Drachentöter. Rudolf Stratz

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Drachentöter - Rudolf Stratz


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Wachtmeister sinnend.

      „Ja Aber jetzt schreiben Sie mich endlich auf!“

      „Ich schreib’ Sie net auf!“ Der Mann des Gesetzes wurde plötzlich zornig. „Sie sind, weiss Gott, schon geprüft g’nua . . . Da derft’ ich überhaupts bald das Münchener Adressbuch ausschreiben, wenn ich . . . Na also . . . Endlich haben die Leut’ ein Einsehen und geben a Ruh’!“

      Die Menge hatte sich schon gelichtet. Sie rieselte jetzt ganz auseinander. Es war Sonntag-Vormittag und Weisswurstzeit. Aber während sich die Neugierigen trollten, formten sich aus der Masse der Mitläufer heraus scheinbar zwanglos neue kleine Stosstrupps und Trüppchen. Kein Demonstrationszug, bei dem es neue Scherereien mit der Polizei gegeben hätte. Die jungen Männer verstreuten sich zu zweit und dritt, — in losen Reihen — wie es gerade kam — auf dem Bürgersteig — auf dem Fahrdamm — die Residenzstrasse hinunter nach dem Odeonsplatz.

      Dort war jetzt die grosse allwöchige Münchener Stunde: Die Stadtmusik vor der Feldherrnhalle. Schon aus Vorkriegszeiten her die Parade der Schönen Welt. Die Kapelle der Reichswehr spielte den Feuerzauber. Bis in die Ludwig-, bis in die Briennerstrasse hinein standen, wandelten, plauderten die Damen und die Herren. Wie verschiedenfarbige Beete leuchteten da und dort in Haufen die Mützen der Korps. Vereinzelt das Grau der Uniformen. Ein Grüssen. Ein Stimmengeschwirr. Ein eindringliches Gerede von Mund zu Ohr. Ein Zunicken im Vorbeigehen. Ein Flüstern beiseite. Das sächsische Ehepaar, das, den roten Reiseführer in der Hand, von den Arkaden her sich das bunte Gesellschaftsbild ansah — es ahnte nicht, dass es hier auf einem blau-weissen Vulkan herumspazierte — dass dieser Boden zerklüftet war von einem unterirdischen Wirrwarr öffentlicher und geheimer vaterländischer Verbände, Kampfgruppen, Organisationen — dass die Taubenschwärme von der Theatinerkirche her allein hier sonder Galle und ohne Staatsgeheimnisse zwischen den Stiefeln der Herren und den hohen Rocksäumen der Damen trippelten.

      Der blonde Siegsried ging inmitten seiner Freunde, sie um Kopfeslänge überragend, mit den langen, federnden Schritten des Sportplatzes durch das friedliche, halb stehende, halb bummelnde Gedränge. Ein paar Krankenschwestern, mit dem Hakenkreuz als Brosche, schauten ihm verklärt nach. Das Hakenkreuz war überall. In den Knopflöchern der Herren. An den Hüten. Das Hakenkreuz als Krawattennadel. Das Hakenkreuz als Damenarmband. Das Hakenkreuz an der Mauer. Das Hakenkreuz als einendes Kabbalazeichen über diesem, dutzendfach in einzelne Parteien und Richtungen gegliederten nationalen Aufmarsch der blau-weissen und schwarz-weiss-roten Sehnsucht, in dem jeder wusste, wer der andere war — ihm über die Köpfe weg zuwinkte — ihn beobachtete . . .

      Den hünenhaften Jungmann mit seiner wettergebräunten Gefolgschaft kannte die ganze junge Männerwelt auf dem Platz. „Da geh’ her, Hansei!“ rief es und ein strahlendes Gesicht mit einem vernarbten Granatenriss am Kinn raunte: „Du — der Kettrich is frei!“

      „Pscht! Mühlberger!“ Von der anderen Seite kam einer und hakte sich in seinen Arm. „Jetzt hab’ ich eine schöne Post für dich: Unserm Kettrich ist’s zu fad geworden! Er hat sich bei den Hanswurschten da oben gedrückt!“

      „I weiss doch schon!“ sagte Hans Mühlberger und lachte glückselig. Überall über den Platz hin summte der Name: Kettrich! . . . Kettrich . .!! Ein geheimnisvolles, vielsagendes Zunicken von einem Häuflein zum andern — unterdrückter Jubel auf jugendlichen Zügen — ein bisschen Schadenfreude über den Norden — bedenkliche Bureaukratengesichter . . . Das Wispern eines vergnügten, rosigen Münchener Kindls: „Da wer’n sich die Preissen gift’n!“

      „Die Preissen hab’n ihn ja selber befreit!“ belehrte die andere junge Münchnerin. „Es hat solchene Preissen und solchene!“

      „Wo sind’s denn hin mit ihm?“

      „Das werden’s gerad’ hier ausschellen lassen!“

      Hans Mühlberger stand mit den Seinen mitten auf dem Platz. Er hatte jetzt, wo er lachte und nach allen Seiten Hände schüttelte, etwas von einem grossen, guten Jungen an sich.

