Herzblut. Rudolf Stratz

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Herzblut - Rudolf Stratz


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die Abteilungen zum Dienst oder kamen von ihm und klirrten die Offiziersäbel auf dem Pflaster und führten die Burschen ledige Pferde. Man hörte des Abends den Zapfenstreich und des Morgens die Reveille vor den Fenstern — es schien fast, als sei das ganze Ackerstädtchen nur um die mächtigen, vierstöckigen Quadrate der Mannschaftsquartiere herumgebaut, und Jakobe Ansold, der Generalstochter, die von ihrer frühesten Kindheit ab nur in dieser Luft preussischen Waffentums geatmet, wäre das auch ganz natürlich erschienen.

      Am fremdesten dünkte ihr jetzt ihr eigenes Heim. Es hatte ihr nie recht Freude gemacht. Es war kaum ein Stück in diesen Zimmern, an dem ihr Herz mit irgend einem inneren Anteil hing. Die ganze Ausstattung war seinerzeit rasch und billig angeschafft worden, so gut oder so schlecht es eben der damalige Oberst von Dolmar, ihr Vater, bei seinen knappen Mitteln und vielen Kindern zu erschwingen vermochte. Eine Mitgift hatte er seiner Tochter überhaupt nicht geben können. Nur diese karge Aussteuer. Und das war ja eben das Glück, die grosse Freude der Familie gewesen, dass Jakobe, mit eben erst achtzehn Jahren, im Regiment selbst einen soliden, tüchtigen jungen Leutnant als Freier gefunden, der sofort das Kommissvermögen aus eigenen Mitteln auf den Tisch zu legen und sie heimzuführen im stande war. Man wusste ja — sie selbst am besten — wie schwer arme Offizierstöchter unter die Haube kamen. Alle Welt hatte ihr zugeredet, sie gedrängt ... und sie hatte Ja gesagt in einer dumpfen Hoffnung, dass das wohl das Glück sei. ...

      Das schien ihr jetzt so lange her ... ein ganzes Menschenleben lang — und war doch wenig mehr als zehn Jahre, die still und einförmig in der kleinen Garnison verstrichen waren, und an die viele weitere, ebensolche sich gereiht hätten, wäre nicht dieser Sommer gewesen — die innerliche Entwurzelung, die grosse Lebenswende — und nun der Strich unter allem.

      Sie kannte ja ihren Mann. Aber sie staunte manchmal doch, dass er so gar nichts merkte, sondern ass und schlief und seine Kasino- und Exerzierplatzneuigkeiten erzählte, wie sonst. Freilich, sie waren jetzt ganz besonders selten beisammen. Er hatte diesmal, wo das Regiment in das Kaisermanöver ging, alle Hände voll zu tun und brütete über der Generalstabskarte in dem dumpfen Bewusstsein, dass er da oben, bei den höheren Vorgesetzten als guter Kompaniechef, aber nicht gerade als ein Kirchenlicht galt, und stand in tiefem Sinnen vor seinen beiden etwas ältlichen Hauptmannspferden, zweifelnd, welcher von beiden, der Fuchs oder der Braune, bei der grossen Parade des Auges Seiner Majestät würdiger sei, und verhandelte stundenlang mit dem Feldwebel und Kammerunteroffizier über weisse Hosen und zweite und dritte Garnituren. So sahen sich die beiden Gatten tagsüber kaum mehr, und Abends war der Hauptmann Ansold, wenn er nicht seine allwöchige Kegelpartie im Kasino oder seinen Skatabend mit dem Stabsarzt hatte, so müde, dass er meist bald nach dem Essen sich auf das Kanapee legte und einschlief. Anfangs hatte er sie dabei früher um Entschuldigung gebeten. Dann war er es gewohnt und fand es sehr behaglich und sie sass dabei und machte sich mit irgend einer Handarbeit zu schaffen und warf zuweilen über die Lampe hin einen langen Blick nach dem Schläfer — sonderbar ernst — forschend wie nach einem fremden Mann. ...

      Und so verstrichen die Abende — und so verstrichen die Tage — langsam einer nach dem andern und einer dem andern gleich und die Zeit des Manövers kam.

      Schon über die vorhergehende Woche warf es seine Schatten voraus. Hauptmann Ansold beriet sich eindringlich mit den Herren der Kompanie und schrieb sich ein Verzeichnis der blau- und rotverkapselten Flaschen, die man in der Weinkiste, der sogenannten „Bundeslade“, auf den Gepäckwagen mit sich führen sollte, eine Anzahl Offiziersdamen machte sich reisefertig und fuhr mit Kind und Kegel über die drei Herbstwochen in ein Bad, zu den Eltern, zu Verwandten auf das Land, im Gasthof „zum deutschen Haus“ stiegen ausser den Schnittwaren-, Wein- und Papierreisenden ein halbes Dutzend unbekannter jüngerer Herren in Zivil ab und kam am folgenden Morgen in der vollen Pracht der Waffen als die dritte diesjährige Garnitur der Reserveleutnants zum Vorschein.

