Drachentöter. Rudolf Stratz

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Drachentöter - Rudolf Stratz


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Luft und dem Gezeter um ihn: Lange halte ich mich nicht mehr aufrecht . . . mit allem Willen nicht . . .

      Das junge Mädchen, das dem Hans Mühlberger nachgewinkt hatte, kam zurück. Sie bahnte sich mühsam einen Weg nach dem Ausgang. Ein vierzehnjähriger Münchener Bub ging neben ihr. Sie trug das Taschentuch noch in der Hand. Inniges Abschiedsglück — eine wilde, leidenschaftliche Begeisterung — leuchteten auf ihrem blassen, runden Kindergesicht nach. Ihre dunklen Augen schauten betroffen auf den totenbleichen, bartlosen Unbekannten, der achtlos die Bauern, die ihm im Weg standen, beiseite schob, vor sie trat, kaum, in der Erregung, den Hut lüftete, — heiser frug:

      „Wo fährt um Gottes willen der Mühlberger hin?“

      Almuth Römer zauderte mit der Antwort. Statt ihrer erwiderte der Peperl keck:

      „Mei’ Bruder? Dös werd’n wir Ihne gerad’ auf die Nas’ binden!“

      Der Fremde beugte sich nieder und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Das pausbäckige Gesicht des Kleinen wurde, bei den Geheimworten, tief achtungsvoll. Er nahm sein Hütel vom Haupt.

      „Nach Mannheim san’s, Herr!“ flüsterte er. „Alle z’samm . . . Aber da bleiben’s net . . . So viel weiss i scho’!“

      „Wer hat das angeordnet?“

      „Ja — mei’ Bruder — der Hans! Aber bei Leib net von sich aus. Den hat aner vom Sportplatz g’holt — so a Rechter mit G’nagelten und Lederbux — und nach einer guten Stund’ war der Hans wieder da und hat mich und noch a paar in der Stadt ’rumgeschickt — es möcht’ ganz heilig und gewiss a jeder zu dem Zug nach Mannheim am Bahnhof sein!“

      „Dadurch hab’ ich es erfahren!“ sagte Almuth Römer. „Ich war auf dem Sportplatz!“

      . . . Es wär’ ein Befehl vom Kettrich selber — hab’ i bestellen müsse!“ wisperte geheimnisvoll der Bub. „Und alle waren’s auch zur rechten Zeit da und sind abg’fahren . . .“

      „Nur Sie kamen leider eine Minute zu spät!“ sagte das junge Mädchen aufgeregt, in einer fanatischen Kameradschaft des Kettenbundes Kettrich, zu dem Fremden vor ihr. Im nächsten Moment wandelte sich die zarte, eigensinnige Sanftmut ihrer Züge in Besorgnis. Sie fasste schnell mit beiden flachen Händen unter seine Ellenbogen und hielt ihn aufrecht. „Was ist Ihnen denn?“ frug sie. „Sie schwanken ja . . .“

      Ein paar Bauern blieben stehen und schauten neugierig hin. Er biss die Zähne zusammen. Er stand wieder halbwegs fest auf den Beinen. Aber es war ein schwarzer Funkentanz vor seinen Augen. Ein dumpfes Meeresbrausen in den Ohren. Langsam — ganz langsam — schien es — senkte sich die Seitenwand der Halle mit ihren verstaubten Glasfenstern und verräucherten Backsteinflächen erdrückend auf ihn nieder . . . . . . . .

      „Hören Sie . . . rasch . . . ehe ich ohnmächtig werde . . .“ Er stiess es mühsam hervor. Sie legte den Arm um ihn, bereit, ihn zu stützen. Denn seine Knie knickten. Sie schaute ängstlich, mit weit aufgerissenen Augen, zu ihm empor. Von der anderen Seite hielt ihn der Peperl mit erschrocken aufgesperrtem Mund.

      „Der Hans Mühlberger . . . muss zurück . . .“ Er keuchte es ihr mit letzter Anstrengung ins Ohr. „. . . Alle . . . müssen zurück . . . Warnt sie . . . um Gottes willen . . .“

      „Wovor denn . . .?“

      „Ich . . . ich kann sie alle nicht mehr warnen! . . .“ Er taumelte. Warf beinahe den halbwüchsigen Bub zu Boden, der sich hilfreich gegen ihn stemmte. „. . . Ich bin selber alle . . . Ich falle gleich um . . .“

      „Wovor warnen? . . .“ Sie krallte entsetzt die schmalen Finger in die Falten seines Mantels. Sie fühlte die zunehmende Wucht seines erschlaffenden Körpers.

