Drachentöter. Rudolf Stratz

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Drachentöter - Rudolf Stratz


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der Bub.

      „Können wir ihn denn überhaupt noch kriegen?“

      „Dös Schnauferl schafft’s!“

      Weithin in feierlicher Öde, vom Mondschein überblaut, scheinbar endlos, lag das Dachauer Moos. Die Strasse stieg und sank. Häuserschatten und Baumkronen malten sich in stillen, silbern zitternden Wasserflächen: Fürstenfeldbruck. Steil im Bogen empor. „Dös is der Haspel — dös Luader!“ schimpfte im Sturmwind der Bub. „Jetzt geht’s fei abi auf Mering!“

      Sie kreuzten die Eisenbahn. Der Zug war schon vorbei. Chaussee und Bahnkörper liefen jetzt dicht nebeneinander wie zwei Lineale viele Kilometer weit auf Augsburg zu. Zur Linken gleissten wie ineinandergewundene Schlangen die verworrenen Rinnsale des Lech. Der Pepi wies, unter einem windverwehten Triumphgeschrei, mit dem Zeigefinger nach vorn. In der Ferne lockte auf dem Eisenbahndamm wie ein Irrwisch durch die Dunkelheit ein grünes Licht. Die Schlusslaterne. Der Zug. Der Zug . . . . . . . . . . . . .

      Die grüne Laterne stand scheinbar in der Nacht still. Schien langsam näher zu kommen, je mehr der Peperl seine Fahrt verstärkte. „I lass das Zeug’l laufen!“ keuchte er, sich umdrehend. „Wir rucken nach . . . Merken’s? . . . Wir rucken nach!“

      Nun glitt das grüne Auge schon ziemlich dicht vor ihnen dahin. Rote Funken aus den Lokomotivschloten vorn umstiebten es. Änderten ihren Flug. Wirbelten nach links. Massig hob sich dahinter vom Nachthimmel der Dom von Augsburg über dunkelnden Dächern.

      „Der Zug fährt um die Stadt ’rum! . . . Wir müssen da an der Seit’n lang!“ Der Pepi Mühlberger lenkte sein Radl in die Innenstadt, sauste durch die Gassen, mühte sich, im Vorbeifahren die Namen an den Strassenecken zu lesen: Am roten Tor. . . Esserwall . . . Stoppte plötzlich unschlüssig vor einer Kirche — rief einen Begegnenden an:

      „Sie . . . i bitt’ . . . wo san wir denn hier?“

      „Das isch St. Ullrich!“

      „Jesses! Wir woll’n auf den Bahnhof!“

      „Da hätten Sie nit über den Kikenmarkt fahren dürfen! Das isch ein grausiger Umweg! . . . Links halte! Links halte!“

      Der Pepi tat es. Geriet in breite, finstere Parkanlagen. Kein Mensch umher. Er schüttelte verstört den Kopf. Jagte weiter. Ein grosser Platz. Händewinken: „Dort . . . dort . . . Die Halderstrasse ’runter, Büble! . . .“ Der Bahnhof. Schweres, stossweises Maschinenkeuchen. Der Schnellzug glitt eben aus der Halle. Weiter nach Westen.

      Der Bub stand neben dem Rad und heulte geradeheraus. Die Tränen zogen Rinnen in die Staubschicht seiner Backen. Er bekam einen Rippenstoss. Sah Almuth Römers fanatisch entschlossenes, feines Gesicht.

      „Vorwärts, Peperl!“

      „Wohin?“

      „Weiter hinterher! Nach Ulm!“

      Der Motor knatterte atemlos durch die Nacht. Wald. Stille Dörfer. Ein Flug von Giebeln und Gassen: Zusmarshausen „Zwischen Burgau und Günzburg müssen wir den Zug abzwicken!“ schrie der Peperl. „Da san wir im Vorteil! Da macht er die grosse Reib’n nach Norden!“

      Auf hohem Hügel, mit mächtigem Schloss, stieg’ Günzburg aus dem Sternendämmern. Steil die Gasse hinab. Drüben rechts der Bahnhof. Nichts mehr vom Zug. Eisenbahn und Landstrasse durchschnitten jetzt nahe nebeneinander die breiten Donauwiesen. Aber nirgends mehr funkelte in der Ferne das grüne Irrlicht.