      Tags darauf lag der ganze Kasernenhof voll Stroh. Man konnte von den Ansoldschen Fenstern aus in die ungewohnte Unordnung sehen, in der die Zahlmeister herumstiegen, die Feldwebel schimpften, Büchsenmacher, Militärhandwerker, Lazarettgehilfen, Schiessunteroffiziere, Ordonnanzen, Burschen durcheinander liefen, und endlich wurden von der Wohnung des Obersten die Fahnen abgeholt, das Regiment formierte sich und kam mit Trommelwirbel und Pikkoligeschrill die Hauptstrasse herunter, eine lange Kette blitzender Helme und matter Gewehrläufe — an der Spitze das erste Bataillon, dann das zweite — voran die fünfte Kompanie. Vor der ritt Jakobes Mann, den Gaul sehr vorsichtig mit den Zügeln kurz haltend, denn das Pflaster war holperig und die Stute alt — den blanken Säbel in der Rechten, die Schuppenketten unter dem Kinn, was seinem gutmütigen, breiten, trotz des Schnurrbarts etwas leeren und nichtssagenden Gesicht einen martialischen Ausdruck verlieh. Seine Augen waren immer matt. Er war recht kurzsichtig und richtete sich auch jetzt unwillkürlich in den Bügeln auf, wie um seinem Blick nachzuhelfen, während er nach oben spähte, ob da nicht seine Frau am Fenster stände und ihm noch einen Gruss auf den Weg zuwinkte.

      Aber Jakobe war in die Mitte des Zimmers zurückgetreten. Das konnte sie nicht. Mochte er jetzt lieber enttäuscht sein und verdrossen über ihre Saumseligkeit weiter reiten, als dass sie sich das letzte Mal, wo sie beide sich als Mann und Frau in die Augen sahen, auch noch verstellte. Sie stand, die Arme schlaff herabhängen lassend, an dem runden Sofatisch und rührte sich nicht und hörte von unten weiter und weiter die schweren, gleichmässig stampfenden Tritte der Mannschaft und das Getrappel der Offizierspferde, und hatte die Empfindung, dass jetzt eben, in dem Augenblick, wo ihr Mann betroffen nach dem leeren Fenster ihrer Wohnung hinaufgeblickt, eigentlich ihre Trennung von ihm vollzogen sei. Und zugleich setzte, schon in der Ferne, an der Spitze des ersten Bataillons nach dumpfem Paukenschlag die Regimentsmusik ein. Sie spielte das alte fröhlich-wehmütige: „Muss i denn, muss i denn zum Städtele ’naus ...“ und Jakobe Ansold dachte sich, das gelte auch für sie, und zum ersten Mal war das alles stärker als sie, und sie setzte sich auf das Sofa nieder und legte den Kopf auf die Arme und weinte lange Zeit.

      Dann aber kehrte ihre Spannkraft wieder. Bisher hatte sie nur planen und denken können. Nun war die Zeit zum Handeln gekommen, und dies Handeln fiel ihr jetzt so leicht, dass ihr alles, was sie tat, als völlig selbstverständlich und notwendig erschien. Noch Vormittags ging sie auf die Post und schrieb auf ein Telegrammformular eine kurze Anfrage: „Kann ich morgen zu Dir auf Besuch kommen? Gruss. Jakobe“ — und versah die Depesche mit der Aufschrift: „Fräulein von Kritzing, Schulvorsteherin, Berlin“. Fünf Stunden später traf die Antwort ein: „Willkommen“. Das alte Fräulein von Kritzing, Jakobes mütterliche Freundin und entfernte Verwandte, war zu praktischen Sinns und hatte mit ihrer privaten Mädchenschule viel zu viel zu tun, als dass sie sich den Kopf über die plötzliche Anmeldung zerbrach. Und Jakobe Ansold nickte und begann ganz ruhig und ordnungsmässig, zum Staunen ihres Mädchens, das mit ihr allein in der Wohnung zurückgeblieben war, ihre Reisevorbereitungen zu treffen. Sie hatte früher immer eine besondere Angst gerade vor diesen Stunden gehabt. Sie fürchtete, ein plötzlicher Anfall von Verzweiflung über ihr verfehltes Leben könne sie im entscheidenden Augenblick übermannen. Aber zu ihrer eigenen Überraschung blieb sie ganz gelassen. Es war ihr alles gleichgültig — die Stadt, die ihr durch zehn Jahre eine Heimat geblieben — die Menschen darin — manche hatte sie ganz gern, andere waren ihr zuwider gewesen — das lag nun schon alles hinter ihr. Sie ordnete, was zu ordnen war, voll von der kühlen Umsicht der Hausfrau, die ihr Heim fremden Händen anvertrauen muss und Sorge trägt, dass inzwischen kein Schaden geschieht. Es lag eine schützende Kraft gegen neues Zagen in diesem alltäglichen Tun, in diesem Falten von Kleidern und Wäsche, diesem Verschliessen von Schränken und Kästen, diesem Herablassen von Vorhängen und Überziehen von Möbeln und Abrechnen mit dem Mädchen.

      Nachdem das Haus bestellt, war ihre eigene Habe rasch gerichtet. Sie nahm nur wenig mit, nur das Allernotwendigste. So war der Tag herumgegangen. Das Abendrot färbte die Giebel des Städtchens und die weite märkische Ebene dahinter, als sie schwer aufatmend den Koffer schloss. Sie hatte von früh ab fast nichts mehr zu sich genommen und lag nun die ganze Nacht schlaflos mit offenen Augen da. Aber das schwächte ihre Kräfte nicht. Die waren zu angespannt, die fieberten in einem Übermass von Willen dem Morgen entgegen.

      Zeitig am nächsten Tage erschien der Musketier des Wachkommandos, den sie sich bestellt, um ihre Sachen auf die Bahn zu schaffen. Sie selbst ging mit dem Mädchen, das


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