      „Söller hat a Massl z’viel derwischt!“ meinte sachkundig ein dicker Münchener im Vorbeitrollen zu seinen Freunden.

      „Wovor warnen? . . .“ Der Hauptmann Kettrich hörte die Mädchenstimme schon wie aus ferner, nebeliger Weite an seinem Ohr. Er stöhnte auf:

      „Der Hans . . . und alle von der Kette’ . . . fahren in den Tod! . . . Sie sind an die . . . Franzosen verraten . . .“

      „Sie — Fräulein . . . I glaub’, der spinnt!“ murrte der kleine Mühlberger. Sie legte ihm die Hand auf den Mund. Sie horchte mit verzerrtem Gesicht:

      „Die Franzosen . . . locken sie in eine Falle . . . drüben in der Rheinpfalz . . .“

      „Ja . . . aber der Hauptmann Kettrich hat doch selber . . .“ hauchte Almuth Römer.“

      „Das war nicht der Kettrich . . . Ich bin doch . . . der Kettrich . . . ich . . . ich hier . . . Das heute nachmittag war ein französischer Spion . . .“

      „Ach, du barmherziger Himmel . . .!“

      „Das war niederträchtiger Betrug . . .“

      „Reden Sie weiter . . . Halten Sie sich aufrecht . . . Sie müssen . . . Sie müssen . . .“

      „Es geht um das Leben . . . von dem Hans . . . und allen . . . Sie müssen gewarnt werden, ehe sie morgen früh die Rheinbrücke in Mannheim betreten . . . Um jeden Preis . . .“

      „. . . Nachtelegraphieren . . . und es am Zug ausrufen lassen . . .“

      „Die fahren ja unter falschem Namen!“ wisperte der praktische Peperl verstört. „I kenn’ den Hans! Der gibt fei’ kein Laut von sich, wenn’s am Zug lang nach am Mühlberger schreien! Der denkt höchstens, ’s kommt von der Firma . . . Und er soll wieder heim!“

      „Helfen Sie mir doch, Peperl!“ keuchte Almuth Römer. „Ich kann ihn nicht mehr halten . . .“

      In dem wachsgelben Gesicht vor ihr schlossen sich die Augen. Sie hörte noch ein letztes, verzweifeltes:

      „Holt den Zug ein . . . Holt den Hans ein, eh’ es zu spät ist!“

      „I hab’s Motorrad da . . . I bin doch darauf mit dem Hans hiecherg’fahren! . . . Mei Freund, der Xaverl, hält’s draussen!“ flüsterte der Pepi. „I setz’ mi auf! I fahr’ pfei’gerad hinterm Zug her nach Augschpurg!“

      Ein letztes, heftiges, anfeuerndes Nicken drüben. Almuth Römer liess den Ohnmächtigen auf eine leere Gepäckrolle sinken. Hilfreiche Hände griffen zu. Der Pepi riss das junge Mädchen beiseite.

      „Wann’s mir der Hans bloss glaubt —“ flüsterte er verzweifelt. „I bin doch bloss a Bub! . . . Mich lachen’s aus, wann i daher kimm’!“

      „Ich fahr’ mit!“

      „Dös täten’s, Fräulein?“

      „Mich kennt er! Mir vertraut er! . . . Ich lass’ ihn einfach nicht weiterfahren! . . . Ich lass’ ihn vom Stationsvorsteher in Schutzhaft nehmen! Ich . . . ich . . .“

      „Kimmen’s!“

      „Und der Herr da . . .?“

      „San Leut’ genug um ihn!“

      „Da ist auch schon ein Sanitäter!“

      „Kimmen’s! Kimmen’s!“

      Die beiden arbeiteten sich durch den Wellenschlag der Menschenbrandung — immer bedacht, einander in dem Geschubse und Geschiebe nicht zu verlieren. Almuth Römer fragte atemlos:

      „Können Sie denn die weite Strecke bis Augsburg fahren?“

      Der Bub lachte stolz und warf sich in die Brust.

      „I bin zünftig! Der Hans is doch Streckenfahrer und hat scho’ Preise gewonnen! Und i hab’ hinter ihm gehockt. I kenn’ den Weg wie mei’ Tasch’! Xaverl!“ Er pfiff vor dem Bahnhof durchdringend auf zwei Fingern. „Glei’ gehst bei! . . . So! . . . Vergelt’s Gott! . . . Schwingen’s Ihne aufi, Fräulein! Derfen halt schauen, wie’s mit die Röck’ zurechtkomme! Alsdann . . . firti’!“

      Der Motor knatterte. Der Auspuff knallte. Der Wind pfiff


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