Drachentöter. Rudolf Stratz

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Drachentöter - Rudolf Stratz


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Motor in freier Luft — das war ein ander Ding als in solch einem, auf fester Erde rollenden Kasten . . .

      „Aber ruhen Sie sich gefälligst auf dem Sitz hier neben mir aus!“ sagte er zu dem Chauffeur, der über das Trittbrett hinabsteigen wollte. „Nicht innen im Wagen! Ich bin darin komisch: Ich habe hinten keine Augen! Ich hab’ nicht gern fremde Leute im Rücken!“

      Der Mann fügte sich — finster wie immer. Er rückte sich zurecht und schloss die Augen.

      Nach München . . . Nach München . . . . .

      Die Limousine lief. Frass die Kilometer. Die Landstrasse flog ihr entgegen. Es begann allmählich zu dämmern. Der Abend sank. Blutrot glühte zur Rechten der schwindende Sonnenball zwischen schwarzem Gewölk. Die beiden vermummten Männer, der Wache und der Schlafende, fuhren ihre Sturmfahrt weiter in die Nacht hinein. Nebel grauten. Weiss dampften die Wiesen. Schwarz stand der Wald. Der Chauffeur erwachte. Gähnte. Schaute um sich.

      „Ich fahre wieder!“ sagte er, und, auf das Kopfschütteln des andern, mit einem Ungestüm, das seiner sonstigen, finsteren Geschmeidigkeit widersprach: „Mir ist Wagen anvertraut! Jetzt — Sie schlafen! Später — bei Mondschein — wir wechseln wieder!“

      Dem andern war es recht. Er hatte nur einige Stunden chauffiert. Aber es war ihm ungewohnt, nach der langen Haft. Die durch Monate entbehrte frische Luft schläferte ein. Die Müdigkeit kam, nach der Anstrengung der letzten Nacht, seitdem er — vor noch nicht vierundzwanzig Stunden — zum erstenmal die Feile an die Gitterstäbe seiner Zelle gesetzt.

      „Wissen Sie denn den Weg?“ frug er noch zur Vorsicht.

      „Jetzt — hier — ist Weg nicht zu fehlen!“

      Er setzte sich innen in die Limousine. Er war entschlossen, nicht zu schlafen, sondern, durch die Vorderscheibe hindurch, aufzupassen, dass die dunkle Gestalt draussen am Steuer in der tiefen Dämmerung nicht absichtlich oder unabsichtlich vom Weg abirrte. Gefährlicheres — etwa ihm ernstlich irgendwie ans Leben gehen — konnte der Unbekannte nicht wagen. Denn jeder Unfall des Autos kostete ihm ja zuerst das Genick. Zudem hatte er hier drinnen ja den Chauffeur vor sich ständig im Auge. Die Pistole zur Hand. Gut . . .

      Nach München . . . nach München . . .

      Der Wagen jagte durch die mondhelle Nacht. Eintönig, im Viertakt der Zylinder, hämmerte sein Herzschlag. Man konnte den Tonfall heraushören: Nach — München — nach München . . . Immer wieder . . . Es wirkte einlullend — dieser stete Gleichklang . . . Der Flüchtling kämpfte dagegen . . . zwinkerte mit den schweren Lidern. Schloss sie . . .

      . . . Irgend etwas hatte ihn geweckt . . . Ein Schlag draussen? . . . Ein Fall? . . . Er fuhr empor . . . blinzelte ungewiss um sich . . . Er war doch eingenickt gewesen . . . Es war ein bisschen zuviel . . . die letzte Nacht . . . und dieser Tag . . . Er war noch ganz schlaftrunken . . . Überlegte . . . Wo war er denn eigentlich? . . . In der Zelle? . . . Ach so . . . nein . . . diese seidenbespannte Polsterecke, in der er lehnte — die welkenden Blumen in den Silbervasen an der Wand vor ihm — in der Luft ein letzter, ganz feiner Hauch vom Parfüm der Frau, die diesen Morgen in diesem Wagen gesessen . . . Er begriff . . . Gott sei Dank . . . Vorwärts . . . nach München . . .

      Tak . . . tak . . . der Motor surrte . . . tat unermüdlich seine Pflicht. . . Draussen glitten im Mondschein die Schatten von Bäumen vorbei . . . auffallend langsam . . . Es ging steil die Strasse aufwärts . . . immer noch langsamer . . . aber da war schon, nach drei, vier Metern, die Steigung überwunden. Der Wagen hatte sie gerade noch ohne Zurückschaltung auf langsamere Gangart gemacht — das war ein bekannter Trick guter Chauffeure, den Schwung des Anlaufs auszunutzen. Nun holte die Limousine oben förmlich Atem, lief auf dem ebenen Boden los, vergrösserte reissend ihre Schnelligkeit, stürmte wie ein durchgehender Gaul mit der vierten Geschwindigkeit und Vollgas hinaus in die Nacht.

      Hoffentlich in der gehörigen Richtung, bei dem wahnsinnigen, immer noch wachsenden Tempo . . . Er spähte durch die Stirnscheibe nach vorn. Schnurgerade, von Bäumen eingefasst, dehnte sich im grellen Mondschein die Landstrasse. Sie schien dem Auto entgegenzuschiessen in der wilden Jagd. Es war der richtige Weg. Gut so, dass der Kerl am Steuer die Karre auf Tod und Leben laufen liess . . . . .

