Herzblut. Rudolf Stratz

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Herzblut - Rudolf Stratz


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herausziehen willst, ohne dass etwas in die Öffentlichkeit dringt und deine Verlobungszirkel stört, das ist mir ein Rätsel!“

      Frau von Teichardt konnte sich nicht erinnern, ihren Bruder je wirklich betroffen gesehen zu haben. Aber jetzt sass er da, hatte die Hände in den Taschen und starrte vor sich hin, mit einem Gesichtsausdruck, der deutlich seine peinlichste Überraschung, seinen Ärger, seine vorläufige Ratlosigkeit erkennen liess. Und die Geheimrätin hatte an sich die Genugtuung, dass auch er, der Schlaue, Kühle, Glatte einmal in die Falle gegangen war! Aber andererseits hing ihr eigenes Schicksal und das ihrer Familie zu eng mit dem des Bruders und Majoratsherren zusammen, und so fing sie, da er kein Wort redete, von neuem an: „Ja. So stehen die Dinge, Erich! und was nun weiter geschehen soll, das muss wohl überlegt werden. Wenn du mich oder meinen Mann irgendwie brauchst — du weisst: du findest uns immer bereit, dir zu raten oder zu helfen, so gut wir können ...“

      „Ich hab’ noch nie einen Menschen um Rat gefragt!“ sagte ihr Bruder. „Und zu helfen pflege ich mir selber ...“

      „Ja ... aber diesmal bist du doch so in der Geschichte darin, Erich ...“

      Sie hatte das übereifrig gesprochen. Er erhob sich plötzlich.

      „Sei so gut und dränge dich nicht auf!“ versetzte er so schroff, dass sie sich auf die Lippen biss und verstummte. Und zugleich murmelte von der sich leise öffnenden Lauschertür her Michael, der Kammerdiener: „Gnädiger Herr, es ist sieben Minuten vor halb Acht!“ Und Erich von Wölsick stiess einen halblauten Ruf des Schreckens aus und eilte mit einem flüchtigen ‚Entschuldige!‘ gegen seine Schwester in das Toilettenzimmer. Zu verwünscht, jetzt gerade in Gesellschaft zu müssen! Er war so wütend und ungeduldig, dass ihm das Knüpfen der Krawatte nicht gelang. Michael nahm ihm schliesslich die Schleifen aus der Hand und half ihm in Weste und Frack und lief mit dem Kölnisch Wasser-Zerstäuber hinter ihm her in den Flur, wo Frau von Teichardt bereits stand.

      Sie war sehr verschnupft und antwortete auf die Fragen ihres Bruders, ob sie ihn in seinem Automobil begleiten wolle, nur kurz: „Danke! ich hab’ die Droschke!“ reichte ihm die Fingerspitzen und stieg in ihren Wagen und dachte sich, während der davonrumpelte: Es ist schon wahr, man soll nie zu geschäftig sein!

      Gleich darauf leuchteten draussen vor den Scheiben zwei weisse Rundaugen auf, ein Automobil überholte in rasendem Lauf die Kutsche, und Frau von Teichardt erkannte die Gestalt ihres Bruders, der, vornübergebeugt, den Zylinder in die Stirne gedrückt, die Hände in den Taschen des Paletots, in dem offenen Gefährt sass.

      Im nächsten Augenblick war das über den Königsplatz hin verschwunden. Es bog in den nächtigen Tiergarten ein, die Kaffeebuden der Richard Wagnerstrasse tauchten auf, der weite dunkle Spiegel der Spree — der Lichterschein von Moabit, das einsame Schloss Bellevue — Erich von Wölsick sah nicht rechts und links. Er liess sich den kalten Herbstwind um die Ohren pfeifen, und in seinem sonst so klaren Kopf wirrten sich die Gedanken — sie tanzten in langen, höhnenden Reihen — er konnte sie nicht sammeln — deutlich bewusst blieb ihm nur eine ohnmächtige Wut, dass ihm gerade jetzt, in der entscheidendsten Wendung seines Lebens, das Schicksal solch einen Knüttel zwischen die Beine warf — gerade von einer Richtung her, wo er es am wenigsten erwartet! Da schien alles schon so ruhig und abgetan. Jakobe Ansold war eine freundlich schmerzliche, ein bisschen wehmütige, ein bisschen lächelnde Erinnerung, wie ein Bild von einer Reise, die man gemacht — aus einem Lande, in das man nie wiederkehrt — an das man nur zuweilen später, in verlorenen Stunden denkt und sich freut, dass man auch das vom Schicksal mitgenommen hat. Und nun stand sie auf einmal wieder lebendig vor ihm da, und er frug sich vergeblich in seiner düstern Laune, in Reue und Ärger über das, was er da angerichtet: ‚Warum hat sie’s denn nur getan ...?‘

