Herzblut. Rudolf Stratz

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Herzblut - Rudolf Stratz


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Kilometer zwischen sich und ihn zu legen, statt ihm jede Woche einmal irgendwo in Gesellschaft begegnen zu müssen.

      Sie sahen sich stumm und halblächelnd an. Beide waren beklommen. Und aus diesem schweren Schweigen zwischen ihnen heraus war es Erich von Wölsick klar, dass er eigentlich gar nicht mehr zurück konnte! Jetzt oder nie musste er sie fragen, ob sie seine Frau werden wollte. Er las deutlich die Erwartung in ihren Zügen — beinahe schon ein Staunen, als er doch noch nicht damit herauskam, sondern noch einmal anhub, sie nach Petersburg zu fragen und ihren Verwandten dort, und ob sie sich nicht vor der nordischen Kälte fürchtete. Er bekam von ihr bereitwilligen Bescheid — sie sprachen eine Weile hin und her — leere Worte statt der paar bedeutsamen, seiner Frage und ihres „Ja“. Denn ein „Ja“ wurde es. Bisher hatte er sich immer noch ein wenig davor gefürchtet, einen Korb zu bekommen. Das hätte ihr schon ähnlich gesehen. Sie hatte es schon ein paarmal früher so gemacht — mit einem Freier einen Winter über gespielt wie die Katze mit der Maus und ihn dann fallen gelassen. Aber in dieser Stunde sah er zu genau an ihrer Blässe, an ihrem unruhig von ihm in die Ecken abschweifenden Blick, ihrem unregelmässigen Atem, dass ihm dies Schicksal nicht drohte. Sie war entschlossen, ihn zu heiraten. ...

      Und ein leises Triumphgefühl kam über ihn. Also er und kein anderer, keiner von den vielen, die vor ihm ihr Glück versucht! Freilich, sie wählte ihn sich einfach aus der grossen Schar als den Geeignetsten für eine Vernunftehe. Liebe sprach dabei nicht mit. Vielleicht war sie eine viel zu kalte Natur, um überhaupt zu lieben. Es war jedenfalls merkwürdig, dass in diesen ganzen langen Jahren sich nie auch nur das Gerücht einer leisen Schwäche für irgend jemanden an ihren Namen geknüpft hätte. Sie löste als Tochter ihres Vaters das Rechenexempel des Lebens mit dem Kopf, nicht mit dem Herzen.

      Es war wieder eine Stockung in dem Gespräch zwischen beiden eingetreten. Von ferne klang gedämpftes Stimmengewirr und Lachen der Herren in dem Salon und aus dem Rauchzimmer. Die Räume vor der Bibliothek waren ganz leer. Nicht einmal ein Diener kam da und störte. Es waren nur sie zwei da. Und Jakobe Ansold. Von dem Gedanken an sie konnte sich Erich von Wölsick nicht befreien. Er hatte einen hilflosen Grimm gegen sie, dass sie ihm diese kostbarste Stunde seines Lebens zerstörte. Denn er las zu deutlich in Sophie Neerlages ruhigem, aber immer seltsameren Blick: ich gab dir die Gelegenheit, warum nutzest du sie nicht aus? was soll das bedeuten? meinst du, ich tue es ein zweites Mal?

      Seine Kehle war trocken. Wie verwandelt kam er sich vor. Es war eine unerträgliche Lage und im Zorn, sich daraus zu befreien, raffte er plötzlich alle seine Kraft zusammen, räusperte sich ein paarmal und sagte entschlossen: „Ich hoffe immer noch, Sie gehen nicht nach Russland, gnädiges Fräulein!“

      Ohne zu antworten, holte sie tief Atem und sah ihn schweigend an, die Hände im Schoss. Ihr Blick verwirrte ihn. Er suchte mit dem Auge die Spitze seines Lackstiefels am Boden und fuhr stockend fort: „... es könnte doch allerhand geschehen ... nicht wahr ...“

      Er wollte weiter sagen: ich könnte doch jetzt die Frage wagen, ob Sie mich durch Ihre Hand beglücken wollen? — er ärgerte sich selbst über diese Phrase — es fiel ihm keine bessere ein — es war ja auch gleich — aber er brachte sie nicht heraus — ihm fiel in dieser schicksalschweren Sekunde wieder ein: ich darf jetzt nicht — als anständiger Mensch — denn ich bin nicht frei — ich muss erst wissen, was Jakobe Ansold tut — was ihr Mann tut — ihre Angehörigen tun — ich kann doch nicht als Bräutigam den ganzen Schweif von Menschen hinter mir her in dieses Haus schleppen ...

      Es war so still, dass man deutlich das Tacken der Rokokouhr vom Spiegelpfeiler her hörte. Sophie Neerlage strich sich, ohne ihn anzuschauen, über ihr Kleid, mit einer leichten, unwillkürlichen Bewegung der Ungeduld, als ob sie, wenn er nun nicht bald redete, aufstehen und sich entfernen würde.

