360 Grad - heisse Erzählungen. Marianne Sophia Wise
Читать онлайн книгу.mir zu folgen und versucht sich an einer Kette aneinandergereihter Wörter, die langsam beginnt sich aufzulösen.
„Ich weiß nicht warum, aber es fühlt sich irgendwie seltsam an mit dir über solche Dinge zu sprechen. Wir kennen einander ja nicht wirklich.“
Er sagt das, während er gegen einen Mülleimer pinkelt. Mit einer an die Mauer gelegten Hand und gespreizten Beinen steht er da und ich muss mich wirklich zusammenreißen, mich nicht selbst zu befummeln, während ich ihn so ansehe. Es liegt etwas Obszönes im Szenario dieser Sommernacht.
„Manchmal ist es leichter mit Leuten zu sprechen, die man nicht so gut kennt.“
„Schon möglich. Ich bin nicht dumm – das bist du auch nicht. Es muss nicht unbedingt sein, dass alle wissen, was wir heute Abend geredet haben. Du bist der erste Mensch, dem ich von dem Bild erzählt habe. Es ist furchtbar das Motiv eines anderen zu sein.“
„Warum sollte ich die Geschichte auch weitererzählen? Nun gut – willst du wissen, was sich hinter dem Namen ISM verbirgt?“
Er packt seinen Schwanz weg, bevor ich ihn sehen kann.
„Ja! Woher kennst du ISM?“
„Man hört ja die eine oder andere Geschichte in diesem Milieu. Man klatscht und tratscht. Auch ich habe so einiges gehört und gesehen. Es gab ja schon viele Theorien über ISM und wer hinter dem Namen, den Malereien, Fotos und Installationen derselben Ästhetik steckt. War es nicht dein Kollege, der glaubte, es wäre ein Sammelbegriff für mehrere Personen, als ISM vergangenes Jahr den Durchbruch hatte? Du kannst ihn von mir grüßen und ihm ausrichten, dass ISM nur eine Person ist, und zwar ein verficktes Monster. ISM ist bei den eigenen Vernissagen inkognito, aber immer dabei und macht einen auf smart. Macht die eigenen Kunstwerke vor den anderen schlecht, nur, damit diese eine ehrliche Stellung dazu beziehen. ISM wirkt wie ein seriöser Künstler, hat gleichzeitig jedoch Sperma an den Fingern, im Mund und zwischen den Beinen herunterlaufen. Nichts anderes als ein kleines, durchgeficktes Künstlerluder. Mit tonnenweise Talent. Und die Leute zahlen ein Vermögen für dieses Scheißkonzept.“
Er ist sprachlos. Sein Mund steht einen Spalt weit offen, gerade richtig um einen Finger oder die Zunge hineinzustecken. Ich mache einen letzten Zug und spicke den Joint weg.
„Wirklich?“
„Ja. Komm mal mit, dann zeig ich dir was. Ich weiß, wo etwas über die kommende Ausstellung steht und ich weiß, wie wir hineinkommen können. Ich habe einmal für diese Galerie gearbeitet. Sie ist auf der anderen Seite dieses Hinterhofes. Komm mit. Du sollst ja verdammt noch mal nicht auf solch eine Weise missbraucht werden. Ich habe gehört, dass es dieses Mal eine Hommage an Kate Bush werden soll.“
„Ha! Lächerlich! Total billig und girly. Ich habe irgendwo gelesen, dass ,Running up that hill’ einer der am häufigsten missverstandenen Songtexte in der Geschichte der Popmusik ist.“
Es ist ein fantastischer Hinterhof mit aneinandergereihten Kellerschächten entlang der Mauern, sieben Hinterhäuser und mehrere Tore. Ich aber finde die Stelle, die wir brauchen. Ich suche nach dem Schlüssel zu einer morschen Tür, wir schleichen hinein – kichern und albern in der Dunkelheit herum. Ich knipse eine Tischlampe im Hinterzimmer an. Regale, Staub, Leinwände. Die Lampe gibt nicht viel Licht, aber genug, um die großen Malereien zu sehen. Sie stehen mit der Rückseite zu uns gedreht da, aber trotzdem ist eindeutig zu erkennen, dass es die Bilder sind, von denen er gefaselt hatte. Muskeln und Fleisch, ausgestreckt, ungehemmt, aufreizend. Geschmiert über Quadratmeter von Stoff. Details von Schönheit, Fetzen von Materialien – aufgeklebt, um eine andere Stofflichkeit zu erzeugen – die Körper aufgeraut, fast schon fieberhaft heraufbeschworen. Als wären sie schon im Bild gefangen gewesen bevor sie entstanden sind. Als ob sich das Motiv aus dem Bild gedrängt hätte, wie eine gigantische, kaleidoskopische, farbexplosionsartige Ejakulation – mein neuer Freund natürlich ganz außer sich als er den ausgestreckt dahindrapierten Körper auf den Knien mit aufgesperrtem Mund vor sich sieht.
