Herzblut. Rudolf Stratz

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Herzblut - Rudolf Stratz


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neben der ein Schild: „Dr. jur. Erich von Wölsick-Sommerwerk“ angebracht war.

      Der öffnende Diener trug keine Livree, sondern einen einfachen schwarzen Gentlemananzug. Er war ein kleiner, mickeriger Mensch, sorgenvoll und glatt rasiert. Frau von Teichardt sah ihn wie immer mit einem stillen Missfallen an. Sie wusste, dass ihr Bruder sich von ihm förmlich tyrannisieren liess, was ihm bei anderen Leuten nie vorkam, und frug den Unentbehrlichen kurz, aber gezwungen freundlich: „Mein Bruder zu Hause, Michael?“

      „Jawohl. Aber im Bad.“ Michael lispelte es und Frau von Teichardt zuckte die Achseln, während sie durch die von ihm aufgerissene Tür in das Arbeitszimmer trat. Das war auch wieder eine von Erichs Marotten: zweimal täglich baden, des Morgens und des Abends! Ungeduldig ging sie in dem grossen, durch gedämpftes, elektrisches Licht erhellten Raum auf und nieder, der gar nichts von der weichlichen und zweifelhaften Eleganz einer sprichwörtlichen Junggesellenwohnung an sich hatte. Schon die vielen Bücher in den geschnitzten Schränken und auf dem grossen Schreibtisch gaben ihm ein ernstes Gepräge. Die Besucherin warf gar nicht erst einen Blick darauf. Sie wusste, es war ja doch lauter unverständliches Zeug: Jurisprudenz, Staatswissenschaft, Nationalökonomie, Statistik ... Broschüren über Finanz- und Börsenfragen — es war früher bei den Wölsicks nicht Mode gewesen, sich mit derlei zu befassen. Man diente — schon seit der Zeit des Grossen Kurfürsten, oder bewirtschaftete seine Güter. Erich, der mit vier Jahren seinen Vater verloren hatte und ganz selbständig aufgewachsen war, war der erste ganz moderne Mensch dieses alten Geschlechts.

      Er hatte in Eile Toilette gemacht und trat jetzt durch eine Seitentüre ein, ein gut aussehender, schlanker und ziemlich grosser Mann über die Mitte der dreissig. Um seinen dunkelblonden Schnurrbart spielte jenes, in seiner Herzlichkeit so unwiderstehliche, liebenswürdige Lächeln, das seine Schwester an ihm so wohl kannte. Damit fing er jeden. Es war unglaublich, wie er sich seine Nächsten um die Finger wickelte.

      „Entschuldige, Helme!“ sagte er lachend. „Wenn ich geahnt hätte, welche Ehre mir bevorsteht, dann wäre ich schon jetzt im Frack und weisser Binde! In einer halben Stunde muss ich es nämlich sein. Da bin ich zum Diner geladen. Aber bis dahin habe ich noch Zeit!“

      Er setzte sich ihr gegenüber.

      „Helme — du siehst famos aus ... es fällt mir schon seit einiger Zeit auf ... Du kommst jetzt erst in deine vorteilhaftesten Jahre — ne, ne — winke nicht ab — es ist schon so ... erhalte dich nur recht schlank! Nichts schrecklicher als eine dicke Ministerfrau ...“

      Seine Schwester errötete unter dem Schleier. Ministerfrau ... das war ja der grosse Traum ihres Lebens. Und ein erfüllbarer. Der Geheimrat von Teichardt hatte eine schöne Karriere vor sich. Ihr wurde warm ums Herz. Erich sagte einem doch immer gleich angenehme Dinge, sowie man eintrat, wo einem andere mit Klagen über schlechtes Wetter und Influenza und Ärger im Dienste kamen! Er gab den Leuten Zuckerplätzchen. Ihm kosteten sie ja nichts. Und aus diesen letzteren Gedanken heraus wurde sie plötzlich sehr ernst und sagte: „Ich bin gekommen, um in einer äusserst wichtigen Angelegenheit mit dir zu sprechen!“

      Erich von Wölsick bot seiner Schwester die Zigarettendose an und steckte sich, da sie den Kopf schüttelte, selber eine in Brand. „Es wird schon nicht so wichtig sein,“ meinte er dabei gemütlich.

      „Doch! für dich und uns alle!“

      „Na — dann nur Mut und Kürze! ... Los, Helme!“

      Er streckte dabei bequem die Beine aus und sah sie, wie immer amüsiert über die Aufregung anderer Leute, lächelnd aus seinen klaren hellbraunen Augen an. Er war überhaupt ein hübscher Mensch mit seinen regelmässigen aristokratischen Zügen und der peinlichen Gepflegtheit seines Äusseren. Seine Schwester zögerte. Sie hütete sich wohl, mit der Türe ins Haus zu fallen. Dann, das wusste sie, bekam sie nur eine schroffe Absage.

