Drachentöter. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Drachentöter - Rudolf Stratz


Скачать книгу
der Maas bis an die Memel,

      Von der Etsch bis an den Belt . . .“

      Der Gesang verstärkte sich. Schwoll zu einem gläubigen Gebet der Massen und verklang:

      „Deutschland — Deutschland über alles —

      Über alles in der Welt!“

      „So! Und jetzt, mein’ ich — jetzt geh’n wir miteinand’ nach Haus“, sagte ein gemütlicher Wachtmeister, der frischweg mitgesungen hatte. Es schien, als sollte sich nun alles, gemäss dem jähen Stimmungswechsel der bald unheimlich fiebernden, bald träge träumenden Isarstadt, in sonntägliches Wohlgefallen auflösen. Da gellte, von dem Prellstein an der Strasseneke herab, eine helle Jünglingsstimme leidenschaftlich über den Platz:

      „Nach Haus! . . . Wenn ihr Kaschperle uns nur immer wieder nach Haus schicken könnt! Was G’scheiteres fällt keinem mehr in Deutschland ein! Habt ihr uns im heiligen August vierzehn auch gesagt: Bleibt’s zu Haus!? . . . Da haben wir hinausdürfen . . . Wir alle hier . . . Vier Jahre sind wir nicht nach Haus gegangen, bis wir nimmer konnten . . . .“

      Die Menschen strömten in der Richtung nach dem Prellstein und drängten sich. Polizisten arbeiteten sich durch die Menge. Der junge Mann über ihr breitete fanatisch die Arme aus. Seine Stimme füllte mühelos den weiten Platz.

      „Der Schützengraben war unsere Heimat! Der Granatentrichter war unser Vaterhaus! Der Sternenhimmel war unser Dach! Wir haben Deutschland die Treue gehalten! Wir sind mit stolzem Haupt heimgekehrt! Wir wollen nicht hinterher dem Saupack von Franzosen die Schuhputzer machen! . . .“

      Der Redner war wenig über die Mitte der Zwanzig, bartlos, mit blossem Kopf, baumlang — von etwas zu schmalem Wuchs noch für einen Athleten, und doch in jeder Bewegung voll federnder Kraft des Sportplatzes. Vor ihm — unter ihm — standen seine Freunde — ein Dutzend und mehr — junge Gesichter — gebräunt, wie einst vom Schützengraben, so jetzt vom Gletscherbrand des ewigen Schnees, und bald wieder von der Wintersonne über der weissen Skihalde — gebräunt von Wind und Wetter des grünen Rasens und der blauen Wasserfläche . . . Er hob die geballte rechte Faust. Er schrie:

      „Wir sind verraten! . . . Zweiundzwanzig Staaten haben seinerzeit der Reihe nach Deutschland den Krieg erklärt — England und Amerika an der Spitze — und ein Haufe Männer und Weiber in Weimar hat es hinterher im Friedensvertrag von Versailles feig und lügnerisch zugegeben, Deutschland hätte der Welt durch seinen Angriff den Krieg aufgezwungen . . .“

      Es ging ein erbittertes Murmeln durch die Menge. Die Schutzleute blieben stehen und horchten.

      „Unsere Kabel, unsere Kolonien, unsere Schiffe, unseren deutschen Rhein haben sie in Weimar hingeschenkt und abends im Wirtshaus, im ‚Goldenen Schlüssel’, ins Stammbuch geschrieben: „Erst mach’ dein’ Sach’! — dann trink und lach’!’ . . . Unser herrliches Heer haben sie in Weimar für immer zerschlagen, statt es wiederaufzurichten. Vier Jahre haben wir draussen in der Höll’ auf Erden euch deutsche Frauen vor Marokkanern und Kosacken bewahrt! Dafür schmeisst ein Haufe Männer und Weiber in Weimar unsere tapfersten Kameraden dem Feind als Kriegsverbrecher hin, als wären’s alte Haderlumpen . . .“

      „Schande! Schande!“ schrie eine wilde Mädchenstimme in der Menge. Die Freundin daneben beschwichtigte:

      „Immer machst du bei so ’was den meisten Lärm!“

      „Sei still und falt’ die Hände und schau ihn dir lieber an, wie er dasteht . . . So denke ich mir den Siegfried . . .“

