Drachentöter. Rudolf Stratz

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Drachentöter - Rudolf Stratz


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losen Diamanten zur Kapitalflucht in die Schweiz. Sie glich, in ihrem mütterlichen Schalten, einer gewissenhaften Hausfrau, die ihr Leinen lüftet und ihr Eingemachtes prüft.

      Die eine Zimmertür nach dem Flur hinaus war offen. Drinnen stand die Mademoiselle aus der Welsch-Schweiz in fleckiger Küchenschürze als Publikum für die Schlaftänzerin. Das bleiche, wirrhaarige Geschöpf probte seine neueste Nummer: Sie sass, in einem durchsichtigen Geisterhemd, mit geschlossenen Augen auf einem Stuhl und lächelte schlummernd, sehnsüchtig, in schwermütigen Träumen. Aber dazwischen zuckte es schmerzlich um ihre halboffenen Lippen, und sie bewegte sich unruhig mit wechselndem Mienenspiel. Denn sie fing sich im Schlaf einen Floh. Der Mann mit der Reisetasche kümmerte sich nicht um sie. Er betrat das Treppenhaus, sicherte, das Haustor aufdrückend, vorsichtig mit hinausgestecktem Kopf rechts und links in die dunkle Nacht und ging dann durch die menschenleere Gasse in der Richtung nach der Ludwigstrasse.

      Dort hatte sich der Oberbayer schon eine Viertelstunde vorher auf den nächsten Strassenbahnwagen geschwungen und war in das Innere der Stadt gefahren. Auf dem Hauptpostamt gab er eine Depesche nach Mannheim auf. Der Beamte las: „Bestellte Ware eintrifft morgen früh. Sorgt für ordnungsmässigen Empfang!“ Er schaute auf. „Wird ’leicht net mehr rechtzeitig ankomme — dös Telegramm!“ sagte er. Der Gebirgler schob noch einen Stoss Banknoten hin. „Machen wir’s halt dringend!“ sprach er gleichmütig. Dem Mann am Schalter fiel das nicht weiter auf. „Die Rammel hab’n jetzt a Geld — die g’scheerten!“ meinte er zu seinem Sonntagnachmittag-Kollegen, während die Nagelschuhe die Treppe hinabscharrten. „Die verdienen vüll z’ vüll Geld — mit am Viehhandel ins b’setzte Gebiet!“

      Draussen schlenderte der bleiche junge Hochländer weiter. Vor ihm warf plötzlich der Münchener Vulkan ein Flämmchen auf. Ein kleiner Sturmzug quoll unversehens aus einem der finsteren Gassenschächte der Altstadt heraus. Ein rotes Schnupftuch mit aufgenähtem Sowjetstern an einer Holzlatte wehte ihm in der Dunkelheit voraus, wie eine letzte Luftspiegelung aus versunkener Räte- und Bolschewistenherrlichkeit.

      „Fangt’s scho’ wieder an!“ keifte vom Bürgersteig drüben eine resolute Münchnerin und stemmte die Arme entrüstet in die Seiten.

      „Hoch Moskau! . . .“ johlten die halbwüchsigen Burschen, die jungen Fabrikmädel, die dunklen Gruppen der Männer, von denen keiner die ferne gelobte Russenstadt je gesehen. „Hoch die Dritte Internationale!“

      „. . . dass i net lach’!“ Ein dicker Herr schwenkte erbost den Regenschirm. „International san auf der ganzen Welt bloss mir Deutschen — dass Gott erbarm’!“

      „Hut ab vor Moskau!“

      Der Sonntagshut wurde dem dicken Herrn vom Kopf geschlagen und rollte in den Staub.

      „Hoch unsere russischen Brüder!“ Er bekam einen Boxerschlag vor den Bauch. Die Familien auf der Strasse flüchteten.

      „Herr Wachtmeister! Herr Wachtmeister! Da schaugen’s den Sauhaufen an! Is söll jetzt noch erlaubt?“

      Die Polizei stürmte schon herbei. Sie hatte noch nach der anderen Seite hin zu tun. Um die Ecke kam es im Marschtritt. Kleine Buben mit wirbelnden Trommeln voraus. Geschlossene Reihen hinterher. Die Hakenkreuz-Fahne flatterte. Ein hagerer Herr mit grauem Schnurrbart, straff, militärisch, schwenkte sie fanatisch in wallenden Falten wie der Fahnenträger vor den frommen Landsknechten. Hakenkreuz und Sowjetstern prallten aneinander, Hakenkreuzler und Sowjetler sprangen sich blindlings, ohne eine Sekunde Überlegung, an die Gurgeln. Die Gasse dröhnte vom verworrenen Knirschen, Ringen und Keuchen der Kämpfenden. Verkrallte, einander bläuende, sich beissende und drosselnde Menschenknäuel ballten sich am Boden. Die Latte flog in Stücke — das rote Tuch in Fetzen — Moskau stob in wilder Flucht. Hurra! Hurra! „Hoch Deutschland!“ Der Fahnenträger lachte und wischte sich die blutige Nase. Die Buben trommelten aus Leibeskräften Viktoria. Die Polizei fischte sich, was sie kriegen konnte, aus dem Gewühl heraus. Autos mit tobenden, mühsam festgehaltenen Verhafteten sausten die dunkle Gasse hinunter zur weiten Strassenwölbung des Augustinerstocks.

