Drachentöter. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Drachentöter - Rudolf Stratz


Скачать книгу
. .da duselte ich leider in der Eisenbahn ein, und sie stahlen mir Geld, Uhr, Papiere — alles!“

      „So. . .?“

      „Ja. Ich kam in München an, setzte mich auf eine Bank und dachte: Was nun weiter? . . . Da wurde ich von hinten von Ihren Leuten abgezwickt . . . Herrgott: Ich muss jetzt fort . . .“

      „Können Sie sich zur Bestätigung Ihrer Angaben auf einige zuverlässige, hiesige Persönlichkeiten berufen?“

      „Tut mir leid . . . Herrgott: Draussen schlägt es schon acht Uhr . . .“

      „Sie haben doch hier jedenfalls Bekannte!“

      „Keine Seele!“

      „. . . und wollen doch in München Leute, die in Gefahr schweben sollen, retten? Möchten Sie mir diesen Widerspruch erklären?“

      „Kann ich nicht! Lassen Sie mich jetzt in Kuckucksnamen schon gehen!“

      „Ja aber . . . bitte: Erst müssen Sie . . .“

      „Dieser Widerspruch liegt in der Zeit! Die Zeit ist verdreht! Ich bin auch verdreht . . . Ich hab’ ’nen Kopfschuss . . . da rede ich dann ganz quatsches Zeug . . .“

      „Wollen Sie mir die Stelle am Kopf zeigen?“

      „Es ist nichts zu sehen! Es war eigentlich mehr ein Absturz! Seitdem leide ich zeitweilig an Gedächtnisschwäche.“

      „Es scheint . . .“

      „Es gibt Tage — da kann ich mich an nichts erinnern! So leider gerade heute . . .“

      „Hm . . .“

      Es war still. Die beiden Kriegsgefährten sahen sich in die Augen. Dann warf der Herr am Tisch einen Blick auf den neben ihm aufgeschichteten Einlauf von Amtsschreiben, Fahndungsblättern, Polizeidepeschen. Plötzlich wurde er heftig und schob den ganzen Stoss mit dem Ellbogen beiseite.

      „Jetzt ist Sonntagabend!“ versetzte er zornig. „Das wär’ ja ’ne Viecherei, sich jetzt noch hinsetzen und Akten fressen!“ Er schaute sich gereizt nach allen Seiten um, als verlangte das irgend jemand von ihm in dem leeren Zimmer. „Morgen ist auch noch ein Tag! Das hat bis Montag früh Zeit!“

      „Aber ich hab’ keine Zeit! Ich muss fort!“

      „Ja — da geh’n Sie halt schon!“

      „Na — Gott sei Dank . . .“

      „Und wenn Sie keinen Menschen hier kennen, dann schauen Sie, dass Ihre Freunde hier Sie nicht wieder ohne Ausweis auf den Bänken ’rumsitzen lassen!“

      Der Hauptmann Kettrich stand draussen, auf der Strasse, im Freien. Selber frei. Das Nachtdunkel blendete ihn wie andere das Licht. Er fühlte sich schwindlig vor Erschöpfung. Ihm gegenüber drehte sich langsam vor dem Sternenhimmel die mächtige Gebäudemasse der Augustinerkirche. Die gedämpften Lichtkreise der Laternen auf dem Bürgersteig schaukelten leise. Der Boden schwankte wie von einem Erdbeben. Die Ermattung . . . Er zwang sie nieder. Befahl seinem Willen. Herrgott — wo befand er sich doch eigentlich? Richtig — in München! Die Freunde in München! . . . Die Freunde in Gefahr . . .

      Jetzt war die Schwächeanwandlung überwunden. Er kannte sich in München aus. Er suchte rasch die Richtung: dort hinunter! Er eilte, zuweilen stolpernd, unsicher, wie ein Seefahrer, der eben Land betreten, nach der Nymphenburger Strasse.

      „Wo ist der Hans?“ Im schwach erleuchteten Treppenhaus stand er dem Papa Mühlberger gegenüber, der eben mit seinem Dackl auf dem abendlichen Weg mach dem Löwenbräu-Keller war. Der alte Herr stand eine Stufe über ihm. Er holte mit Münchener Ruhe die Pfeife unter dem weissen Schnurrbart heraus.

