Herzblut. Rudolf Stratz

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Herzblut - Rudolf Stratz


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sie schliesslich sehr genau, was sie tut ... und nun die Eltern ... immerhin ... wenn schon die Ahnenreihe ihr Loch kriegt — die Neerlages sind doch eine alte gute Patrizierfamilie, ursprünglich Pastoren aus Westfalen ... wissen bis zum Ur-Urgrossvater hinauf Bescheid ... ganz nett ... kurz ... ich glaube, ich bin da auf den rechten Weg gekommen — immer vorausgesetzt, dass es glückt ... man soll nichts berufen ...“

      „Nein!“ sagte Frau von Teichardt sehr ernst.

      „Und wenn ich abergläubisch wäre, hätte ich überhaupt lieber nichts davon verraten, solange es noch im Werden ist ... was machst du denn für ein Gesicht, Helme ...?“

      Seine Schwester rückte sich auf dem Stuhl zurecht. „Ich danke dir für dein Vertrauen!“ sagte sie. „Aber nun erlaube mir ein paar Worte! im Auftrag von Mama. Sie hat mir aus Sommerwerk geschrieben und mich gebeten, es an ihrer Stelle zu tun ... angenehm ist mir’s nicht ...“

      Erich von Wölsick stand vor ihr und rang in komischer Verzweiflung die Hände.

      „Was ist denn das nur heute mit dir für eine Druckserei, Helme! ... Komm doch heraus mit der Sprache ... ich beisse dich doch nicht! ... Worum handelt es sich denn?“

      „Um Frau Hauptmann Ansold!“

      Im selben Augenblick verschwand der lässig liebenswürdige Ausdruck von den Zügen des anderen. Sie umwölkten sich. Sie wurden hart und verdrossen. Er versetzte schroff: „Seid so gut und lasst mich damit in Ruhe, du sowohl wie Mama! Ich habe die ganze Geschichte, weiss Gott, schon oft genug bereut. Es hat mir nachträglich vieles darin leid getan. Aber das Geschehene lässt sich nicht ändern. Es liegt nun einmal hinter einem!“

      „Ja — das ist deine Lebensmaxime! Was dir unbequem wird, hört auf, für dich zu existieren! Sehr einfach! aber dass ...“

      Erich von Wölsick machte eine ungeduldige Handbewegung. „Verschone mich bitte mit deinen Strafpredigten!“ sagte er finster, „erstens hast du keine Legitimation dazu und zweitens verstehst du das nicht! Es gibt Fälle im Leben, wo eine gewisse Grausamkeit in Wahrheit eine Wohltat für beide Teile bedeutet, weil sie eine unhaltbar gewordene Sachlage am raschesten und sichersten löst ...“

      „Und wie bitter weh das dem andern tut, daran denkst du nicht!“

      Erich von Wölsick ging ärgerlich im Zimmer auf und nieder. Seine Schwester merkte, wie peinlich ihm die Erwähnung dieses Zwischenfalls vom vorigen Sommer war, und wie viel schwerer, als sie geglaubt hätte, der doch noch auf seinem Gewissen lastete.

      „... als ob ich mir keine Vorwürfe gemacht hätte,“ versetzte er endlich, „ich war überhaupt unbesonnen in der ganzen Sache, von Anfang bis zu Ende! ... das gebe ich alles zu! aber was sollt’ ich denn nun machen? ... es blieb doch nur der eine Weg!“

      „Schön! dadurch ist für dich die Sache aus der Welt! aber die junge Frau ...!“

      „Mein Gott ... die wird allmählich ihre Ruhe auch wiederfinden! oder hat es vielmehr schon!“

      „Woher weisst du denn das?“

      „Dessen bin ich sicher! sonst hätte ich doch nicht so gehandelt!“

      „Dessen bist du gar nicht sicher, sondern du hast dir einfach nicht die Mühe genommen, darüber nachzudenken, was aus ihr wird! Das hätte dir unbehaglich werden können — da wären dir peinliche Bilder gekommen — so was liebst du nicht — also dekretierst du einfach: ‚Frau Ansold verhält sich in Zukunft so und so! denn das ist mir am bequemsten!‘ ...“

      „Weisst du etwa das Gegenteil?“

      „Ja.“

      „Wieso?“

      Er trat näher auf seine Schwester zu. Sie kreuzte die Arme über der Brust, sah ihn fest an und sagte langsam, in dem Vollgefühl ihrer Überlegenheit und einem inneren Triumph, ihn endlich einmal demütigen zu können: „Da ist Mamas Brief. In dem steht alles! ich lasse ihn dir da, damit du ihn nachher noch einmal durchlesen kannst. Frau Ansold hat schon in der ersten Hälfte September, also vor gut sechs Wochen sich von ihrem Mann getrennt und will um keinen Preis zu ihm zurück. Er hat mit ihr gesprochen. Umsonst! Er hat ihr einen Monat Bedenkzeit gegeben. Umsonst. Er war wieder bei ihr. Umsonst. Sie bleibt dabei, sich scheiden zu lassen ... das weiss nun schon die ganze Garnison und die Nachbarschaft.“

