Ritt in den Morgen. Lise Gast
Читать онлайн книгу.Dieser Art waren meine Gedanken, als ich mein Köfferchen packte und die Bahn bestieg. Nicht einmal bei den Reisekosten hatte mir Petra ›halbehalbe‹ angeboten. Die ganze Welt erschien mir düster und ich mir selbst bemitleidenswert.
Ich fuhr also. Aber ich bin leider so geartet, daß sich schlechte Laune und Traurigkeit bei mir nicht sehr lange hält, bin also, fürchte ich, ein etwas leichtfertiger Charakter, ohne großen Tiefgang, wie mir immer wieder versichert wird.
Ich kann nichts dafür.
Als ich in Mannheim ausstieg, hörte ich jemanden den Finnländischen Reitermarsch pfeifen und merkte erstaunt, daß ich es war – und als wir mit der Fähre über den Rhein setzten, war ich so selig, heimzukommen, daß ich am liebsten vorangeschwommen wäre. Und dann die letzte Strecke zu Fuß! Ich bin diesen Weg, glaube ich, kaum einmal langsam gegangen; abends heimbegleitet hat mich nie jemand, den Mannheimern war das immer zu weit. Und ich rannte auch diesmal, immer schneller. Hindurch durch die Vorstadt, ein Stück Landstraße – da sieht man schon unser Haus. Ich lief und lief, das Köfferchen schlenkerte mir um die Beine. Da: Rudolfshof! Drei Stufen, die Haustür. Erst stolperte ich über Anna, die, klein, grau und alt, nur einen Quiekser ausstoßen konnte, nachdem sie mich erkannt hatte, und hinein ins Wohnzimmer.
»Mami, Mami!«
Mutter lag auf der Couch, braungebrannt mit roten Pausbacken – sie sieht ja immer aus, als wäre sie eben im Urlaub gewesen –, und wir küßten einander und lachten und sprachen atemlos; wir brachten keinen Satz zu Ende. So geht das immer, mit Mutter ist es wie mit einer Freundin.
Wir kamen auch bald aufs Wesentliche, denn Mutter fragte, ob ich denn weggekonnt hätte und nichts Wichtiges verpaßte.
Doch, sagte ich, eine Verabredung. Und nun brach mit einem Mal durch, was ich vor mir selbst bisher nicht hatte zugeben wollen: der Kummer mit diesem Mann, mit Roland Hart. Wenn man bei Mutter sitzt, ist das mitunter so. Sie fragt nie neugierig oder zudringlich oder auch streng, wie andere Eltern es tun, wenn man den Erzählungen meiner Bekannten glauben darf; aber sie versteht etwas, was heutzutage Seltenheitswert hat: sie kann zuhören. Nicht nur mit dem Ohr, auch mit dem Herzen. Und da öffnet sich einem das eigene Herz von selbst.
Ich bin Goldschmiedin geworden, weil ich gern mit schönen Dingen umgehe, und auch, weil ich mir einbildete, man könne mit schönen Formen und edlem Material anderen Menschen das Leben bereichern. Ebenso, meinte ich, dächte und fühlte Roland Hart, und ich glaubte in ihm den Hundertprozentigen gefunden zu haben, wie Petra und ich es nennen. Dann aber wurde mir klar, daß für ihn ›schön‹ oft dasselbe ist wie ›günstig‹, ja, daß er manchmal den Leuten, die im Geschmack unsicher sind, Kitsch verkauft, statt ihnen beizubringen, was wirklich wertvoll ist. Nur weil es Geld einträgt. Er hat dann ein kleines mokantes Lächeln, das ich gar nicht mag. Einmal hat er es sogar ausgesprochen. »Laß sie doch, wenn sie es schön finden! Sie bezahlen es ja.« Da sank er in meinen Augen von seinen hundert Prozent auf bestenfalls zwanzig.
Ich erzählte Mutter davon, soweit sich dergleichen überhaupt in Worte fassen läßt, und dabei kamen mir die Tränen.
Sie nahm mich um den Hals. »Ich kann dir nachfühlen, Kari, daß das weh getan hat. Aber wenn man schon heiratet, dann muß es der Richtige sein, der ganz Richtige, nicht wahr?«
»Und woran merkt man das? Bei Roland hab ich es so sicher geglaubt, lange Zeit.«
Mutter lächelte mich an, so lieb, wie nur sie es kann. »Das merkt man schon eines Tages. Nicht immer sofort. Aber plötzlich weiß man: das ist er.«
»Ob ich das auch merke? Du hattest Vater, Mami, du warst gut dran.«
»Ja.« Mutter sagt zuweilen ein einziges Wort, da ist alles drin. Dann fragte sie behutsam weiter: »Erzählst du mir noch etwas von ihm, oder möchtest du lieber nicht?«
»Doch. Er ist sehr begabt, hat ein großartiges Examen gemacht und einen Preis und zwei Wettbewerbe gewonnen und ... Weißt du, er ist sehr einfallsreich, von der Formgebung her, ein ganz toller Goldschmied. Viel, viel besser als ich. Und –«
»Nun?«
»Eine Stimme hat er, Mami, eine Stimme, wie dunkler Samt, so weich. Wenn ich die hörte –«
»Du sagst: hörte.« Sie betonte das ›te‹ etwas stärker.
