Herzblut. Rudolf Stratz

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Herzblut - Rudolf Stratz


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von reichster Einfachheit — den erlesensten Schmuck — die tannenschlanke, hohe Erscheinung — und sie benutzte diese Hilfen und sah blendend aus — eine Frau, die, wo sie auch erschien, den Mittelpunkt bildete. Gewiss, so musste seine Frau sein. Es gab vielleicht ein paar Kleinigkeiten an ihr zu ändern. Sie scherzte und lachte ein bisschen zu laut mit den alten Herren um sie herum — sie hörte oft nicht recht zu, wenn man sprach, sondern war mit den Augen wo anders und mit den Gedanken an einem dritten Ort — sie urteilte oft trotz ihrer Klugheit obenhin — aber wie sollte sie denn auch anders sein nach acht Jahren Ausgehens? Das bisschen Nervosität und Fahrigkeit gab sich von selber.

      Und doch wunderte er sich, wie er überhaupt dazu kam, heute Ausstellungen an ihr zu machen. Das war, weil er seine Gedanken von Jakobe Ansold nicht los brachte. Alles, was er um sich hörte, bezog er wider seinen Willen auf sie und diesen unglücklichen Zwischenfall. Neben ihm sprachen sie von irgend einem Geschäft, und ein dicker alter Herr sagte kauend: „Unter uns: er ist ein dummer Kerl und bleibt’s“ — und Erich von Wölsick fuhr es durch den Kopf: Natürlich ist der Hauptmann Ansold ein Dummkopf! Aber solche Leute sind zäh! — und als gegenüber jemand versetzte: „I wo — die Generalversammlung wird ganz ruhig verlaufen!“ hatte er sofort die Vorstellung: Wird der alte General, Jakobes Vater, sich ruhig verhalten oder auch mit seinen Söhnen in die Geschichte mischen: So oder so ... es kommt von allen Seiten ...

      Schliesslich musste er sich beherrschen. Er konnte nicht immer so stumm dasitzen und verwickelte seinen Nachbar zur Rechten in ein Gespräch, einen grossen, blonden, schmalschultrigen Mann mit einem weichen, regelmässigen Gesicht und träumerischen blauen Augen, offenbar auch ein Mitglied der Hochfinanz. Denn er redete über den Tisch hin etwas vom Textilexport nach den Vereinigten Staaten — aber mit einem gewissen nachsichtigen Lächeln, als komme es eigentlich wenig darauf an, und gleich darauf von einer Vorlesung über Frührenaissance an der Berliner Universität, so als ob er sie selber hörte — und von einer Neuerwerbung der Nationalgalerie. Und der Herr zur Linken Erich von Wölsicks nannte ihm auf seine halblaute Frage den Namen des anderen: Dr. Schmidt von Wildenwarth, aus einer sehr reichen, kürzlich erst geadelten Eisen-, Erz- und Kohlenfirma mit dem Sitz in Brünn — und er deren Berliner Vertreter, oder eigentlich mehr ein unabhängiger, seinen Privatstudien und künstlerischen Neigungen lebender Mensch! Seine Gemäldesammlung in seiner Villa in Wannsee, gerade neben Neerlages, sei bekannt ... teure Sachen darunter ... davon verstände er etwas ...

      Erich von Wölsick sagte: „So, so!“ und vergass es sofort wieder und wartete ungeduldig, bis endlich die Tafel aufgehoben wurde und man sich in den anstossenden Gemächern verteilte. Und während er da, die Kaffeetasse in der Hand, zwischen den anderen Herren stand und um ihn die ersten Zigarrenwolken in die Luft stiegen, kam plötzlich der Trotz über ihn. Die beste Deckung war doch der Hieb. Wie — wenn er gleich sein Glück versuchte — heute abend noch — bei Sophie Neerlage?

      Sein Herz begann zu klopfen. Er stellte seine Tasse behutsam auf einen Kaminsims, legte seine Zigarette weg, und ging dann leise, förmlich auf den Fussspitzen, als dürfe er kein Geräusch machen, über den dicken Teppich in den grossen Salon hinüber.

      Dort hatte er vorhin den beiden Damen des Hauses nach der Mahlzeit die Hand geküsst. Jetzt kam allmählich die Zeit, wo sie sich zurückzogen und die Herren unter sich liessen. Frau Neerlage sass noch da, aber Sophies schlanke, hohe Gestalt sah er nur noch wie einen weissen Schimmer in dem anstossenden halbdämmrigen Boudoir. Sie ging ganz langsam, zögernd, durch das hin, so als ob sie etwas suchte, und er durfte sich nicht beeilen, ihr zu folgen. Das wäre aufgefallen. Erst nach ein paar Minuten war er wie unabsichtlich auch an die Schwelle des kleinen Raums geraten und schlenderte, anscheinend um ein Bild an der Wand zu besichtigen, hinein und ging, da er sie nicht mehr fand, weiter durch die folgenden, ganz menschenleeren Gemächer.