      „Wenn man bloss ’was Näheres erfahren tät, wie’s mit dem Kettrich seiner Flucht gewesen ist!“ sagte er aufgeregt.

      „Ihr Bub’n . . I bin ja rein närrisch vor Freud’! I möcht’ glei’ zu schuhplatteln anfangen — gerad’ vor die gichtbeinigen Exzellenzherren dahinten . . .“

      „Ja. Mehr vom Kettrich steht in der Zeitung net! . . . Bloss — ’n Steckbrief haben’s da im Norden schon erlassen — heisst’s — und a hohe Belohnung, wer ihn fängt — mehr als wie für a Schock Lustmörder beisammen!“

      „Pfui Teifi! Da möcht’ man ausspuck’n!“

      „Das weiss ich —“ sagte Hans Mühlberger. „Das weiss ich wie’s Evangelium: Sobald der Kettrich kann, da gibt er mir Nachricht hierher — gerad’ mir! . . . Ich bin sein Treuester von den Treuen! Wir haben’s gemacht wie die alten Deutschen: Wir haben uns in den Arm geschnitten und haben’s fei’ ins Glas tropfen lassen und in rotem Tiroler dann Blutbrüderschaft getrunken. Wann mir der Kettrich jetzt sagt: ‚Hans! Spring vom Rathausturm ’runter!’ — ich tu’s!“

      „Das weiss a jeder, dass du ihm blind ergeben bist!“

      „Und dös war die ganze Zeit mein Herzweh, dass wir das Befreiungswerk haben denen im Norden überlassen müssen, weil wir z’wenig Verbindungen haben . . . da oben . . . Na — Hauptsach’, dass er frei is! . . . Rulemann — was gibt’s?“

      Der vierschrötige westfälische Werkstudent zog den baumlangen, jungen Bajuvaren beiseite.

      „Siehst du den schnurrbärtigen, grossen Herrn, der da drüben bei dem Leichsenring und seinen Leuten s—teht?“

      „I kenn’ ihn net!“

      „Sehr vers—tändlich! Denn er s—tammt aus Norddeutschland. Es ist ein Major a. D. von Goddentow. Er ist vorhin mit dem zweiten Berliner Nachtschnellzug angekommen!“

      „. . . und weiss was vom Kettrich?“

      „Er hatte selber die Hand mit im S—piel! Komm schnell hin zu ihm!“

      Sie bummelten harmlos durch das Gewühl. Ringsum plauderte und scherzte es. Die Musik spielte den Fledermaus-Walzer. Die Herbstsonne schien hell. Der Himmel war blau. Rosige Mädchengesichter lachten. Die Hakenkreuze blinkten. Der Boden schien leise zu beben. Es zitterte etwas Unsichtbares in der Luft . . . . . .

      Jenseits der Stelle, wo beim Sturz der Räterepublik das Münchener Volk den bolschewistischen, riesigen Matrosenhäuptling und ein paar seiner Sowjetrussen als Rache für die Ermordung der Geiseln erschlagen hatte — da, wo es schon menschenleer war, stand der Kampfbund Leichsenring um den Gesinnungsgenossen aus Norddeutschland. Der Major von Goddentow berichtete, während die beiden herantraten, raunend und etwas sorgenvoll:

      „Tja — die Sache hat ja geklappt — aber eine Patentlösung wurde es nicht! Irgendwo da oben bei uns, in unseren Reihen, steckt Verrat! . . . Wir merken’s immer wieder und suchen und finden’s nicht . . .“

      „Dös is doch überall dieselbige Sauerei!“

      „Die Flucht Kettrichs wurde ganz offenbar verraten. Zum Glück im allerletzten Augenblick! Es handelte sich buchstäblich um Minuten! Als die Wächter in die Zelle stürzten, hatte der gute Kettrich eben abgebaut . . .“

      „Glück muss der Mensch haben!“

      „. . . Nu noch der höllische Dusel, dass sie vor unserem Automobil einen harmlosen Spiesser abklappten, der blind wie ein Karnickel darauf zulief. Ich hatte genau noch währenddessen Zeit, mich meinerseits zu salvieren und vom Chauffeursitz zu verschwinden! Einen Augenblick habe ich deutlich, auf der anderen Seite vom Platz, in der dunklen Gasse den Kettrich gesehen — in seinem langen, weissen Gefängniskittel!“

      „Gottlob! Dös gibt einem wieder an Schwung!“

      „. . . bis sie nun merkten, dass sie da einen unglücklichen Reiseonkel an Stelle vom Kettrich erwischt hatten — da hat der ja ’nen kleinen Vorsprung gewonnen! Aber trotzdem:


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