Herzblut. Rudolf Stratz

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Herzblut - Rudolf Stratz


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— von der Rechtfertigung bis zur Anklage.

      „War unser Haus nicht schon verwaist?“ frug sie. „Hast du nicht unser einziges Kind herausgenommen und unter fremde Leute gesteckt? Habe ich dich nicht verzweifelt, beinahe auf den Knieen gebeten, mir meinen Jungen zu lassen, das einzige, was ich hab’ — und hast du es nicht doch getan? War ich nicht jetzt schon ganz allein im Haus? Warum soll ich das leiden und andere nicht?“

      „Darum handelt es sich jetzt nicht ...“ Er unterbrach sie barsch.

      „Doch. Gerade darum. Von daher kommt alles! Einem das Kind wegnehmen, das ist — ihr versteht das ja alle nicht — als wenn man eine Schutzmauer einreisst — und nun steht man frei da — und um einen ist eine Weite. Und in einem ist eine Leere. Und dann ...“

      Er wollte zu Worte kommen. Aber sie hob abwehrend die Hand. Sie war, in dieser Zwiesprache zwischen ihnen, der angreifende Teil. Er musste sich auf die Abwehr beschränken, so ratlos stand er in all seinem Zorn ihr gegenüber, und sie sagte etwas ruhiger: „Was war denn unsere Ehe? Diese ganzen zehn oder elf Jahre? Wir wollen doch einmal ehrlich sein und die Dinge sehen, wie sie sind. Erinnerst du dich, wie du mir ganz plötzlich bei meinem Vater im Garten unserer Dienstwohnung deinen Heiratsantrag machtest? Ich war wie aus den Wolken gefallen. Ich fing vor Schreck an zu weinen — lieber Gott — mit achtzehn Jahren — und diese ersten Tränen, die sind, weiss der Himmel, vorbildlich gewesen für alles, was nachher kam ...“

      Er zuckte die Achseln. Ihm schien ihre Ehe nachträglich gar nicht so unglücklich gewesen zu sein. Es erstaunte ihn förmlich, das zu hören! Er hatte sich immer ganz wohl gefühlt! Und sie fuhr fort: „Du weisst, dass ich anfangs nein sagte! Durchaus! ich wollte nicht! ich wehrte mich! ich fühlte ganz deutlich: wir beide passten nicht zusammen. Das hab’ ich dir auch gesagt ...“

      „Ich hab’ dich so geliebt,“ versetzte der Hauptmann Ansold. Es war der erste weiche Klang in seiner Stimme.

      „Das heisst, ich war hübsch! ... ja! Und dann kam mein Vater und dann kam Mama und dann kam, ich weiss nicht mehr wer, und alle sagten, was ich schon selber auswendig wusste: Du hast vier Brüder — dein Vater hat kein Vermögen. Er kann über Nacht den Abschied kriegen. Dann langt es kaum mehr zum Notwendigsten! Greif zu, Kind! ... Das ist das vernünftigste! ... und schliesslich war ich vernünftig ...“

      Ein bitteres Zucken war um ihre Lippen. Ihr Mann sagte mürrisch: „Das brauchst du alles nicht zu wiederholen — Dinge, die wir beide kennen! Ich will wissen, was jetzt passiert ist ...“

      „Das hängt alles zusammen und lässt sich nicht trennen. So wie ich bin, bin ich doch in den zehn Jahren erst geworden. Und wäre es auch in der ersten Zeit nicht geworden — damals, als du mich noch mit deiner grundlosen Eifersucht plagtest und es nach jeder Gesellschaft und jedem Spaziergang die grässlichsten Szenen zwischen uns gab! ... In der Zeit war ich oft genug so weit, dass ich mich am liebsten hätte scheiden lassen oder einfach aus dem Hause gelaufen wäre — wenn ich mein Kind nicht gehabt hätte. An das klammerte ich mich förmlich. Das war mein Halt im Leben — mein Schutzengel gegen alles, auch gegen mich selbst ...“

      Sie brach ab, um Atem zu holen, so stürmisch hatte sie gesprochen, und ehe er etwas erwidern konnte, hub sie wieder an: „Und wie dann der zweite Abschnitt unserer Ehe kam, wie du allmählich ganz stumpf und gleichgültig gegen mich wurdest — auch durch meine Schuld — ich liebte dich ja nicht und zeigte es — ich weiss es wohl — und du immer mehr ins Kasino gingst und eigentlich nur noch zum Essen und Schlafen nach Hause kamst, da war mir das Kind wieder mein ganzer Trost. Es wuchs heran, es füllte meinen Tag aus — da wusste ich doch, wozu ich auf der Welt war, und war gewiss nicht glücklich, aber wunschlos. Ich lebte so hin — du auch — wir hatten uns soweit ineinander gefunden, dass wir uns zur Not ertragen konnten — es gibt gewiss viele solche Ehen — nach aussen merkt man es ja kaum — und es wäre auch so geblieben — da musstest du mir den Jungen nehmen und in das Kadettenkorps stecken! ... Verzeih mir Gott, Leopold ... aber es war nicht viel anders, als wenn jemand ein Streichholz nimmt und sein eigenes Haus in Brand setzt ...“

