Neuer Anfang auf Wienhagen. Lise Gast

Читать онлайн книгу.

Neuer Anfang auf Wienhagen - Lise Gast


Скачать книгу
dabei sein.“

      „Ja, die muß auch kommen“, rief Barbara vergnügt. Fräulein Honigmann durfte nichts davon erfahren, daß sie Heiner in aller Unschuld beim Schwindeln geholfen hatte. Sie sprachen darüber, wie es damals in Wienhagen gewesen war. Es erschien ihnen, als sei dies alles schon lange her — —

      Sie waren am Bach angekommen.

      „Los, Bäbbs, laß dein Licht leuchten, wenns auch schwerfällt“, brummte Detlev, während er die Bindfäden, an denen die einzelnen Krebsteller hingen, zu entwirren versuchte. Barbara machte sich nichts aus seinem halblauten und nicht sehr zarten Schimpfen. Als Elisabeth einmal etwas dagegen sagte, meinte Barbara achselzuckend: „Laß doch. Männer müssen so sein.“

      Da mußte auch Detlev lachen. „Du Kiekindiewelt. Noch nicht trocken hinter den Ohren —“ er hatte soeben die Fäden auseinanderbekommen und setzte aufatmend den ersten Teller in den Bach, daneben den zweiten und den dritten. „Kommt, wir lassen ihnen erst mal Zeit, den Leckerbissen zu wittern.“

      Sie setzten sich ein wenig abseits vom Bach ins Gras, das schon feucht vom Tau war.

      Detlev gähnte.

      „In einem Jahr bin ich schon auf der Uni. Leicht machen sie es einem wahrhaftig nicht, aber schaffen werden wir es wohl. Ich bin ja gespannt, wie Rüdi und Heiner sich in ihrer neuen Schule zurechtfinden.“

      „Mir hat es dort gut gefallen.“ Elisabeth war mitgefahren, als Mutter die beiden Jungen nach Neunkirchen gebracht hatte. „Die Schule ist eine uralte Bude. Aber der Ton, der darin herrscht, ist anders als in unseren Schulen. Und es roch —“ sie lachte.

      „Wonach roch es denn?“ erkundigte sich Ingrid.

      „Ich finde es wichtiger, daß es nach manchem nicht roch. Nach Fußbodenöl zum Beispiel oder nach ungelüfteten Sachen und eingepackten Broten. Ihr braucht mich gar nicht auszulachen.“

      Es war in der Familie bekannt, daß Elisabeth ein ausgesprochener Nasenmensch war. Sie wurde oft damit geneckt.

      „Der Direktor ist noch gar nicht alt, er hat einen Arm im Krieg verloren. Sein Bruder den anderen. Wir saßen bei Tisch neben ihm, Mutter auf einer Seite, ich auf der anderen. Mutter legte ihm vor und half ihm ein bißchen. Dabei erzählte er, ganz unbefangen. Er sagte, alles habe seine Vorteile. Seine Mutter schenkte ihm und seinem Bruder Weihnachten immer ein Paar Handschuhe.“

      „Das nenne ich Humor“, sagte Detlev. Sie saßen alle nebeneinander. Barbara rutschte und rückte, ehe sie einen bequemen Platz gefunden hatte. „Nun sitz doch endlich still“, brummte Detlev. — „Wenn jemand Humor hat, kommt er vielleicht sogar mit Rüdi aus. Trotz Rüdis Sommersprossen.“

      „Die stehen ihm doch gut“, sagte Barbara. Wenn Barbara so etwas sagte, konnte man nur schwer anderer Meinung sein. Sie traf den Nagel fast immer genau auf den Kopf.

      Elisabeth bewunderte die kleine Schwester, ohne je darüber gesprochen zu haben. Barbara war unbefangen wie ein Kleinkind, das noch nie jemand gerügt oder eingeschüchtert hat. Sie sagte alles, was ihr durch den Kopf ging, und das war stets ihre wirkliche Meinung und nie etwas Nachgeplappertes. Nie war sie verlegen — Elisabeth, die immer gleich rot wurde, beneidete sie darum. Außerdem würde Barbara einmal hübsch werden, meinte Elisabeth. Sie hatte einen großen, geschwungenen Mund, kirschrot, mit klar abgesetzten Lippen. Sonst war ihr Gesicht noch unfertig und kindlich. Die Haut schimmerte matt, ein ganz klein wenig bräunlich, auch im Winter, wie leicht angerauchtes Porzellan. Elisabeth, die weder sich selbst noch Ingrid hübsch fand, erwartete sozusagen etwas von der jüngeren.

      Barbara ahnte von solchen Überlegungen nichts. Sie hatte die Eitelkeit noch nicht entdeckt, lief in Hosen herum und ließ die Haare wachsen, wie sie wollten. Neulich hatte Elisabeth sie dabei erwischt, wie sie sich selbst vor dem Spiegel die Haare zurechtschnitt, weil sie allzu lang geworden waren, und zwar mit Vaters Papierschere.

