Drachentöter. Rudolf Stratz

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Drachentöter - Rudolf Stratz


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Sport keine Freud’! Er stand mit den anderen, jungen deutschen Athleten in schwarzen Schlüpfern und schwarzen Kniehosen um das hochragende Sprunggestell. Einer nach dem anderen bemühte sich, es dem Skandinavier nachzutun, der seinerseits dazwischen Angriffe auf den Weltrekord von 4¼ Meter unternahm. Umsonst. Immer wieder fiel die Latte herunter.

      „Hans! Jetzt schraubst di’ mal fei’ aufi!“

      Bisher war der Hans Mühlberger ziemlich achtlos noch in langen Hosen gesprungen. Nun streifte er diese unbekümmert ab und ebenso den Sweater — stand nur in dünnem Sporthemd und Kniehosen um den muskelstarken Jünglingskörper — bezeichnete sich mit dem Stab am Boden unter dem Gestell den Punkt zum Aufsetzen — ging zurück — kam angerannt — stemmte die Stange auf — schwang sich hoch — lag einen Augenblick vollkommen wagrecht oben in der Luft frei über der Latte — liess die fallende Stange los — flog drüben herunter — überkugelte sich auf der Erde — schaute, noch im Siken, in die Höhe . . . Dort lag die Latte unberührt . . . Stand auf. Klopfte sich den Staub ab. Händeklatschen und Beifallsrufe um ihn her. Über den ganzen Platz hin der prasselnde Zweitakt der Handflächen.

      „Darfst di schon sehn lassen, Hansei!“

      „Mühlberger: 3,80 Meter!“ schrien die Knabenstimmen.

      Die Freunde umdrängten ihn. Er sprach eifrig mit dem etwas Deutsch verstehenden Norweger, der, braungebrannt, lang, mager und hager wie ein Wüsten-Araber, nur aus trockenen Sehnenbündeln über einem Knochengerüst zu bestehen schien. Im Umkreis schauten die herangedrängten Zuschauer — fast alles sachverständige junge Männer aus dem Volk — bewundernd auf ihre Vorbilder. Almuth Römer stand neben einem sportbegeistert strahlenden Schuppomann in Zivil. Plötzlich fühlte sie von der anderen Seite her eine Wolke kräftigen Gebirgsknaster, so, als sei es Absicht, in ihr Gesicht wehen und wendete unwillkürlich den Kopf nach der Stummelpfeife. Die Pfeife qualmte unter dem blonden Schnürrbärtchen eines bleichen jungen Mannes in oberbayrischer Tracht. Almuth Römer erkannte den säbelbeinigen, dürftigen Gebirgler, den sie vormittags auf dem Odeonsplatz gesehen. Er nahm die Pfeife aus dem Mund, blinzelte sie vertraulich von der Seite mit zuges kniffenem rechten Auge an und bat leise — linkisch und listig zugleich:

      „Gengan’s, Fräulein! . . . Sö kennen doch an Herrn Mühlberger! Sö hamm doch alleweil noch mit ihm gered’t . . .“

      Sie nickte.

      „I hätt’ was Bressantes mit ihm z’schaffen! . . . Aber i gehör’ unter die einfachen Bauersleut’! I trau’ mich net unter die Herrischen da! San’s doch so gut und sagen’s ihm: Da wär’ i! Er weiss nachher scho’!“

      Das junge Mädchen überlegte. In den dunklen Augen leuchtete fanatische Freude, mitmachen zu dürfen im Münchener Labyrinth — heimlich helfen zu können — in unterirdischen Gängen . . .

      „Geben Sie mir Ihr Messer!“ raunte sie.

      „Mei’ Messer?“

      „Schnell doch!“ Sie stampfte eigensinnig mit dem Fuss:

      Der engbrüstige Oberbayer war verdutzt. Aber er fuhr in die Hintertasche seiner Gemsledernen, wo er nach Landesbrauch das griff-feste lange Hirschhornmesser stecken hatte, und schob es ihr verstohlen in die herabhängende Hohlhand. Sie schloss unauffällig die Finger um die Lederhülse, näherte sich dem Ring der Rekordbrecher und drängte sich bis vor Hans Mühlberger. Sie hielt ihm diensteifrig das Messer hin:

      „Herr Mühlberger — haben Sie nicht das Messer da verloren — vorhin, wie Sie sie noch mit langen Hosen sprangen? Ich hab’ es gerade da am Boden gefunden!“

      Unwillkürlich schauten die um sie nach der Stelle, auf die sie wies. Diesen Moment benutzte sie und flüsterte Hans Mühlberger zu:

      „Der krumme kleine Oberbayer da hinten will Sie dringend sprechen“

      Der blonde Recke begriff im Nu: „Was Sie für ein Talent zum Verschwörer haben, Fräulein Römer!“ sagte er leise und lachend, löste sich, das Messer dankend einsteckend, langsam aus der Gruppe der Athleten und schlenderte auf den Mann mit dem Adlerflaum und den nackten Knien zu. Tat, als erkenne er plötzlich irgendeinen ländlichen Freund aus dem Gebirge, und schüttelte ihm die Hand.