      Der Hauptmann Ansold stand, von ihr abgewandt, am Fenster. Sein breiter Rücken verdunkelte die Scheiben. Jetzt drehte er sich um und schrie in einer plötzlichen Wut: „Genug mit dem Gerede! Ich will die Wahrheit wissen! Was ist zwischen dir und dem Wölsick?“

      Dabei trat er rasch und drohend auf sie zu. Sie fürchtete sich nicht vor ihm. Sie blieb ruhig stehen, wo sie war. Er machte dicht vor ihr halt, die Fäuste geballt, mit rotem Gesicht, und versetzte dumpf: „Die alte Kritzing hat mir eben eine Seeräubergeschichte erzählt, es sei zwischen dir und dem Wölsick alles aus! ... Er hätte überhaupt nicht die Hand im Spiele bei deinem Streich! Das glaube ich nicht! ... Das ist Unsinn! Also nun, hier, Aug’ in Auge, hab wenigstens so viel Mut und gestehe, wie es wirklich ist ...“

      „Ich habe Mut genug! Aber es ist genau so, wie die Kritzing sagt! Ich habe Herrn von Wölsick seit Ende Juli nicht mehr gesehen, kein Lebenszeichen von ihm empfangen oder ihm gegeben und will es auch in Zukunft nie tun!“

      „Und das soll ich glauben?“

      Sie richtete sich hoch auf. Ein zorniger Schein durchleuchtete ihre tiefblauen Augen.

      „Das schwöre ich dir! Bei unserm Kind! ... Ich habe mir nichts vorzuwerfen!“

      Leopold Ansold schaute seine schöne Frau unschlüssig an. Dann ging er langsam, in leisem Klirren der Sporen, durch das Zimmer und schlug sich ein paarmal mit der flachen Hand vor die Stirn: „Verrückt!“ sagte er dabei. „Einfach verrückt!“ Und da sie nichts erwiderte, wiederholte er ihr brüsk ins Gesicht hinein: „Ich glaube wirklich, Jakobe, du bist nicht ganz bei Trost!“

      „Mag sein, dass du und eine ganze Menge anderer Menschen mich nicht verstehen! Die meisten sogar wahrscheinlich! Aber ich kann euch nicht helfen: es ist über mich gekommen und ich tue, was ich muss ...“

      „Was ist denn über dich gekommen? Dass dieser Lump, dieser Wölsick, dir ...“

      Er verstummte, in einem leisen Bangen vor Jakobes Gesichtsausdruck.

      „Ich spreche diesen Namen nicht mehr aus!“ sagte sie. „Und ich spreche auch nicht mehr von ihm selber und was er mir war. Das ist abgetan. Vorbei für immer. Ich will nur von mir reden, wie ich jetzt vor dir hier stehe. Das ist das, was uns beide angeht. Und da ist es richtig, dass durch ihn in diesem Sommer eine Umwälzung in mein ganzes Leben gekommen ist. Ich war ja schutzlos. Ich hatte ja meinen Sohn nicht mehr. Darum war alles, was mich umgab, eine Lüge. Und diese Lüge ist unter seinem Einfluss in mir zusammengebrochen. Mir gingen auf einmal die Augen auf. Ich merkte jetzt erst, dass, wenn ich es ernstlich prüfte, nichts, aber auch nichts mehr in unserer Ehe einen inneren Bestand hatte. Es war alles nur noch Gewohnheit und Scheu vor neuem Streit und Schmerz, weil wir uns ja früher so oft und unnütz wehgetan hatten, und Verstellung vor den Dienstboten und Druck von aussen — der eherne Reifen, den ihr im Regiment um alles spannt — und das alles fiel in diesem Juni und Juli von mir ab! —“

      „Und das hat dieser Wölsick angerichtet!“ Ihr Mann murmelte es in unterdrückter Wut zwischen den Zähnen. „Aber der Kerl soll sich hüten! Und wenn er zehnmal in Schottland steckt, ich find’ ihn schon ...“

      Seine Gedanken gingen den ausgetretenen Weg, dem Angriffspunkt zu, den seine Augen zu erkennen vermochten, dem Dritten in der Ehe. Jakobe zuckte die Schulten.

      „Mache du da, was du willst,“ sagte sie. „Das geht mich nichts an. Er ist weg. Und ich rede hier nur von mir! ... Und als er damals weg war von mir und alles um mich auf einmal leer und still war und nichts mehr kam, siehst du, Leopold, da ist etwas in mir erwacht, was ich eigentlich nie in meinem Leben gekannt hab’ — und am wenigsten von dem Tag ab, wo ich ohne Liebe, nur der Versorgung wegen, ja gesagt hab’ — der Stolz ...“

      Der Hauptmann Ansold riss die Augen auf: „Das sagst du jetzt ... in dieser Lage, in die du dich seit vorgestern gebracht hast!“

      Und sie wiederholte, ihm fest in das Gesicht sehend: „Jawohl, der Stolz! ... Ich will es gar nicht leugnen: Es war diesen Sommer etwas Grosses in mir — etwas Gewaltiges, wie ich es nie in meinem Leben empfunden habe!


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