      An deren Ende war nach dem Garten hinaus eine Bücherei. Da stand sie an einem der geöffneten, kostbar geschnitzten Rokokoschränkchen und rückte ein paar Bände hin und her. Oder tat wenigstens so. In Wirklichkeit erwartete sie ihn. Das merkte er sofort und sie wusste, dass er es merkte. Aber das brachte sie nicht in Verlegenheit. Sie sah ihn ruhig aus ihren kühlen, graublauen Augen an, in einer halben Frage: Was tust du denn da. Bis hierher verirren sich doch sonst die Gäste nicht ... — und er trat näher zu ihr hin, die ihm hier unter vier Augen, in dem matterhellten Gemach, in der Kostbarkeit ihres Schmuckes und Kleides, mit ihrem wunderbaren Wuchs, ihren weissen Schultern, so begehrenswert wie noch nie erschien — nicht nur als die reiche Erbin, sondern als die Frau — und so sagte er, in einem innerlichen Ärger, dass er doch wohl oder übel mit einer Gleichgültigkeit anfangen musste: „Darf ich herein? oder schicken Sie mich wieder fort?“

      Er fühlte wohl: er hätte jetzt, in dieser Gunst des entscheidenden Augenblickes gleich damit beginnen sollen: „Ich bin Ihnen gefolgt ... ich möchte Ihnen etwas sagen, was mir schon lange auf den Lippen schwebt ...“ — aber dazu fehlte ihm der Entschluss. Gerade heute, wo er ihn am nötigsten brauchte! Während er sprach, hatte er die sonderbare Vorstellung, als stände Jakobe Ansold hinter ihm und hörte seine Worte mit an, und dadurch kamen diese unsicher heraus, und es fehlte ihnen an Wärme und Klang.

      Sophie Neerlage war plötzlich etwas blass geworden, das sah er deutlich — aber sie antwortete ganz gelassen: „Ja ... ich gehe aber gleich selber weg, Herr von Wölsick ... hinauf in mein Zimmer! Ich wollte mir bloss noch etwas zum Lesen für den langweiligen Abend mitnehmen ...!“

      Dabei wies sie auf das Buch, das sie rasch aus der Bibliothek gelangt hatte. Er schaute es an und lachte: „Ach wo! ... der zweite Band von Buckles Geschichte der Zivilisation in England ... das werden Sie doch nicht lesen! ... Kommen Sie ... wir setzen uns lieber und plaudern noch ein bisschen ...“

      Auch sie lachte. Die flüchtige Röte, die dabei jetzt wieder ihre Wangen überlief, liess sie in ihrer leichten Verlegenheit auffallend hübsch und wie ein ganz junges Mädchen erscheinen. Sie sagte kein Wort, sondern gehorchte ihm und nahm ihm gegenüber Platz. Dabei flog ihr Auge unwillkürlich suchend durch die Vorderräume, ob da auch niemand käme und sie störte. Und dieser eine Blick, diese einzige halb unbewusste Kopfbewegung verriet ihm genug. Die hiess, dass sie jetzt seine Werbung erwartete. Und dass sie sie, weil sie sie erwartete, auch annahm ...

      Dabei war durch ihre beiderseitige Heiterkeit schon das Eis gebrochen. Er konnte so leicht jetzt in unbefangenem und vertraulichem Ton fortfahren, und dabei zuckte es ihm durch den Sinn: Und in den nächsten Tagen kommt dann der Skandal — der Hauptmann Ansold schiesst sich mit mir — lässt sich von seiner Frau scheiden — und mein Schwiegervater in spe sagt mir: „Verehrtester ... solche Geschichten regelt man, ehe man als Freier auftritt!“ — Und dieser Gedanke lähmte ihn förmlich, und er begriff gar nicht, wie er, Erich von Wölsick, so trocken und hölzern sagen konnte: „Ich bin so froh, dass wir uns wieder sehen können, mit Briefen — das ist doch immer nur so ein Notbehelf.“

      „Ja. Aber ich bleibe dieses Jahr nicht lange in Berlin!“

      Er schaute sie fragend an. Sie fuhr fort: „Gleich nach Weihnachten will ich weg, zu meinen Verwandten nach Petersburg. Und da einmal einen rechten russischen Winter mitmachen.“

      „Da haben Sie sich aber rasch entschlossen!“

      „Erst in diesen Tagen.“

      „Und warum eigentlich, gnädiges Fräulein?“

      Sie zuckte die Achseln.

      „Es ist doch einmal was anderes! Berlin habe ich doch nun wirklich schon genossen. Es wächst da schon eine ganz neue Generation heran. Ich fühle mich dazwischen schon ein bisschen einsam, wie ein Märchen aus alten Zeiten ...“

      Es war drollig, wie sie in der blühenden Jugendfrische ihrer fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre von sich schon halb wie von einer alten Jungfer sprach. Aber freilich: ihre gleichaltrigen Freundinnen waren wohl fast sämtlich schon unter der Haube. Man musste Sophie Neerlages Geld und Erscheinung haben um nicht allmählich von dem Nachwuchs beiseite gedrängt zu werden, und sie lachte und sagte: „Nein! ich spare mir meinen achten Berliner Winter gerne. Ich komme auf der Rückreise von Russland nur eben auf eine Stippvisite hierher — so Anfang März, wenn in Petersburg die grosse Fastenzeit anfängt, und fahre dann gleich mit Mama weiter nach der


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