Ritt in den Morgen. Lise Gast

Читать онлайн книгу.

Ritt in den Morgen - Lise Gast


Скачать книгу
weder übertrieben ehrgeizig noch lebensmüde. Ist Wisky noch frei?«

      »Wenn du ihn möchtest, kriegst du ihn, selbstverständlich.«

      Wisky ist ein gedrungener, nicht hoher, aber überaus munterer Wallach, der sozusagen von allein vorwärtsgeht. Wenn man wie wir von Kind auf reitet, hat man keine Schwierigkeiten mehr und bevorzugt Pferde, die Gang haben. Lieber dreimal abgeworfen werden als treiben müssen.

      »Fein! Und wer reitet alles mit?«

      Was nun kam, war der Wermutstropfen. Lauter Frauen hatten sich gemeldet. Reiten ist die Leidenschaft des weiblichen Geschlechts, wenn auch die Spitze dieser Kunst immer noch von Männer gehalten wird. Männer wollen im Sattel etwas leisten, Frauen lieben das Pferd, den Leder- und Stallgeruch, kurz, die Romantik des Reitens.

      »Ein ausgesprochen weibliches Unternehmen!«

      »Arme Kari. Aber es sind nette dabei«, tröstete Mutter. Und dann leuchteten ihre Augen auf. »Vielleicht stößt auch Tobias zu euch. Er sprach davon, wußte nur nicht, ob er das Pferd bekäme. Und einen Vertreter. Du kennst Tobias noch nicht?«

      »Nein, nie gehört.«

      »Lore hat ihn einmal mitgebracht. Seitdem reitet er öfters bei uns. Zur Zeit wohnt er in Mannheim bei Freunden von Lore, Apothekersleuten.«

      Ich holte die Wanderkarte, und wir vertieften uns. Der erste Tag werde hart, sagte Mutter, über fünfzig Kilometer, mit zwei Pausen, dafür sei alles Ebene. Für die folgenden Tage hatte sie kleinere Strecken angesetzt. Wir müssen uns ja auch danach richten, wo man mit den Pferden übernachten kann. Einige Gasthöfe in entsprechenden Entfernungen kennen unsere Kavalkade schon seit Jahren. Diesmal ging es also zunächst bis Sankt Martin, einem Städtchen am Rande des Pfälzer Waldes. Der ›Goldene Ring‹ dort hat gute Bergweiden für die Pferde und einen ausgezeichneten Weinkeller für die Menschen, was mich nicht besonders interessiert, aber manche unserer Kunden.

      »Du kennst ja den Weg. In Sankt Martin kommt noch eine Dame aus Berlin dazu, für die müßt ihr ein Handpferd mitnehmen. Was meinst du, vielleicht Sherry?«

      Ich verschluckte einen Seufzer. Der Ritt an sich kam mir nun schon verlockend vor, aber ein Handpferd mitschleppen zu müssen begeisterte mich wenig. Gewöhnlich geben wir die ›leeren‹ Pferde den mitreitenden Männern, also den Studenten oder Schülern, und die wechseln untereinander ab. Wenn ein Handpferd nicht hervorragend geht, ist das Reiten wirklich kein Genuß mehr. Und unsere Isländer sind bockig ...

      Mutter versuchte mir einzureden, daß vielleicht – da ging das Telefon. Ich nahm ab und atmete auf. Es war meine Freundin Lore, die ich sehr lange nicht mehr gesehen hatte. Ob noch ein Pferd frei sei, fragte sie, sie würde gern mitreiten. Es freute mich, daß sie mitkam; Lore kann man bedenkenlos ein Handpferd anhängen, notfalls einen jungen Elefanten. Sie gehört zu der Sorte von Mädchen, die so patent, vernünftig und brauchbar sind, so zuverlässig und kameradschaftlich, daß sie fast nie geheiratet werden. Die Männer sind doch ein dummes Volk. Bei Lore kann es freilich auch sein, daß sie zu wählerisch ist. Sie ist überaus tüchtig im kaufmännischen Beruf, sehr klug und viel reifer als ich.

      »Natürlich bekommst du ein Pferd, Lore. Großartig. Mutter läßt grüßen.«

      »Siehst du«, sagte Mutter nachher erleichtert, »wenn Lore mitreitet, hast du doch jemand Vertrautes dabei.« Das fand ich auch. Dann aber mußte ich mich in die unteren Gemächer des Hauses begeben, wo Trensen, Ponchos und Kopfgeschirre numeriert an der Wand hängen sollen, die Sättel auf Böcken. In Wirklichkeit ist allerdings nichts dort, wohin es gehört. Immer wieder bringt jemand alles durcheinander, sucht etwas, wirft vieles herunter, stapelt aufeinander, schimpft über den Kuddelmuddel und vergrößert ihn dabei nur noch mehr. Da hilft keine Schlamperkasse, die Mutter eingeführt hat, um Nachlässige zu erziehen; aus ihrem Erlös bekommt alljährlich das Waisenhaus unseres Ortes am Tag des Nikolausrittes beschert.