„Zum Teufel! Zum TEUFEL!“
„Pssst … Das bist doch sicher nicht du.“
„Nein. Es sieht ehrlich gesagt eher aus wie du. So ein dünnes, junges Ding. Spindeldürr und Ringe über dem ganzen Körper. Du bist offenbar als nächstes dran?“
„Fuck.“
Er steht so da, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. Er versucht sich nüchterner aussehen zu lassen, beginnt zu brabbeln. Quasselt Scheiße über Kunst und den selbst erzeugten, kreativen Hunger der Künstler, in dem Glauben mich damit aufzumuntern. Ich wirke bedröhnt – was ich vermutlich auch bin, nach zwei Flaschen Rotwein und einem Joint. Er stützt mich. Seine Hände sind stark. Ich lehne mich an ihn, inhaliere ihn, seinen Brustkorb, Hals. Spüre die Stärke in ihm.
„Ist schon okay. Ich habe nichts dagegen, falls das ich sein soll. Es steckt wohl ein bisschen von einem Exhibitionisten in mir. Aber es ist schon etwas befremdlich, es anzusehen. Unerwartet.“
Er lässt mich ein wenig los, wirft einen Blick hinter das vorderste Bild und findet eine weitere Leinwand. Er zieht sie heraus. Es sieht ihm eigentlich sehr ähnlich.
„Siehst du! Das hier meinte ich.“
Die Version von ihm liegt faul auf einer Couch, den einen Arm über den Kopf, den anderen auf den Schoß gelegt. Es sieht fast so aus, als schliefe er. Das eine Auge jedoch formt sich zu einem durchbohrenden, ungehemmt lüsternen, leuchtend blauen Blick. Ein wirklich obszöner, genießender Satyr. Der barbarische Faun auf Viagra und LSD. Die Beine gespreizt, der Penis verzerrt und enorm, beinahe vibrierend im Auge des Betrachters. Sein Gemütszustand ist irgendwo zwischen schockiert und aufgeheizt.
„Ja, das ist intensiv. Ich verstehe, dass du entrüstet bist. Das ist sehr nackt … fast schon so, als wäre nicht dein Körper, sondern deine Seele auf der Leinwand.“
„Danke – glaube ich. So habe ich das noch nie gesehen. Deshalb gefällt es mir wohl nicht.“
Er stellt das Bild zurück zu dem vorderen, dem, das mir ähnelt. Er starrt es an, gedankenverloren, bevor er sie beide von sich stößt.
„Ich sollte jetzt eigentlich schon wieder woanders sein, aber ich kann fast nicht mehr gehen. Ich glaube noch mehr Eindrücke verkrafte ich heute nicht.“
„Same here. Du …?“
Jetzt. Jetzt ergreife ich die Initiative. Hier, wo ich das ernte, was ich schon lange in ihn gepflanzt hatte. Ich fahre fort;
„Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, aber ich glaube ehrlich gesagt, dass ISM ein Mann ist. Und wenn ich dich hier so sehe … Die Art und Weise wie du auf diese Bilder reagierst..., dann denke ich, dass ja eigentlich du ISM sein könntest? Du hast doch früher gemalt. Und du warst verdammt gut darin – ich habe einige deiner alten Werke gesehen. Du hättest es zu etwas bringen können, das war echtes Talent, aber du hast einen anderen Weg eingeschlagen – in die Vermittlung – und bist dort groß geworden. Diese Werke könnten deine Lösung sein, dich selbst wieder zu finden.“
„Was zur Hölle sagst du da? Glaubst du etwa mir könnte so ein Blödsinn einfallen? So eine Schweinerei?“
Ich öffne meinen Kapuzensweater. Mein T-shirt ist abgewetzt, feucht und es klebt an mir, sodass er meine Piercings sehen kann. Er checkt meine Arme ab, sieht die Farbkleckse auf den Tätowierungen. Farbe, die sich wie eine Form auf die Farbe in meiner Haut gelegt hat. Das Licht der Lampe spiegelt sich in meinen Fingerringen, als ich meine Hand langsam hin zu meinem Schritt gleiten lasse – über meinen Brustkorb – meine Brustwarzen strecken sich durch den Stoff in seine Richtung. Ich ziehe es aus. Er genießt den Augenblick, als könnte er mich mit bloßen Blicken ficken.
„Alles was ich sage ist, dass es mir nichts ausmacht. Du kannst mich gerne malen. Ich habe schon bemerkt, dass du mich Freitag für Freitag immer abgecheckt hast. Du hast Lust auf etwas anderes, etwas Unverfrorenes. Aber das ist schon in Ordnung. Du stimulierst mich. Du bist interessant, es wäre mir eine Ehre. Mal mich!“
Sein Blick bleibt an meinen Händen hängen. Langsam öffne ich meinen Gürtel.