      Er schüttelte immer wieder den Kopf. In dem war ein Wirrwarr von Stimmungen und Gedanken, und er hatte eine wahre Angst, dass er in dieser Verfassung unter fremde Leute würde treten und gleichgültiges Zeug mit ihnen würde reden müssen. Er wäre viel lieber durch die Nacht weiter gefahren, hinaus ins Freie, bis in den Grunewald, wo er so oft in diesem Frühjahr die Neerlages in ihrer Villa am Wannsee besucht hatte. Damals hatte sich, als Abschluss des Gesellschaftswinters, der Ernst der Zukunft zwischen ihn und Sophie Neerlage gelegt, und es war, als sie sich trennten, — er, um zum Regiment, sie, um mit ihren Eltern nach Ostende zu gehen — eine stillschweigende Vereinbarung zwischen ihnen gewesen, sich im Sommer noch einmal alles zu überlegen und dann im Herbst die Entscheidung fallen zu lassen. Und da war schon das prunkvolle Neerlagesche Haus, dessen Lichterfülle weithin von der Tiergartenstrasse her durch das kahle Geäst des Parkes schimmerte. Und ehe er sich recht von seiner Betäubung erholt — ihm schien, er sei eben erst in dieser Minute in sein Automobil gestiegen — hielt dieses vor dem Portal — Diener sprangen herzu und halfen ihm heraus — und er ging nachdenklich, mit gesenktem Kopf, in die Vorhalle. Sonst war er hier schon in einer halben Siegerstimmung eingetreten, ein Vertrauter des Hauses und hoffentlich bald mehr. Heute zum ersten Mal kam er sich wie ein Eindringling vor.

      Mitten in dem Saal, in den er trat, stand Sophie Neerlage. Er wusste, dass sie jedes Jahr ein paarmal nach Wien fuhr oder ihren Vater auf einer Geschäftsreise nach Paris begleitete, um sich dort ihre Toiletten anfertigen zu lassen, Roben wie die, die da in schweren, weissschillernden Seidenfalten an ihrer ebenmässigen, beinahe überschlanken Gestalt herniederfloss. Sie wandte ihm den Rücken zu, während sie mit einem Haufen Herren, der sie umdrängte, sprach. Er sah das Diamantengeglitzer in ihrem reichen hellbraunen Haar, das Schimmern des Perlenkolliers um ihren weissen Nacken und dachte unwillkürlich wie stets, wenn er sie erblickte, dass sie mit ihrer hohen, einen ganzen Salon beherrschenden Erscheinung genau dem Bild entsprach, das er sich bisher für die Zwecke seiner Zukunft und seiner Karriere von seiner Frau gemacht.

      Jetzt drehte sie im Geplauder das Haupt nach ihm und nickte ihm vertraulich zu, während er zuerst ihre Eltern begrüsste. Ihre ausdrucksvollen Züge waren nicht eigentlich schön, aber fesselnd, mit kühlen graublauen Augen. In denen war der beinahe herausfordernde Gleichmut der reichen Erbin. Und dazu stimmte das leise ironische Lächeln, das zuweilen, ohne dass sie selber es wusste, beim Reden und Zuhören im Gesellschaftskreise um ihre Lippen spielte.

      Sie achtete nur wenig auf die Erzählung einer alten, vor ihr stehenden Exzellenz und sah zu Erich von Wölsick hinüber, der ihrer Mutter die Hand küsste und dann den jovialen Händedruck ihres Vaters, des Generalkonsuls empfing, der, klein, korpulent und kräftig, mit weissem Vollbart und elfenbeinerner Glatze zwischen seinen Gästen stand und meinte: „... ’nen Abend, lieber Herr von Wölsick ... na ... da sind Sie ja! ... ich dachte schon, Sie hätten’s verschwitzt ...“

      Erich von Wölsick murmelte ein paar Worte, noch ganz betäubt. Und während dessen stand auf einmal Sophie Neerlage neben ihm, reichte ihm unbefangen die Hand und sagte, während er sich über die beugte, lachend: „Guten Abend, Herr von Wölsick! Wissen Sie, was Exzellenz,“ sie wies dabei auf den alten schwerfälligen Würdenträger, der ihr gefolgt war, „mich eben frug, wie Sie hereinkamen? ‚Wer ist denn der junge Herr da ohne die vielen Orden? Das muss ja etwas ganz Besonderes sein!‘“

      Die anderen um sie, die grauköpfigen Geheimen Kommerzienräte und Generaldirektoren, stimmten in die Heiterkeit ein. Auch Erich von Wölsick zwang sich dazu. Er ärgerte sich, dass er es tat, und es tun musste, nachdem er ja nun einmal hier war. Er hätte zu Hause bleiben müssen und die Aufregung und Bestürzung in sich ebben lassen. Es wäre schliesslich gar nicht so schlimm gewesen, unter irgend einem Vorwand abzusagen. Gerade bei einem Herrenessen. Da verursachte ja die Platzfrage keine solche Schwierigkeiten. Besser hätte es sich jedenfalls gemacht, als dass er nun vor Sophie Neerlages Augen schweigsam und zerstreut dastand — er, der sonst so vollkommen Herr seines Willens und seiner Stimmung war.

      Aber nun konnte er nicht wieder weg und sass bei Tisch zwischen zwei Herren, deren Namen er bei der Vorstellung nicht einmal verstanden hatte und von denen jeder, seine Unergiebigkeit bemerkend, nach rechts und links zu seinem anderen Nachbar sprach, und vermochte kaum etwas zu essen, und hörte ganz benommen um sich herum das gedämpfte Gemurmel, in dem die hellen Stimmen der Frauen fehlten, das Gerede über Reichsbankdiskont und Kurse und Emissionen, das Schlürfen und leise Tellerklappern, und sah die vielen Glatzen, die Kettchen und Sterne unter weissen Schlipsen, ein paar breite farbige Bänder


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