      Dort, in einem Zimmer des Polizeipräsidiums, sass ein höherer Beamter am Tisch. Er hatte — auch jetzt im Dienst — das Menschliche des deutschen Südens — einen jener stillen, blondbärtigen Münchener Köpfe mit ruhigem, in sich gekehrtem Blick. Der junge Mann, der vor ihm stand, sagte schroff, die Hände in den Taschen, vor Ungeduld zitternd:

      „Heute früh wurde ich, ohne jeden Grund, auf einer Bank im Hofgarten verhaftet! Jetzt erst werde ich verhört!“

      „Es ist Sonntag. Nach dem Gesetz sind sogar vierundzwanzig Stunden . . .“

      „Und was unterdessen aus Deutschland wird — aus deutschen Männern — die sich hier in München in der tollsten Gefahr befinden — ohne es zu wissen . . .“

      „Welche Männer . . .?“

      „Egal! Darüber kann ich nicht reden! Es handelt sich hier darum, ob ich ein Teppichschieber bin!“

      „Es besteht der dringende Verdacht . . .“

      „Ich bin so wenig dieser verfluchte Baron Bartelmann wie Sie!“

      Der Regierungsrat warf einen Blick auf eine vor ihm liegende Photographie und dann wieder auf den Verhafteten und schüttelte den Kopf.

      „Die Ähnlichkeit ist so fabelhaft . . .“

      „Bitte: Sie haben doch da das Signalement des Kerls! Was hat er für Augen?“

      „Hellgraue!“

      „Und ich dunkelbraune! Na also . . .“

      „Allerdings . . .“

      „Damit ist der Fall doch erledigt! Nun bitte: Mir brennt der Boden unter den Füssen!“

      „Bleiben Sie gefälligst! . . . Es könnte möglicherweise schliesslich ein Schreibfehler sein!“

      „Was hat der Kunde sonst für besondere Merkmale?“

      „Keine!“

      „Aha! Nun werde ich Ihnen einmal etwas zeigen! . . . Passen Sie gefälligst auf!“ Der drüben hatte sich Rock und Weste aufgeknöpft. Jetzt riss er das Hemd vorn auseinander. Rechts auf der Brust glühte, strahlenförmig gezackt und eingesenkt, die Narbe eines Einschusses.

      „Die Kugel ging nämlich hinten wieder ’raus — schon 1914 — bei Ypern!“ sagte er. „Das rote Hufeisen da an der Schulter — ich weiss nicht, ob Sie gedient haben . . .“

      „Ich habe den Krieg als Hauptmann in der Front mitgemacht!“

      „Dann bitte gehorsamst, Herr Hauptmann: das ist schon ein neutraler amerikanischer Granatsplitter von 1915 — aus dem Osten. Mit der kleinen Erinnerung an Bagdad — hier am Handgelenk — möchte ich Sie nicht aufhalten! Aber hier . . . komisch . . . diese Kugel . . .“ Er streifte Hose und Unterzeug auf. „Am Bein lang . . . über’m Knöchel ’rein — unterhalb des Knies heraus . . .“

      „Also waren Sie Flieger! Anders können Sie den Schuss nicht gekriegt haben!“

      „Ach so . . . hm . . . Na ja . . . möglich! Kann alles sein! . . . Aber jedenfalls: Wenn dieser Baron Bartelmann geflogen wäre, statt dass er geschoben hat, dann wären doch seine Narben im Steckbrief erwähnt!“

      „Ich gebe es zu!“

      „Es ist sonst nicht üblich, mit seinen Narben zu renommieren! . . . Aber ich musst’ es in dem Fall! Herr Hauptmann: Ich muss jetzt weg!“

      „Wollen Sie mir vorher zu Protokoll geben, wer Sie in Wirklichkeit sind?“

      „Ich? Ach so . . . ja. Natürlich: Ich bin der Oberleutnant der Landwehr ausser Diensten Friedrich Wilhelm Schulze — bisher beim Grenzschutz in Schlesien — jetzt arbeitslos!“

      „Sie hatten bei Ihrer Verhaftung keinerlei Papiere bei sich, die diese Angaben bestätigen?“

      „Nee!“

      „Wie kam das?“

      „Wie


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