Drachentöter. Rudolf Stratz

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Drachentöter - Rudolf Stratz


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lesen. Die Türe war nur angelehnt — offenbar schon beim Vorfahren des Autos von innen geöffnet. Dämmerig der Gang. Der Oberbayer hängte sein Hütel neben einen phantastischen, riesengrossen Damenhut, dass dessen weisse Straussenfeder und sein weisser Adlerflaum sich berührten. Sein durchschwisster grüner Rucksack hing Da neben dem grellen, schwarz-gelb gefleckten Leopardenpelz eines Damenmantels. Auf dem Stuhl lag ein verstaubter, dunkelroter Fez, als wohnten hier Türken oder Levantiner. An einer Türe las Hans Mühlberger eine schief angenagelte Visitenkarte: „Blandine Feuerschütz — Schlaftänzerin’. Es kam ihm wunderlich vor.

      Eine schwammige, alte Dame in einem wenig sauberen Morgenrock, weissgepudert unter mausgrauem Haar, führte ihn und seinen Begleiter auf ihren Schlappschuhen in eine Art Antiquitätenkabinett. Die kostbaren alten Möbel aller Stilarten, die es füllten, waren, um Raum zu sparen, achtlos aneinander gerückt. In den Ecken lagen Stösse von gerollten Perserteppichen. Ölgemälde lehnten, zu zweit und dritt übereinander, mit der Leinwandrückseite nach aussen, an den Wänden. Ein Donauweibchen leuchtete von der Decke mit einer elektrischen Ampel über einen Waschkorb mit wappengeschmücktem, altem Silberzeug. Es war niemand, ausser einigem Mottengeflatter, in dem Gemach. Dessen Hinterwand nahm, frei in der Mitte stehend, ein unwahrscheinlicher Koloss von einem Eichenschrank in schwergeschnitztem Kirchenbarock ein. Es schien, dass drei Männer ihn keinen Zoll weit rücken konnten. Der Oberbayer kniete nieder und bastelte an einer Sprungfeder im Boden des Schranks. Nun zeigte sich, dass der mächtige Kasten auf versenkten Rädern lief. Er gehorchte einem kräftigen Handstoss und rollte geräuschlos zur Seite . . .

      Dahinter war eine ganz gewöhnliche, weisse Stubentüre. Die alte Dame legte den Finger an die schwärzlich behaarte Oberlippe. „Pst! Er schläft!“ Der Gebirgler drückte leise die Türe nach innen auf. Ein Lichtstrahl von dem Donauweibchen fiel auf die Schwelle eines dahinter unbestimmt dunkelnden schmalen, langen Hinterzimmers mit einem Gartenfenster.

      „Vorsicht, dass kein Licht hineinkommt!“ mahnte flüsternd die alte Dame. Und zu Hans Mühlberger weiter: „Sonst sieht man von draussen aus der Nachbarschaft in das Zimmer. Wir können es nicht verhängen und auch keinen Laden vormachen — damit er schlimmstenfalls mit einem Sprung draussen ist, wenn die Polizei doch ’mal plötzlich kommt! Er liegt auch mit den Kleidern im Bett!“

      Das war dort, in den dämmerigen, weissen Kissen, das wohlbekannte, harte Stahlheimgesicht des Freundes — bleich von der Haft — erschöpft von der Flucht — und dadurch ein paar fremde Linien um den bartlosen, festen Mund, in dessen straff herabgezogenen Winkeln immer die zähe Willenskraft Wacht hielt. Jetzt war dieser unerschütterliche Ausdruck etwas verwischt durch den Schlaf. Der Fliegerhauptmann Kettrich ruhte, schwer atmend. Er hatte die Augen geschlossen. Es war immerhin, von nebenan her, hell genug in dem Gemach, dass man Antlitz und Gestalt des Mannes im Bett deutlich erkennen konnte. Hans Mühlberger betrachtete ihn freudig bewegt, mit einem sonnigen Lächeln der Rührung. Er gab sich Mühe, seine blonde Baumlänge möglichst geräuschlos auf den Fussspitzen nach dem Bett hin zu bewegen. Aber der Flieger dort — auf Erden und in der Luft zu Hause — mit Wind und Wolkenflug vertraut — hatte — das wusste jener — die feinen Sinne eines Wilden. Er wachte auf. Er legte instinktiv die linke Hand über die schmerzenden Augen, um sie gegen die Lichtblendung des Donauweibchens von der Türe her, zu schützen. Aber er konnte durch die Finger durchblinzeln. Er erkannte Hans Mühlberger und streckte ihm die Rechte entgegen.

