörenden Blick seiner Frau fügte Egon hinzu: »Ich weiß, daß der Sonntagnachmittag eine schlechte. Zeit ist, Herr Doktor, aber ich bitte Sie dringend, einmal eine Ausnahme zu machen!«
Dr. Mayer blickte auf das Zifferblatt seiner Armbanduhr. »Dann erwarte ich Sie also in einer halben Stunde auf meinem Zimmer, Herr Kasparek, Sie wissen ja Bescheid. Aber nur, weil Sie’s sind, Rosy!«
Dr. Mayers Sprechzimmer war ein Eckraum im Erdgeschoß, sehr einfach, nahezu schäbig eingerichtet, bis auf den schweren eichenen Bücherschrank, die Couchgarnitur und den Perserteppich, die aus Privatbesitz stammen mochten, aber auch schon bessere Tage gesehen hatten. An der Wand gegenüber dem Schreibtisch hing ein abstraktes, grellfarbiges Ölgemälde, das sehr künstlerisch wirkte, tatsächlich aber, wie Dr. Mayer gerne erzählte, von einer ehemaligen Patientin stammte. Die beiden großen Fenster, das eine zum Park, das andere zur Straße hin, waren vergittert.
Als Egon an diesem Sonntagnachmittag eintreten wollte, war die Tür noch verschlossen. Er mußte auf dem Gang warten, bis Dr. Mayer kam – in wehendem weißen Kittel und feine Schweißperlen auf der Stim – und ihm öffnete.
Der Oberarzt tupfte sich mit einem blauen Baumwolltaschentuch das Gesicht ab, während er zielstrebig auf den Bücherschrank zuging, die linke Tür öffnete und eine Flasche Kognak und zwei Gläser herausholte.
»Sie trinken doch auch einen Schluck?« fragte er, während er, die bejahende Antwort voraussetzend, schon einschenkte.
»Gerne«, sagte Egon.
»Na, setzen wir uns.« Dr. Mayer drückte Egon das eine Glas in die Hand, stellte die Flasche zurück, schob die Schranktür mit dem Ellbogen zu und steuerte auf die Sitzecke zu. Mit einem tiefen Aufatmen ließ er sich in den durchgesessenen Klubsessel sinken, dessen Stahlfedern unter seinem Gewicht knarrten.
Egon war dankbar, daß er nicht vor dem Schreibtisch Platz nehmen mußte, und setzte sich in die Sofaecke, Dr. Mayer schräg gegenüber. Sein Glas stellte er auf dem niedrigen runden Tisch ab, dessen ehemals schöne Politur Kränze und stumpfe dunkle Flecken aufwies.
Dr. Mayer