Herzblut. Rudolf Stratz

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Herzblut - Rudolf Stratz


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ihrem Gast um und sagte: „Nun wollen wir einmal ganz offen sein, Jakobe! Du nimmst es gewiss nicht übel. Es ist furchtbar lieb von dir, dass du gerade zu mir gekommen bist und Vertrauen gehabt hast, und ich will das gewiss nicht enttäuschen. Aber, in einer so heiklen Geschichte — wo du doch deinen Vater in Berlin hast und einen verheirateten Bruder ... wäre es denn da nicht besser, wenn du ...?“

      „Wenn ich zu meinem Vater ginge? Ich kann es nicht, Tante! Nicht nur, weil er gar nicht darauf eingerichtet ist, mich aufzunehmen — er hat doch keine ordentliche Wirtschaft, sondern nur einen Diener, und isst irgendwo und läuft in Berlin herum und meint im Spass, er sei ein Junggeselle mit sechs Kindern und vierzehn Enkeln — aber auch wenn das anders wäre: Ins Vaterhaus zurückkehren — das ist wie eine Flucht ins alte Nest — ein ängstlicher Unterschlupf — beinahe lächerlich nach zehn Jahren — nein, ich habe den Entschluss ganz aus freiem Willen gefasst, ohne einen Menschen zu fragen, ich will jetzt auch die volle Verantwortung dafür tragen!“

      Und mit einem herben Spott um den Mund setzte sie hinzu: „Oder kannst du dir mich jetzt als Gast bei meinem Bruder und seiner Frau vorstellen? Die und eine geschiedene Schwägerin im Hause ...! Ich kann es ja überhaupt niemandem auf der Welt verargen, wenn er unter diesen Umständen für meine Gesellschaft dankt!“

      Sie hatte hastig und erregt gesprochen. Es schien, als wartete sie nur auf den ersten Wink, um wieder zu gehen und sich mit ihren Habseligkeiten von neuem einer Droschke anzuvertrauen. Aber Fräulein von Kritzing beugte sich zu dem Handgepäck, das noch im Zimmer stand, hernieder, nahm die Reisetasche in die rechte, die Plaidrolle in die linke Hand und schritt damit ohne weiteres zu der Nebentüre, deren Klinke sie mit dem Ellenbogen öffnete.

      „So!“ sagte sie. „Da ist dein Zimmer! Du kennst es ja von früher! Gib mal deinen Hutkarton herüber! Danke ... Dein Koffer kommt gleich! Also da mache es dir nun bequem und bleibe darin, solange du willst! Ich bau’ jetzt auf die Zeit. Hoffentlich kommt die schreckliche Geschichte doch noch irgendwie ins Geleise!“

      Jakobe dankte ihr nicht mit Worten. Als sie hinter der anderen in das freundliche Stübchen getreten war, schlang sie ihr von rückwärts den Arm um die Schulter und beugte sich zu ihr nieder und küsste sie stumm und scheu auf die Wange. Und nun wurde die kleine dicke Dame von neuem von Ergriffenheit überwältigt. Sie legte ihren mit einem Häubchen geschmückten Kopf an Jakobes Brust — höher reichte sie nicht — und schluchzte wieder so bitterlich drauf los, als sei ihr und nicht jener alles Leid im Leben widerfahren. Und die junge Frau sah von oben tränenlos auf sie herab. Dann setzte sie sich, nachdem Fräulein von Kritzing sie verlassen, am Schreibtisch nieder und warf hastig die Zeilen auf das Papier — die Feder jagte ihr förmlich in der Hand — sie besann sich keinen Augenblick — sie schüttelte sich die schwere Last ihres bisherigen Geheimnisses ab, indem sie, ohne aufzublicken, ohne ein Wort durchzustreichen, an ihren Mann in das Manöverquartier schrieb:

      „Du erhältst diesen Brief von mir aus Berlin, und was er Dir bringt, ist der schwerste Schritt meines Lebens. Ich habe lange mit ihm gerungen. Aber ich muss ihn tun. Ich kann nicht zurück, und es schmerzt mich nur so sehr um Deinetwillen, dass er Dich so unerwartet trifft. Und doch liegt vielleicht gerade darin, dass Du so wenig von mir kennst, so gar nichts sahst, was in den letzten Monaten in mir vorging, für mich wieder eine Rechtfertigung.

      „Ich will es Dir kurz und einfach sagen: Ich habe heute, nachdem Du in das Manöver bist, ebenfalls unser Haus verlassen. Ich habe damit bis zu diesem Zeitpunkt gewartet. Hätte ich es getan, während Du noch da warst, so wäre es eine Flucht gewesen! So ist es eine Abreise, die zunächst niemandem weiter auffällt, und um unserer beider willen ist jedes unnötige Aufsehen vermieden, bis wir uns miteinander ganz ausgesprochen haben und hoffentlich zur Übereinstimmung über die Zukunft gekommen sind.

      „Denn das muss ich Dir nun mit schwerem Herzen und ganz festem Willen sagen: Zurück zu Dir kann ich nicht mehr. Nie wieder. Ich habe hier bei Therese Kritzing ein vorläufiges Unterkommen gefunden und will versuchen, mir von hier aus ein neues Leben durch meiner Hände Arbeit aufzubauen, ohne die Hilfe oder die Gegenwart eines Dritten. Darauf gebe ich Dir einen Eid: Es hat kein Dritter auf meinen Entschluss eingewirkt — es ist kein Dritter in meiner Nähe und in meinem Leben und wird es nie sein.