      „Ja ... um Gottes willen ...“ Erich von Wölsick setzte sich auf den nächsten Stuhl und griff sich mit der Hand an die Stirn. „Da müsste ich aber doch der erste sein, der das wüsste! Das hätte sie mir doch geschrieben! mir wurden doch alle meine Briefe nach Schottland nachgeschickt! ... es war nie eine Zeile von ihr darunter.“

      „Nun eben! es scheint, dass sie, nachdem du nichts mehr hast von dir hören lassen, dir auch nichts mehr mitzuteilen hat. Erklären kann ich es auch nicht. Ich kenne sie ja gar nicht. Aber getan hat sie’s! fort ist sie! das steht fest!“

      Es entstand eine Pause. Endlich frug Erich von Wölsick halblaut: „Wo ist sie denn hin?“

      „Hierher, nach Berlin! Du kannst ihr jeden Tag auf der Strasse begegnen.“

      Er zuckte zusammen.

      „Sie hat eine Verwandte hier!“ fuhr die Geheimrätin fort. „Ein altes Fräulein von Kritzing, die Vorsteherin einer höheren Mädchenschule. Bei der hat sie eine Stelle als Sekretärin inne, sitzt tagsüber im Bureau und führt die Korrespondenz mit Eltern und Schulbehörden und was weiss ich und wohnt auch dort und lebt ganz eingezogen und wartet, dass ihr Mann in die Scheidung willigt, wozu er sich offenbar vorläufig noch nicht entschliessen kann. Und du bist an allem schuld — und die Tragödie spielt sich kaum eine halbe Stunde von dir entfernt ab, und du sitzt da und rauchst Zigaretten und merkst von nichts!“

      „Mir hat niemand etwas gesagt!“ Erich von Wölsick sprang wieder vom Stuhl auf und durchmass in langen, von steigender innerer Unruhe beflügelten Schritten das Zimmer von einem Ende bis zum anderen. Seine Schwester sah, wie er an sich halten musste, um seine Erregung zu unterdrücken, und doch merklich mit den Fingern zitterte, während er den Brief aufhob, einen Blick hineinwarf und ihn wieder fallen liess, und sie versetzte: „Mit den vielen Anklagen und Betrachtungen, die Mama darin schreibt, wollte ich dich nicht behelligen. Darum las ich ihn nicht vor. Es handelt sich ja nur um die Tatsache. Die hat ja natürlich noch keiner dir hinterbracht. Die Nächstbeteiligten erfahren ja so etwas immer später als alle anderen Menschen. Das ist eine alte Geschichte. Der Mann soll ja auch wie aus den Wolken gefallen gewesen sein über den Entschluss seiner Frau. Die hat damit euch beide überrumpelt, und ihr scheint sie beide nicht ganz gekannt zu haben. Aber jedenfalls — um Sommerwerk herum ist der Skandal schon fertig. In kurzem schlägt die Geschichte ihre Wellen bis nach Berlin ...“

      „Ach wo!“ ihr Bruder stiess es hervor. Er war stehen geblieben und stampfte ein paar Mal in ungeduldigem Zorn auf den weichen Teppichboden. Und wieder ruhiger werdend sagte er: „Und wenn Frau Ansold wirklich hier ist, glaubst du denn, dass sich Berlin darüber aufregt?“

      „Berlin? ... Was heisst Berlin?“ Frau von Teichardt zog die Schultern hoch. „Vergiss bitte nicht, dass Frau Ansold einen Mann hat. Dieser Hauptmann Ansold ist, scheint’s, ein büffeliger Mensch — langsam, aber furchtbar zäh in allem, was er einmal im Kopfe hat.“

      „Ein Dummkopf ist er ... ich kenne ihn doch!“

      „Mag sein! Jedenfalls hat er mehrfach seine feste Absicht erklärt, sich an dich zu halten, wenn seine Frau nicht zu ihm zurückkommt. Du wirst dich also wahrscheinlich in nächster Zeit mit ihm auseinanderzusetzen haben, und die Folgen einer solchen Auseinandersetzung können sehr leicht die Öffentlichkeit in Berlin beschäftigen!“

      Sie deutete mit unwillkürlich bangen Augen die Möglichkeit eines Zweikampfs an. Erich von Wölsick lächelte dazu nur höhnisch. Und sie fuhr fort: „Des ferneren: Frau Ansolds Vater ist der Generalmajor z. D. von Dolmar, lebt auch, wie du wohl weisst, hier in Berlin. Überall sehr bekannt. Ich glaube nicht, dass der alte Herr die Hände in den Schoss legen und sich die Sache so mit ansehen wird. Seine vier Söhne stehen alle in der Armee und Marine, zwei davon in Berlin — da hast


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