      „Ich muss ein bisschen weit ausholen, Erich!“ begann sie langsam, und da lachte er auch schon: „Sage doch nur einfach, wie viel? — und es ist gut!“ Er ging zum Schreibtisch und nahm ein Checkbuch aus dem Pult. „Eintausend, Helme — oder soll ich gleich zweitausend Mark schreiben? — Kannst du damit Weihnachten überstehen?“

      Ach gewiss hätte Frau von Teichardt das Geld brauchen können — die vier Kinder daheim — das Fest vor der Türe — dann der Berliner Januar — es schoss ihr allerhand durch den Kopf ... da konnte auch noch das neue Persianerjakett für sie abfallen — und die fehlende grosse Träne unten an der Diamantagraffe ... sie kannte ja Erichs verschwenderische Freigebigkeit, den anderen, nicht vom Glücke gesegneten Wölsicks gegenüber — und ganz besonders zu ihr — und er wiederholte auch noch im Spass: „Ist’s genug? Es soll mir niemand vorwerfen, dass ich meine leibliche Schwester verhungern lasse!“ — Aber diesmal kämpfte sie entschlossen diese Anwandlung von menschlicher Schwäche nieder und versetzte förmlich erbittert: „Ja — so bist du immer! ... gegen alle! ... dem einen stopfst du den Mund mit Geld — den anderen speisest du mit netten Worten ab — für jeden hast du etwas ... und keinen nimmst du ernst, sondern spielst damit — gerade als ob wir alle Bleisoldaten wären ...“

      Sie hatte beinahe Tränen in den Augen, aus Zorn gegen ihn und Kummer über das entgangene Geld. Er war ganz verwundert.

      „Bleisoldaten!“ sagte er. „Na — da hättest du gestern den Vetter Wölsick sehen sollen — du weisst, von der Feldartillerie, dem ich vor sechs Jahren das halbe Kommissvermögen zur Heirat gegeben hab’! ... Es war ja ein tüchtiger Riss in meinen Beutel ... nun kamen sie auf einmal angerückt — auf Urlaub in Berlin — er, die Frau, drei Kinder — die Kinder hatten doch weiss Gott Veilchensträusschen in der Hand und schrien schon in der Türe: ‚Heil, Onkel! Heil!‘ und die kleine Frau heulte wie ein Schlosshund und der dicke Klaus Wölsick biss sich auf die Zähne, um es nicht auch zu tun, und schüttelte mir mindestens zehnmal krampfhaft die Hand ... na ... und Michael kochte Kaffee und besorgte Kuchen — und ich sass als glücklicher Ehestifter im Kreise der Meinen — auf jedem Knie ein Balg — förmlich wie ein Patriarch — ihre Photographie haben sie mir auch mitgebracht ... dort drüben liegt sie ... es war wirklich nett ...“

      Ein weichliches, verwöhntes Lächeln flog bei den letzten Worten über seine Züge, der Ausdruck eines vom Glück überschütteten Menschen, der gerne auch den anderen ihren bescheidenen Anteil gönnt, und seine Schwester sah ihn an und dachte sich: jawohl, Ehestifter! ... als Ehezerstörer sitzest du da und wirst es bald genug erfahren ... und laut sagte sie: „Ich möchte wirklich wissen, Erich, wie du dir eigentlich deine Zukunft denkst ...“

      „Meine Zukunft?“ Er war erstaunt. „Na — sehr nett, Helme!“

      „Ja, aber wie?“

      Ihr Bruder zündete sich eine neue Zigarette an und sah auf die Uhr. Es war noch eine Viertelstunde Zeit.

      „Wie? So wie ich es mir immer gedacht habe! Aktiver Offizier wollte ich nicht werden — mit dem jur. et cam. hat es heutzutage nur noch bis zum Regierungsassessor Sinn, wenn man nicht in der Bureaukratie verknöchern will, — so bin ich mit dem abgeschnappt ... ins neue Land hinüber ... das ist ja in Deutschland für uns Wölsick und Genossen der Handel und die Industrie leider noch immer ... in England sind sie längst klüger ... da wissen die Lords und ihre Söhne ganz genau, wo das Geld steckt — na ... und jetzt bin ich so weit ... war Bankvolontär — hab’ meine Reisen nach Amerika und England gemacht — Volkswirtschaft studiert, in die Politik hineingeschaut ... mir hier überall in Berlin meine Verbindungen geschaffen ... nun suche ich mir ein Feld für meine Tätigkeit in der Hochfinanz ...“

      „Dabei verstehe ich nur das eine nicht!“ sagte Frau von Teichardt. „Unser altes Sommerwerk ist gewiss schön und wertvoll und wirft dir eine hohe Rente ab — aber doch nicht so viel, dass du dich dadurch selbst mit grossen Kapitalien an einem Unternehmen beteiligen kannst ...“

      „Nein. Das natürlich nicht.“

      „Also müsstest du in solch einem Unternehmen doch in irgend einer Form als höherer Angestellter tätig sein! Und inwieweit eine derartige Abhängigkeit deinem Charakter und deinem Namen und deiner Position als Majoratsherr entspricht — verzeihe, wenn ich mich da in deine Angelegenheiten mische — aber mir


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