      „Die Gründe meines Entschlusses — ich bin sie Dir schuldig. Aber ich weiss nicht, wie ich sie in den Rahmen eines Briefes bringen soll. Schreiben lässt sich derlei nicht, wenigstens jemandem nicht, der einem so nahe steht wie Du mir und doch weniger von mir weiss als viele andere Menschen und so unvorbereitet ist auf das, was nun kommen musste. Da versagt die Feder. Die Worte bekommen eine ganz andere Bedeutung — sie werden ganz anders gelesen, als man sie beim Schreiben empfand — man entfremdet sich noch mehr, statt sich zu begreifen.

      „Wir müssen uns sprechen. Hier in Berlin. Bei der Kritzing. Wann Du kommen kannst. Da will ich dann ganz offen sein und versuchen, Dir zu erklären, was in mir vorgegangen ist und wie ich jetzt bin, und warum eine Ehe wie die unsere, die vor mir und meinem Gewissen keine mehr ist, getrennt werden muss. Es muss sein. Du tust mir so leid. Du hast ja an alle dem gar keine Schuld. In tiefem Schmerz

      Jakobe.“

      II

      Jakobes Brief erreichte den Hauptmann Ansold am Abend des dritten Manövertags, als er in einem kleinen verregneten märkischen Nest mit seinem Freunde, einem anderen Kompaniechef, in einem kahlen Stübchen zusammen sass, fror, rauchte, auf die Quartiermacher schimpfte und nach der Uhr sah, ob das Gepäck denn noch nicht käme und man sich endlich menschlich machen und zum Essen gehen könne. Draussen dämmerte es. Der ewige Gleichschritt immer neu einrückender Truppenteile dröhnte auf dem nassen Pflaster, Batterien rasselten und schütterten langsam vorbei, irgendwo in der Nähe putzten Regimentsmusiker ihre feucht gewordenen Blechinstrumente und entlockten ihnen sonderbare, kurze, heulende Probetöne, der Bursche war verschwunden, um die Pferde Gott weiss wo unterzubringen, und Leopold Ansold, der sonst während des Manövers immer in besonders guter Laune war, ging unwirsch im Zimmer auf und nieder, und sein Gefährte, der Häuptling der Sechsten, gähnte nur, weil er zu faul war, zu reden, und sich ausserdem Mittags wütend über den Major geärgert hatte. Eine Weile schwiegen beide und horchten missgestimmt auf das Prasseln der Regentropfen, die der Herbstwind gegen die Scheiben trieb, und dabei hellte sich das Gesicht des Hauptmanns Ansold ein wenig auf. Da nahte der Feldwebel — das war doch etwas — nun kam die Geschichte allmählich in Gang, und er nickte dem Eintretenden freundlicher als sonst zu und warf einen Blick auf die Dienstsachen, die jener brachte, und auf einen Brief mit den Schriftzügen seiner Frau, der obenauf lag, und öffnete den zerstreut. Eigentlich hätte er es lieber nachher getan — die militärischen Angelegenheiten gingen vor — er wollte auch nur dem Feldwebel Zeit lassen, seinen abgebrochenen Bleistift wieder zu spitzen — und dann sagte er plötzlich dumpf vor sich hin: „Wa — was?“ und liess die Hand mit dem Schreiben sinken und stand da und rührte sich nicht mehr.

      Sein Untergebener wagte nicht, ihn anzureden. Endlich begann er doch: „Herr Hauptmann, der Herr Stabsarzt sagt, das sei gar kein Knöchelbruch, womit der Einjährige Funk sich dicke täte, sondern einfach ’ne Sehnenzerrung und ...“ aber da verstummte er schon wieder, so sonderbar geistesabwesend sah ihn sein Kompaniechef an und so wunderlich murmelte er: „So .. so .. der Funk ... schön ... gehen Sie nur wieder, Krause, mit allen Ihren Wischen!“ und kaum war der Feldwebel aus dem Zimmer, so schnallte der Hauptmann sich seinen Säbel um, stülpte den Helm auf, fuhr in die feuchten Handschuhe, den feuchten Mantel, und stürzte davon, quer über die Strassen, in der Dunkelheit fast rennend, zu der Wohnung des Obersten, der ihn bei seinem Eintritt erstaunt frug: „Na — was ist denn los? Brennt’s bei Ihnen, Ansold?“

      „Herr Oberst — ich muss auf der Stelle nach Berlin!“

      „Ja — warum denn?“

      Und der andere stiess hervor: „Meine Frau ist auf einmal dort und will nicht wieder zu mir! Ich verstehe das einfach nicht ... verzeihen Herr Oberst ... ich bin wie vor den Kopf gehauen ... ich ...“

      Ihm fehlten die Worte. Er schaute verwirrt seinem Vorgesetzten ins Gesicht und schämte sich plötzlich, dass er das alles gesagt habe. Auch der Oberst blieb einen Augenblick still, in raschen und sehr ärgerlichen Gedanken. Wäre


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