      „Bist du wahnsinnig geworden?“ hatte sie gefragt und ihr das Mordinstrument entrissen.

      „Warum denn? Krakelig ist jetzt Mode“, war Barbaras Antwort gewesen. Etwas von Mode schien sie also doch schon zu ahnen.

      Elisabeth seufzte, während sie diesen Gedanken nachhing. Was würde aus den Geschwistern einmal werden?

      „Wißt ihr eigentlich, daß Humke ein kleiner Hund fehlt? Irgend jemand muß ihm einen geklaut haben. Er war wütend, sage ich euch“, erzählte Barbara. Humke, der Verwalter, besaß eine sehr schöne, echte Schäferhündin, die kurz nach Ostern sechs Junge geworfen hatte. Humke war außerordentlich stolz auf die Kleinen und rühmte sich damit, keinen unter vierhundert Mark zu verkaufen.

      „Au backe, das gönn ich ihm“, sagte Ingrid. „Wann denn?“

      „Ist schon eine Weile her. Noch dazu den schönsten, einen Rüden.“ „Wollen wir nach unseren Tellern sehen?“

      Sie hatten Petriheil, wenn man beim Krebsen so sagen konnte.

      „Sicher gibt es so viele, weil wir ihnen jahrelang Ruhe gelassen haben“, sagte Ingrid träumerisch, als sie den Korb dreiviertelvoll hatten. „So, jetzt keine mehr, sie krabbeln nur raus.“

      Der Himmel war tintenschwarz, als sie heimwanderten, mit Sternen, die wie hingeritzte Löcher aussahen. Barbara hatte sich bei Elisabeth eingehakt, um nach oben sehen zu können. Detlev brummte:

      „Hineingeritzte Löcher!“ Es klang wegwerfend. Barbara lachte nur. —

      Schweigend gingen sie durch die Nacht. Die Dunkelheit umschloß die Geschwister und sonderte sie von der Welt ab. Die Tritte klangen dumpf auf dem Waldboden, ab und zu das Knikken eines Zweiges, ein Rascheln im Unterholz, Rauschen in den Wipfeln. In der Ferne hörte man den Ruf eines Käuzchens.

      Dann traten sie aus dem Wald heraus. Vom Dorf her leuchteten zwei helle Fenster zu ihnen herüber. Aber sie hätten den Weg auch so gefunden. Der Mond trat aus den Wolken hervor und legte einen hellen Schimmer über das ganze Land.

      Als sie ins Dorf einbogen, schlug es Viertel eins. So spät! Dabei hatten sie sich gar nicht bemüht, sondern nur immer wieder die Teller abgeleert und in den Bach zurückgestellt. Zwischendurch hatten sie gesessen und geschwatzt und geschwiegen. Detlev hatte eine Zigarette nach der anderen geraucht.

      Das Dorf lag still; nur ab und zu bellte ein Hund. Die Fenster waren jetzt alle dunkel. Der Turm der Kirche ragte wuchtig über die Häuser hinaus, viereckig und gedrungen. Die Kirche war alt. Im Dreißigjährigen Kriege hatten sich die Bauern hineingeflüchtet, wenn die Horde der Soldateska kam. Wehrkirche — das Wort gefiel Elisabeth. Es klang aufrecht und streitbar.

      „Horch, ein Auto“, sagte Ingrid, als sie in den Hof traten.

      „Und?“ fragte Detlev spöttisch.

      „Natürlich: und!“ sagte Barbara. „Was will denn, bitte schön, jetzt ein Auto in unserem Hof?“

      „Wer sagt denn, daß es hierher will?“

      „Ich“, meinte Barbara. Und sie hatte recht. Das Auto bog ein. Detlev wunderte sich vor allem darüber, daß die Mädel recht behalten hatten. Der Wagen fuhr tatsächlich in den Gutshof und hielt vor dem Wirtschaftsgebäude an, jetzt in tiefer Nacht.

      Die Geschwister hatten sich wie auf Verabredung dicht an die Mauer gestellt, eins nahe an das andere. Es war unmöglich, daß man sie hier sah, der Scheinwerfer des Wagens strich mindestens zwei Meter vor ihnen vorbei.

      „Bumke“, sagte Detlev leise.

      Ja, es war Verwalter Humke, der ausstieg. Sie erkannten es alle vier. Der Fahrer des Wagens hatte auf kleines Licht geschaltet, aber dafür das Innenlicht angedreht. In seinem Schein sah man deutlich, wie Humke, der hinten gesessen hatte, etwas mühsam — er war ein großer und schon ein wenig in die Breite gehender Mann — die Beine erst anzog und dann zur Tür hinausstreckte, die der Fahrer aufriß. Dann stand er und suchte in seinen Taschen. Humke schien nicht gesonnen zu sein, dem Fahrer einfach einen großen Schein zu geben und auf das Herausgeben zu verzichten. Er knöpfte seinen hellen Mantel auf, um besser in die Taschen seines


Скачать книгу