      „Der Hans? Ja mei’ . . . San’s leicht ein Freund von ihm?“

      „Ja . . . ja . . .“

      „Nachher kommen’s zu spät! Der Hans ist schon vor einer guten Weil’ auf den Bahnhof!“

      „Er will weg . . .?“

      „Pscht — ja! . . . Ich hab’ eben oben telephonieren müss’n! Ich soll ihn in sein’m Geschäft entschuldigen, er wär’ krank! Aber er macht a Reis’. . .“

      „Wohin?“

      „Er sagt: Nach Mannheim! Zu am Sportfest! Aber i glaub’, er geht weiter — ’nüber in die Pfalz! I gönn es ihm, dass er ’mal aussi kimmt! Wissen’s: Der Bub is gar so still und brav . . . Schneid hat er z’weni! . . . Dös muss er noch lernen!“

      „Fährt er allein?“

      „Ah na! . . . A halbes Dutzend Spezi san’s — wann net mehr . . . Sie . . . Wann’s a zu seinen Freunderln gehören, na springen’s! Am End’ erwischen’s den Zug noch!“

      Der Hauptmann Kettrich stürmte durch die Strassen. Er war atemlos. Aber jede Müdigkeit war jetzt geschwunden. Dazu war jetzt keine Zeit. Es war wie beim Angriff draussen im Feld. Die Spannung des Augenblicks trug einen. Die Nervenkraft flackerte wie Strohfeuer noch einmal auf.

      Er lief über den Platz vor dem Hauptbahnhof. Stand in der wimmelnden Vorhalle. Presste sich in die grosse Abfahrtshalle vor den Bahnsteigschranken. Eingekeilt im tausendköpfigen Menfchengewühl des Sonntagabends und des Oktoberfestes zugleich. Bunt aus der Menge leuchtend alle Volkstrachten Bayerns. Die grossen Hauben der Dachauerinnen — breite schwäbische Hüte —, goldgestickte flache Hüte mit langen, schwarzen Bändern aus dem Chiemgau, seltsame hohe Kegel aus weltfernen Tälern an der Salzburger Grenze, Adlerflaum und Gamsbart — Juhu — ein Gejodel — ein Gepfeife — ein Gejuchze — ein Gedränge um die Sperren. Fäuste unter die Nasen der atemlosen Beamten: „Sie! Mir woll’n a noch mit!“

      Da drüben stand noch der Zug nach Augsburg und weiter nach dem Westen — nach Mannheim . . . an den Rhein . . . endlos lang . . . die Lokomotive nicht mehr sichtbar aussen in der Nacht — da stand er — Bündel braungebrannter, lachender, bierseliger Köpfe aus allen Fenstern — die Gänge vollgepfropft mit Oktoberfestgästen, Menschen auf den Trittbrettern, Menschen in Massen vor den Wagen — schreiende, fuchtelnde, schiebende Knäuel von Menschen an den Nadelöhren der Durchlässe.

      Mit den Ellbogen in das Gewühl! Durch! Zur Sperre! Da fiel es dem Hauptmann Kettrich jählings ein: Ich hab’ ja keine Bahnsteigkarte! Sich rasch eine holen? Vielleicht war noch Zeit . . . Ein zweiter, erkältender Schrecken: Ich hab’ ja nicht den lumpigsten Geldschein bei mir . . .

      Unter dem roten Farbenfleck der Mütze draussen auf dem Bahnsteig trillerte es durchdringend. Ein Arm hob sich. „Abfahren!“ Ein Wutgeschrei der Nachzügler draussen. „Halt! . . . Halt!“

      „Ihr derft’s net ohne Karten eini!“

      „. . . bald’s doch abfahren! I muss mit!“

      Es tobte um die Holzwannen der Knipser. Draussen schrillte es aus der Nacht vor der Lokomotive zurück. „Abfahren!“ gellten die Rufe längs des Zuges. Die Wagentüren krachten. „Himmelherrgottsakra!“ brüllte ein Riesenkerl aus dem Gebirge und schwang sich mit einem Satz über die Brüstung. Es krabbelte und kletterte im Nu dutzendfach hinter ihm, neben ihm her und hob die kreischenden und strampelnden Frauenzimmer herüber. Det Hauptmann Kettrich machte es wie die anderen. Er stand schon innen auf dem Bahnsteig. Er kämpfte sich durch. Schaute der Reihe nach in die letzten Wagen. Vorwärts — nur vorwärts! Man kam kaum vorwärts. Die Mauern der Zurükbleibenden waren viele Mann tief. Die Wagen ruckten — bewegten sich — rollten. Juchhu! . . . Gejohle aus den Fenstern. Katzenmusik auf dem Bahnsteig. Der Zug glitt aus der Halle. Da vorn . . . da ganz in der Ferne . . . Walter Kettrich schrie auf: „Hans! . . . Hans!“ . . . Das war Hans Mühlbergers kühnes Gesicht mit dem blonden Schopf, das aus einem der ersten Wagen guckte — zurücklachte und nickte — nicht ihm, ihn konnte der Hans in dem kribbelnden Ameisenhaufen vor dem Zug nicht sehen — seine Stimme in dem Getöse unter der Glaswölbung nicht hören — nein: Es galt einem jungen Mädchen, das da, am äussersten Ende des Bahnsteigs stand und mit dem Taschentuch wehte.

      Umher schimpfte


Скачать книгу