Ich nickte. »Ja, hörte. Ach, Mami ... Weißt du, gern hab ich ihn immer noch, aber der Richtige ist er wohl nicht.«
Mutter schwieg. Endlich sagte sie leise: »Bei dir kommt auch noch der Richtige. Und angewiesen aufs Heiraten seid ihr ja nicht, ihr Mädchen heute, ihr habt euern Beruf. Wieviel leichter hätte ich es gehabt, damals als Vater starb ...«
Mutter kam ins Erzählen, wie sie Vater kennengelernt hat. Er war auch nicht ihre erste Liebe, das finde ich sehr beruhigend. Sie brauchte einige Zeit, bis sie entdeckte, daß er der Richtige war. Ein anderer hatte ihr den Blick verdunkelt, und ihre Augen mußten erst wieder klar werden. Wir gut ich das verstand! Auch aus ihrer kurzen Ehe erzählte mir Mutter; nur neun Jahre war sie verheiratet – und fünf Jahre davon waren sie getrennt durch den Krieg.
»Es ist nicht leicht, eine gute Ehe zu führen, Kari, auch nicht mit dem geliebtesten Mann. Ich bin sehr glücklich mit Vater gewesen, aber ich mußte viel Lehrgeld zahlen, bis ich verstand, daß einem eine glückliche Ehe nicht beschert wird, sondern daß man sie erringen muß, jeden Tag aufs neue. Beide müssen darum kämpfen, vor allem aber die Frau. Und nicht das erste Jahr war das schönste, vielmehr das letzte. Es ist nicht gut, zu früh zu heiraten, Kari, glaub mir. Je älter man wird, desto besser erkennt man, welches der Richtige ist. Wer einen befriedigenden Beruf hat, kann es sich leisten, zu warten und abzuwägen. Da wir grade vom Beruf sprechen, Karola Rudolf: wie ist es? Hast du den rechten gefunden? Oder möchtest du noch wechseln? Du bist jung, noch wäre es Zeit.«
»Hm.« Ich überlegte. »Wahrscheinlich sind alle Berufe, wenn man darin ist, etwas anders, als man sie sich vorgestellt hatte. Ich wollte mit meinem den Menschen Freude machen. Vielleicht gelingt es mir auch eines Tages. Vorläufig bin ich noch nicht soweit. Das Handwerkliche, ja, das gefällt mir, aber das ist ja nicht das Ausschlaggebende.«
»Schön. Warten wir noch ein wenig ab. Und nun gibst du deinen Urlaub dran, mich zu vertreten. Ein großes Opfer, Kari, sag?«
»Ich bin gern gekommen, Mami, wirklich«, sagte ich schnell, und es war keine Lüge. »Ich reite gern für dich. Überhaupt ...« Wahrhaftig, jetzt erst fragte ich, sehr beschämt, nach ihrem Sturz.
Mutter erzählte. Tigul ist ihr durchgegangen. Er bekommt manchmal Anfälle von Raserei. Dafür kann er nichts, sagt sie. Tigul ist unser Hengst, und ihn reitet nur sie selbst. Sie kommt meist ganz gut mit ihm zurecht, nur mitunter erweist er sich als der Stärkere. Er hat sie abgesetzt, und da er auf eine große Autostraße zustrebte, ließ Mutter nicht los und wurde einige siebzig Meter geschleift, bis er stand.
»Was du nicht alles anstellst. Und wo ...?«
»Landkarte auf Südpol.«
Wir kennen das. Unzählige Male sind wir ›ausgestiegen‹, wie der Reiter sagt, in Brennesseln gelandet, haben Schlüsselbeine gebrochen, Haut gelassen und Knöchel verstaucht. Blaue Flecke zählen schon gar nicht. Mir ahnte aber, daß es Mutter gewaltig erwischt haben mußte.
In diesem Moment kam Anna hereingehatscht und schleppte ein Tablett mit Spiegeleiern und Kaffee und Schinken und Sahne herzu. Sie ist bereits in der Familie gewesen, als Großvater noch das Gut bewirtschaftete, und da hatte man jeden so begrüßt. Tatsächlich knurrte mir der Magen, vom Weinen bekomme ich immer Hunger, und es schmeckte mir herrlich. Mutter legte sich auf die Couch zurück.
»Also morgen geht’s los«, sagte sie. »Mir ist von den schmerzstillenden Tabletten schon ganz komisch. Nun kannst du die Kolonne führen. Ich komme mit dem Futterwagen am Abend nach, am Tag aber darf ich liegen, eine Wohltat!«
»Bleibst du auch bestimmt liegen und schonst dich?«
»Ich verspreche es dir. Um so schneller werde ich ja wieder gesund.«
»Und