      Der drückte sie stumm und leidenschaftlich. Er wusste: Gefühlsausbrüche waren Walter Kettrichs Sache nicht. Durch solche Hanswurstereien verlor man seine Achtung. Bei Kettrich ging es um die Sache. Weiter nichts. Er setzte sich neben ihn auf das Bett. Er meldete Halblaut — damit man es nebenan nicht hörte, und dienstlich:

      „Major von Goddentow ist aus Berlin eingetroffen. Er sucht dich!“

      Der Kampfflieger vor ihm nahm die Hand von den Augen. Er hielt die Lider halbgeschlossen. Er zwinkerte nur mit ihnen, offenbar unter Schmerzen. Es schien, als müsse er sich erst aus dem Schlaf raffen. Er schwieg.

      „Der Goddentow erzählt, er konnt’ gerad’ noch vom Chauffeursitz ’runter und sich dünne machen, wie die Polizei ans Auto kam! Er und seine Leut’ waren in grösster Sorge um dich . . . Was aus dir nachher geworden is — ohne Zivil und ohne Geld . . .“

      Der im Bett antwortete nicht gleich. Er hatte immer noch Mühe, seine Gedanken zu sammeln. Er hustete. Endlich sagte er:

      „Da bin ich ja!“

      „Das is die Hauptsach’! Aber wie war denn das nur möglich? So red’ doch schon!“

      Der Mann im Bett hustete noch immer und presste die Hand an die Stirne.

      „Ich hatte zum Glück noch eine andere Verbindung, die die Gruppe Goddentow nicht kennt!“ sprach er mühsam zwischen den Hustenstössen. „Die haben mich hierher gebracht! Sonst wäre ich ja gleich zu dir!“

      „Ja freili!“

      „Aber mehr möchte ich darüber nicht sagen. Du weisst: Ich spreche mit jeder Gruppe nur von ihren Angelegenheiten! Ausserdem strengt mich das Reden sehr an . . .“

      „Man merkt’s: Deine Stimme ist ganz heiser! Ich täť sie nie wiedererkennen!“

      „Ich bin scheusslich erkältet . . . Ich hab’ Stiche auf der Brust . . . Tag und Nacht im offenen Auto . . . Egal! Hauptsache, dass man wieder auf dem Befehlsstand steht!“

      „G’lobt sei Gott!“

      „. . . und es war allerhöchste Zeit!“ Der Fliegerhauptmann Kettrich tastete mit der Hand nach einer Schale auf dem Nachttisch. Dort lagen Leinwandbäuschchen in einer Wasserlösung, der ein schwacher Kamillengeruch entströmte. Er deckte die feuchten Umschläge über die Augen. Sein Antlitz hatte die gewohnte, unbewegte Ruhe. Er sagte gedämpft, in einem immer gleichbleibenden, leidenschaftslosen Tonfall:

      „Hans — sind eure Gruppen hier bereit?“

      „Ganz und gar!“

      „. . . bereit, auf der Stelle anzutreten?“

      „Wir spannen nur auf den Befehl!“

      „. . . und führt ihn unweigerlich aus?“

      „Ich hab’ dir blinden Gehorsam auf Tod und Leben geschworen, und die andern auch!“

      Der Mann im Bett, mit zwei weissen Pflastern statt der Augen, lag eine Minute stumm. Durch drei Zimmer durch hörte man aus der Ferne ein schrilles hysterisches, weibliches Auflachen. Hans Mühlberger dachte sich: Das muss die Traumtänzerin sein! Er horchte dienstlich auf: Der neben ihm sagte kürz und fest:

      „. . . ich musste ’raus . . . um jeden Preis — um im letzten Augenblick das grösste Unheil zu verhüten! Es steht in den nächsten Tagen eine Riesenschweinerei bevor!“

      „Hier . . .?“

      „Nein. Drüben in der Rheinpfalz!“

      „Die Franzosen . . .“

      „Schlimmer als die Franzosen! . . . Das Gesindel, das sie sich den Rhein ’runter gemietet haben die Lumpenkerle, die sich Deutsche nennen! . . . Die Sonderbündler!“

      „Die Sauband’ . . . Gestern erst hat der Leichsenring an Brief von daheim gekriegt! Sein Vater, der Kommerzienrat, hat ihn in Mannheim durch einen sicher’n Mann auf d’ Post geben lassen! Er schreibt: Drüben in der Ryempfalz treiben’s die Separatist’n schon an vielen Orten gerad’, wie’s mögen! Da haben die schon die G’walt . . .“

      „Und das ist der Anfang! Die haben noch ganz andere Pläne!“

      „. . ‚Jeden Tag werden’s kecker’ . . . schreibt der alte Herr Leichsenring!“

      „Die Franzosen bereiten mit Hilfe von den Sonderbündlern einen Lebensgefährlichen Sauhieb gegen das Deutsche Reich vor!“ Der Hauptmann Kettrich hustete wieder heftig und griff sich mit der Hand an die schmerzenden Rippen.

      „Verschnauf’ ein bissel! Du bist ja schrecklich heiser!“

      „Es ist keine Zeit, zu pennen! Die Geschichte


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