      Ich fing also an, zu suchen und zu ordnen, und nach einer Weile tauchte Anna auf, um mir zu helfen. Es ist noch nicht lange her, da haute sie mir, wenn ich einmal träumerisch ins flackernde Kaminfeuer starrte, eins hinten drauf und schalt: »Steh nicht rum, tu was!«

      Seit ein paar Jahren haut sie nicht mehr. Ob ich jetzt erwachsen bin und sie deshalb Respekt vor mir hat? Oder wird sie alt? Ich meine, alt war sie schon, als ich geboren wurde.

      Kurz und gut, sie half und unterhielt mich dabei, wie schon so oft, indem sie darüber lamentierte, daß Petra und ich so ›städtische‹ Berufe haben. »Könntet ihr nicht einen Landwirt oder Tierarzt oder sowas Nützliches heiraten?« grollte sie. »Einen Mann, der den Betrieb hier in Schuß bringt und eurer Mutter das Schlimmste abnimmt?«

      »O Anna! Schon als Wickelkinder wolltest du uns verheiraten. Du bist doch auch ohne Mann durchs Leben gekommen!«

      »Ich? Ich habe ja hier meine Heimat«, sagte sie barsch. »Ich auch«, erwiderte ich lachend und nahm ihr damit den meisten Wind aus den Segeln, nicht allen; aber ihre Bemerkung wollte mir doch nicht aus dem Sinn, während wir weiter sortierten. Wenn Mutter nun schon keinen Sohn hat, sollte sie wenigstens einen handfesten Schwiegersohn kriegen. Das wäre gar nicht schlecht.

      Ich konnte nicht länger grübeln, sondern mußte aufpassen: hier Granis Trense und dort Gins Bauchgurt, der muß an Gislis Sattel; halt, nein, Gislis Sattel trägt seit einiger Zeit Rautka, dafür kriegt Sherry Rautkas Schweifriemen ... Ich kenne das, und es wäre zum Verzagen, wenn man nicht aus Erfahrung wüßte, daß zuletzt, o Wunder, doch alles vorhanden ist, was man braucht, und man aufatmend und erwartungsfroh an den nächsten Tag denken kann.

      So geht es mir jedesmal. Obwohl: unsere goldene Kinderzeit im Sattel, um die jeder uns beneidet, hatte wahrhaftig auch ihre Schattenseiten. Mutter nimmt jeden an, der hier Urlaub machen will, sie hat den Sprachfehler, daß sie nicht »nein« sagen kann. Jeden Sommer bettelten wir, doch ausnahmsweise unser Zimmer behalten zu dürfen, und jedes, jedes einzige Jahr kam es trotz mütterlicher Versprechungen eines unschönen Tages doch wieder so, daß es hieß: »Ja, Sie können das Zimmer meiner Töchter haben. Aber ich bitte Sie, für diese kurze Zeit! Drei Wochen. Da machen sie es doch gern einmal frei.«

      Gern! Einmal! Aber wir taten es, notgedrungen, denn schließlich leben wir davon. Wir schliefen auf Luftmatratzen im Flur oder im Badezimmer oder in der Dachkammer, wo es heiß ist wie unter den Blechdächern von Venedig, und strahlten pflichtschuldigst, wenn die Bewohner unseres Zimmers sich bedankten. Trinkgelder bekamen wir nie, wir sind ja die Töchter des Hauses ... Ich will gar kein Trinkgeld. Aber es ärgert mich, wenn immer wir die Unordnung der andern schlichten und am Morgen des Abrittes alles besorgen müssen, vom Zaumzeug bis zum elektrischen Zaun, vom Futter bis zum Gepäck, das im Wagen nachkommt.

      Es war später abend, als ich, müde und verstaubt, endlich ins Wohnzimmer kam. Die meisten Reiterinnen waren schon da, und man empfing mich freundlichnachsichtig.

      »Ein verlängertes Mittagsschläfchen gehalten?« So begrüßte mich gönnerhaft Gloria, die Dame, die angeblich jeden Abend eine Stunde Dressur reitet, auf Großpferden natürlich, wie sie betont. Und ihre Freundin Germa, von uns ›Tante Turtelhütchen‹ genannt, weil sie stets mit abenteuerlichen Kopfbedeckungen reitet, fügte wehmütig hinzu: »Ach ja, als junges Mädchen hat man noch Zeit, auszuschlafen. Unsereins wäre glücklich, wenn er auch einmal ausruhen dürfte.«

      Ich sagte nichts, lächelte so liebenswürdig wie möglich und setzte mich zu Tisch.

      Mutter reichte mir den Rest Obstsalat herüber, den sie vorsorglich für mich beiseite gestellt hatte. Viel war es nicht mehr.

      Gäste sind Gäste. »Du sollst deinen Gast ehren wie einen Gott.« »Der Gast, und ist er noch so schlecht, er wird geehrt, es ist sein Recht.« Hunderttausendmal habe ich das gehört und am Ende auch berücksichtigt. Aber eins weiß ich: einen Verleihstall mache ich einmal nicht auf. Meine Kinder, sollte das Schicksal mir je welche bescheren, dürfen in ihren Betten bleiben und müssen nicht Urlaub nehmen, um einzuspringen ...

      Halt! Einspringen tat ich selbstverständlich gern, doch ja. Ich blinzelte Mutter, die mich besorgt betrachtete, tröstend zu und ging sogar auf ein Gespräch mit Frau Häberle ein,


Скачать книгу