      Ja, wo war er denn?

      Der innen im Wagen fuhr sich mit der Hand an die Stirne: Er sah ganz deutlich durch die Scheibe draussen das freie Lenkrad. Keine Hand an seinen Speichen. Kein dunkler Rücken eines Fahrers zwischen dem Steuer und dem Innern des Wagens. Der Platz des Chauffeurs war leer. Die Limousine raste führerlos hinaus in die Nacht.

      Ein Blitz durch das Hirn des aufspringenden Mannes . . . Ein Gedanke: Der Kerl hat in vierter Geschwindigkeit die Steigung genommen, ist oben, zwei Schritt vor der Höhe, wo es ganz langsam ging, abgesprungen und hat die vierzig Pferdekräfte allein weiterrennen lassen . . .

      Die Wagentür auf . . . Heulend umpfiffen ihn die Luftwirbel der rasenden Fahrt . . . Hinaus . . . den Fuss auf das Spritzlech . . . über den Werkzeugkasten weg . . . die Hand nach der Messingstange der Windscheibe vorn . . . Sie fasst . . . der Körper schwingt sich hinterher . . . Kinder — das habt ihr fein gemacht . . . Nur an eins habt ihr nicht gedacht: An das Entschlusstempo eines Kampffliegers, der Dutzende von Malen sein Leben nach Bruchteilen von Sekunden gerechnet hat . . .

      Die Landstrasse . . . Noch immer streckte sie sich als breites, gerades Band . . . Aber wie lange noch? Das Auto frass sie in sich hinein. Jede Krümmung war der Tod . . . .

      Seine Füsse erreichten den Boden des Führersitzes. Vorsicht: Nicht auf die Bremse treten! Sonst überschlagen wir uns dreimal in der Luft — der Wagen und ich . . . Er schob die Schultern nach — schaute nach vorn . . . da tauchte es plötzlich aus der Nacht . . . rechts . . . links am Weg . . . Nun wusste er, warum der Mann am Steuer diese Stelle zum Absprung gewählt: Grell leuchteten auf grossen Tafeln, im Mondschein weithin sichtbar, die Gefahrwarnungen auf — die blitzartige Zickzacklinie: ‚Achtung: Kurve!’ . . . Drei, vier grosse Aufschriften: Alle Automobilverbände von Deutschland warnten: ‚Achtung! Kurve!’ Es musste eine der gefährlichsten Stellen in deutschen Landen sein, auf die das Auto atemlos Sturm lief.

      Die weissen Flecken der Warnungstafeln waren im Hui in der Nacht zurückgeblieben. Da vorn, im Schwarzen, Unbekannten, war der Tod. Zwei Füsse hat der Mensch. . . zwei Hände! . . . Zwei Hände und zwei Füsse griffen blitzschnell, meisternd, in die durchgehende Maschine. Die Kuppelung ausgetreten — die Hand am Schalthebel . . . . det Motor gedrosselt . . . Da: Zum zweitenmal am Weg aus der Mondnacht wachsend die Warnungstafeln: Achtung! Kurve! . . . Nun bremsen . . . vorsichtig . . . vorsichtig . . . der nächste Augenblick hiess Gefahr. Da schwenkte schon die Landstrasse ganz plötzlich, jäh, in scharfer Krümmung steil abwärts. Er konnte eben noch den immer noch rasenden Wagen hart an den Geländerbalken fangen und herumwerfen, die unter dem Anprall wie Streichhölzer geknickt worden wären. Während er das Lenkrad drehte, sah er zwischen seinem erhobenen rechten Ellenbogen und seinem Körper tief da unten ein einsames Licht vor einem Wächterhaus in dem Steinbruch, der da zwei Zoll neben ihm sich senkrecht in den Abgrund klüftete.

      Immer neue scharfe Kurven. Die Strasse senkte sich, seitlings von dem Steinbruch, in vielen steilen, kurzen Schlangenwindungen zu Tal. Jede einzelne hiess für einen führerlosen Wagen das Ende seiner Fahrt. Aber die Maschine war gebändigt, gebremst, gedrosselt. Sie trudelte gehorsam ihres Wegs. Rannte flink unten im Wiesengrund durch schlafende Dörfer, verträumte Felder, mondhelle Wälder weiter. Der sie lenkte, hatte keine Zeit nachzudenken. Nach München . . . nach München . . .

      War er schon in Bayern? Er fuhr durch einen Hohlweg. An der roten Sandsteinwand prangte schwarz aufgemalt der Sowjetstern. Mit Teerpinsel darunter: „Hoch Moskau!“. Er wusste, dass er sich noch in Thüringen befand. Weiter! . . . weiter . . . Die Nacht nutzen . . . Der helle Tag heisst neue Gefahr . . .

      Zuweilen übermannte ihn die Müdigkeit. Er fiel am Steuer in sich zusammen. Der Kopf sank ihm auf die Brust. Er riss sich, mit hartem Gesicht, hoch. Er befahl sich: Du bleibst wach! Du bleibst stark! Du musst!

      Und wieder schaute er aufmerksam vor sich in die Nacht. Lenkte mit klarem Kopf den Wagen. Es tat not. Die Strasse war hier schwierig, im Gebirge. Er sehnte sich


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