      Wenn er ihr nun alles beichtete? Jetzt auf der Stelle? und sie erfuhr, dass er im Sommer, statt an die Ehe mit ihr zu denken, mit einer andern angefangen — dann schickte sie ihn fort. Und wenn sie es hinterher erfuhr, dann hatte er ihr etwas verschwiegen, was er ihr hätte sagen müssen, und die Verlobung ging in die Brüche. Es war zum Verzweifeln.

      Sie kam ihm nicht zu Hilfe. Sie überliess dies Äusserliche der Werbung ganz seiner Weltgewandtheit und Selbstsicherheit — zwei Dingen, an denen es ihm sonst wahrhaftig nicht fehlte. Sie schwieg und wartete. Nun schon viel zu lange Zeit. Der Zeiger der Uhr rückte vor — die Stimmung verflog — er musste sich eilen — sonst war es zu spät — und eben wollte er wieder anheben, zu sprechen, da tönten Stimmen — ganz nahe — zwei Herren kamen vom Salon her durch die Zimmerflucht und der eine sagte: „Na schön — wir können ja nachschlagen! aber ich wette mit Ihnen zehn gegen eins, dass ...“

      In diesem Augenblick sah er die beiden und trat schleunigst mit einem betroffen gemurmelten „O Pardon!“ wieder von der Schwelle zurück. Aber Sophie Neerlage hatte sich schon erhoben und sagte freundlich: „Bitte ... bitte ... hier werden keine Geheimnisse verhandelt, Herr Geheimrat! Sie stören uns gar nicht! Lassen Sie sich ja nicht abhalten. Ich wollte ohnedies eben gehen! Guten Abend, meine Herren! Guten Abend, Herr von Wölsick!“

      Sie reichte allen dreien — den beiden Finanzgrössen, wie ihrem Freier — mit gleicher Liebenswürdigkeit die Hand und verschwand durch die Seitentüre, die sie leise, ihre Schleppe aufraffend, hinter sich schloss. Gleich darauf nahm der eine arglose alte Herr geschäftig einen Band des Konversationslexikons aus dem Schrank und sagte: „Im letzten Supplement müssen wir nachschauen ... so ... da ... da haben wir die argentinische Ausfuhrstatistik ganz genau.“

      Und Erich von Wölsick stand mitten im Zimmer und wusste anfangs gar nicht recht, was eigentlich geschehen war, und ging schliesslich langsam hinüber in den Salon — auch eigentlich ohne einen bestimmten Zweck. Aber hier in der Bücherei hatte er jedenfalls nichts mehr zu suchen, das war ihm klar ...

      Die Zahl der Gäste, unter die er sich mengte, hatte sich schon verringert. Alle Augenblicke verlor sich einer unauffällig gegen die Eingangshalle hin. Auch Erich von Wölsicks blonder Tischnachbar sagte eben lächelnd zu einem Bekannten: „Reich mir die Hand, dass ich mich heimlich drücke ...“ und versetzte dann unter dem Einfahrtstor, während er der Herbstkälte wegen sein weisses Cachenez zwischen Paletot und Hemdbrust schob: „Nun — Sie gehen auch schon, Herr von Wölsick?“

      „Ja,“ erwiderte Erich von Wölsick kurz. Er hatte es plötzlich da drin nicht aushalten können. Stumm stand er neben dem ihm unbekannten und gleichgültigen Dr. Schmidt von Wildenwarth, und der winkte einer Droschke. „Ich muss schauen, dass ich heim komme! Meine fünf Tyrannen erwarten mich schon! So nenne ich immer meine Frau und meine vier Buben! Kutscher: nach dem Wannseebahnhof. Guten Abend!“

      Erich von Wölsick lüftete seinen Hut und ging dann allein seines Weges weiter, die Tiergartenstrasse entlang. Er war zornig auf sich, zornig auf die Neerlages, zornig auf Jakobe Ansold, zornig auf die ganze Welt ... Er war in einer argen Aschermittwochstimmung — so unzufrieden mit sich wie noch nie und all des gleichmütigen, freundlichen Selbstgefühls beraubt, das sonst sein Begleiter im Dasein war.

      Ärgerlich schritt er dahin und schaute zum dunkeln, leise regenrieselnden Himmel auf. Und dachte an Hamlet: „So macht Gewissen Feige aus uns allen ...“ und in der Stille der Nacht kam ein düsteres Erstaunen über ihn, dass das bei ihm, gerade bei ihm möglich sei! Er war bisher noch nie auf ernstlichen Widerstand im Leben gestossen, alles hatte sich seinem Willen gefügt. Er tat, was ihm beliebte. Geschehenes verschwand. Und nun auf einmal — er schüttelte unruhig und fassungslos den Kopf — widerfuhr es auch ihm, dass seine Taten aufstanden und wider ihn zeugten ...

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