      „Wegen dem hellblonden Haarschopf . . .?“

      „. . . und wegen den blauen Augen . . . und die Gestalt . . .“

      „Bravo! Schwärm’ nur gleich drauf los! Wo du ihn ja gar nicht mal kennst!“

      „Der ist der Siegfried . . . Der deutsche Siegfried . . .“

      „Und wenn einem dann das Blut kocht, dass die Totengräber des Letzten, was wir noch haben — dass die Totengräber der deutschen Ehre ungestraft in Deutschland deutsche Männer zu Sklaven der Feinde machen“ schrie der Jungmann, „dann heisst’s: ‚Geht’s fei’ heim!’ . . . Kruzitürken ja — da fährt der Franzos in voller Uniform bei uns am hellichten Tag in den Strassen umeinander, als ob ihm München schon gehören tät . . . und dort in Norddeutschland — da sitzt unser Führer — unser Vorbild — unser Hauptmann Kettrich seit Monaten von Entente wegen als Kriegsverbrecher im Gefängnis und kommt in nächster Zeit vor Gericht!“

      „Is ja aussi . .!“ rief frohlockend eine Stimme aus dem Hutgewühl unten. Der junge Mann oben beugte sich stürmisch vor:

      „Was sagen’s — Sie Freunderl da hinten?“

      Eine Zeitung flatterte dort triumphierend in hoch erhobener Hand.

      „Da . . . in dem Blatt eben steht’s . . . Gestern in aller Früh ist er ausg’witscht . . . der Kettrich . . .“

      „Und nicht wieder gefangen?“

      „Keine Spur von ihm . . . schreiben’s da . . .!“

      „Hurra!“ schrie der Jüngling oben begeistert, mit leuchtenden Augen. „Unser Kettrich frei! . . .“

      „Hurra!“ jauchzten die unten um ihn. Ihre Züge waren verklärt. Sie schüttelten sich glückwünschend die Hände. Es lief ein Rauschen durch die Menge. Da und dort ein Freudenausbruch. Lachende Rufe von einem zum andern: „Der Kettrich ist frei! . . . Unser Kettrich frei!“

      „Das haben’s fein gemacht — die Kameraden in Norddeutschland . . .“

      „Respekt vor die Preussen!“

      „Wo haben sie ihn wohl hin?“ murmelte, unterhalb des Redners auf dem Prellstein, einer der jungen Männer dem anderen zu. Und der ihm ebenso leise ins Ohr:

      „Ich denk’, sie schaffen ihn erst nach Pommern oder Mecklenburg, weil’s dahin näher ist. Hernach findet sich der Kettrich schon zu, uns hier ’runter . . .“

      Der reckenhafte blonde Siegfried auf dem Prellstein wollte wieder reden. Ein Polizist wehrte ihm schonend.

      „Sie müssen jetzt still sein. Ansprachen unter freiem Himmel sind nicht erlaubt!“

      „Wenn ihr bloss verbieten könnt! Weiter wisst ihr nix! . . . Das nennen’s nachher heutzutag’ die Freiheit — merkt’s fei’, ihr deutschen Männer — ihr deutschen Frauen da um mich her — das nennen’s die Freiheit, dass alles — ausser dem Schieben und den Schiebetänzen — schlechthin verboten ist — im Namen der Freiheit! Für die Freiheit hat unser Kettrich auch schön gedankt! Ist ausgerückt und hat a solchene Freiheit auf die Kirchweih geladen! Unser Kettrich hoch! . . . hoch! . . . hoch!“

      „Hoch!“ schrien die begeisterten jungen Männer in der Runde um den Redner und schwenkten die Hüte. Viele aus der Menge riefen mit „hoch!“, ohne zu wissen, wem es galt. Ein alter Hofbräuhäusler, der schnaufend seinen Bierwampen vom Platzl herauftrug, frug seinen Nachbarn:

      „Sö — wer is denn nachher der Kettrich?“

      „Einer von die Aufrechten — verstengen’s!“

      „A sölchene Leut’ brauchen wir!“ keuchte der Dicke. „Hoch der Herr Kettrich! . . . Dös is an Mann!“

      „Hoch! . . . hoch!“

      „Hoch!“ schrie leidenschaftlich noch hinten, ganz allein, die Mädchenstimme von vorhin. Um sie lachte es. Der zornentbrannte junge Hüne auf dem Prellstein gellte, auf den Schutzmann weisend, der ihn mit sanftem zwang herunternötigen wollte:

      „Da schaut’s her! . . . Wenn einer in Deutschland furchtlos die Wahrheit sagt, dann ziehen’s ihn an den Haxen abi in’n Dreck! . . . Sie, Kamerad von der Sipo . . . Sie tragen das Eiserne Kreuz und das Verwundetenzeichen! Wir haben zusammen gekämpft und geblutet — da draussen! Wir alle hier!“

      „Schamen’s Ihna net?“ tobte es


Скачать книгу