      „Jesses — der Sepp!“

      „Ja freili bin i’s! . . . Wie geht’s denn nachher ’m Göd?“

      „Gut geht’s dem Göd!“

      Und dann gedämpft:

      „Da — nehmen’s Ihr Messer! . . . Wer san’s? Was bringen’s?“

      „I soll Sie glei’ holen, Herr Mühlberger . . . Aber recht heimlich . . . hamm’s mir g’schafft! . . . Gottlob, dass i endlich z’weg kommen bin! I kenn mi net aus — hier — unter den Leut! . . . I bin vom Land . . . weisst: aus der Werdenfelser Gegend! I bin nur auf’n Sonntag in Minka. Sie hamm mich nur g’schickt, weil i a ganz a sicherer Mann bin!“

      „Wohin wollen’s mich führen?“

      „Zum Kettrich!“

      „Er ist in München?“

      „Scho’ seit heuť früh!“

      „Und net zu mir?“ schrie der Hans Mühlberger empört.

      „Pscht! . . Der Kefirich darf sich doch net am hellen Tag sehn lassen! Die Gericht’ — da wo er aussikimma is — die san doch hinter ihm drein! An Steckbrief hamm’s scho’ telegraphiert, dass ihn nur gleich a jeder kennt! Dieselbigen aus Norddeutschland, die ihn hergebracht hamm — die haben ihn glei’ gut versteckt! . . . Den findet keiner und wenn er auf zwei Schritt‘ an ihm vorbeiläuft!“

      „Sie wissen, wo er is?“

      „Wär net übel!“ Der Mann aus dem Volk lachte. „I bin doch der Bruder vom Kocherl in söllerem Haus!“ Er wies in die Ferne. „Sixt: Da glei’ hinter der Strassenecken — da hält an Automobüi! Mit dem san wir glei’ dort! . . . ’s is gar net weit!“

      „Gehen’s voraus“, sagte Hans Mühlberger hastig. „I zieh’ mich nur schnell an! I komm’ gleich nach!“

      Der Norweger tat eben wieder einen neuen Meistersprung. Alles schaute auf ihn und spendete Beifall. Hans Mühlberget liess unbeachtet Musik, Händeklatschen, Farbengewimmel hinter sich. Er stand draussen vor dem Sportplatz. Der Abend begann schon zu dämmern. Der Wind wehte kühl. Er eilte die bereits gepflasterte, noch häuserlose Strasse entlang. Hinter der ersten, einsam ragenden Mietskaserne harrte die Kraftdroschke. Der Oberbayer sass in grüngrauer, gestickter Pracht darin. Et setzte sich neben ihn. Die Räder surrten.

      „Wie geht’s unserem Kettrich?“

      „Ja mei’ — wissen’s: Er liegt halt im Bett!“

      „Is er krank?“

      „Krant just net! Aber sie san halt in am offnem Auto gefahren — pfei’gerad hierher . . . scho’ rechtschaffen heiser is er . . .“

      „Nach der Gefängnisluft — auf einmal ’raus und durch die Nacht — ja freili!“

      „. . . und in die Augen hat ihn die frische Luft g’bissen . . . Dö san g’schwollen — weil’s gar so schnell gefahren sind . . . Aber morgen — sagt der Kettrich — morgen derf kimma, was mag! Da is er wieder der alte — sagt er!“

      „Und nah’ von hier is er?“

      „Gerad’ da — in Schwabing!“

      Sie waren schon in Schwabing. Die nüchternen, geradlinigen Häuserviertel um die Hohenzollernstrasse herum wiesen im Abendgrauen in nichts auf die Geheimnisse von München hin, die in diesen Mietwohnungen, Fremdenpensionen und Dachateliers lockend wie ein minderwertiger Hörselberg spukten. Hans Mühlberger ballte leidenschaflich die Faust.

      „So nah’ is er einem — schon den ganzen Tag . . . und man weiss es net! . . . Turnt da heilsfroh wie an Aff’ — und unterdes is der Kettrich . . .“

      „Steigen’s


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