      Die Wellen der Donau glitzerten in Tausenden von silbernen Schuppen. Himmelhoch ragte das Ulmer Münster. Die beiden fuhren über die Brücke von Neu-Ulm nach Ulm. Die letzte Hoffnung: Der lange Aufenthalt des Zuges am Bahnhof dort . . . Nein: Der Bahnhof war schon wieder leer . . . Schon seit einer halben Stunde. Ein gutmütiges Kopfschütteln der Schwaben: „Das Zügle holt keiner mehr ein . . . Da ischt jede Mühe umsonst . . .“

      Der Bub stand hoffnungslos, wieder dem Weinen nahe. Er war erschöpft. Er war nun schon ein paar Stunden ohne. Aufenthalt gefahren. Er wusste nicht, was nun machen? Er schaute tränenschluckend, kindisch verzweifelt, fragend Almuth Römer an. Sie war halberstarrt vor Frost in ihren dünnen Kleidern. Sie zitterte von Kopf bis zu Fuss. Sie vermochte kaum zu sprechen, so hatte ihr der Sturm der Fahrt die Luft aus den Lungen gerissen. Sie sagte nur:

      „Weiter!“

      „Aber’s hilft doch nix mehr, Fräulein!“

      „Weiter nach Westen! Hinter ihm her! Vielleicht gibt’s doch noch ein Wunder!“

      „Aber i kann bald nimmer!“

      „Wir fahren, so lang es irgend geht!“

      „Das Radl fangt mir an, zu wackeln! I she’ nimmer recht!“

      Vorwärts!“

      „. . . Wann wir hinfallen . . .“

      „. . . dann liegen wir da!“

      „. . . und uns ’s Genick brech’n!“

      „. . . dann sind wir tot! Weiter! Weiter!“

      Steil zum Wilhelmsberg hinauf! Du, unter den Kehren an der Zitadelle, gab es schon den ersten Knax: Der erschöpfte Peperl schnitt die Kurve falsch. Glitt aus. „Ui — sakra!“ Er und das Fräulein lagen neben dem Rad am Boden. Sie war schon wieder auf den Beinen. Ihre Handflächen bluteten. Sie hatte sie sich im Sturz auf dem Schotter wund geschürft. Sie riss ihr Taschentuch in zwei Stücke und wickelte es sich flüchtig um die Hände. Der Peperl befühlte weinerlich sein geprelltes Knie.

      „Ift dem Rad etwas geschehen?“

      „Na — dös net!“

      „Weiter!“

      Im grellen Mondschein dehnte sich oben die gewaltige, unendliche Einsamkeit der Rauheni Alb. Kaum ein Baum, ein Strauch auf der kahlen Hochsteppe. Selten der Lichtpunkt eines Hauses, das Kläffen eines Hundes. Mondbeglänzt die weiten, mageren Weideflächen. Ein Gewimmel von grossen und kleinen Steinblöcken aus dem kargen Boden. Dämmernd dort das niedere Rund eines Schafpferchs. Der Wohnkarren des Schäfers daneben. Das Rad Flitzte dahin. Der Pepi sass ermüdet auf dem Lenksitz. Ein Krach. Ein Splittern. Diesmal überkugelten sie sich beide. Sassen halb betäubt am Boden. Vor ihnen im Strassengraben verbeult — verbogen — ausser Gefecht — die Maschine. Der Pepi war mit ihr am Kreuzweg — zum Glück langsam, die Richtung suchend — gegen den Wegweiser gerannt.

      „Aus is!“ sagte er. „Weiter geht’s nimmer!“

      Sie rafften sich auf. Sie standen stumm, zwei Menschenpünktlein auf der grenzenlosen, mondbeschienenen, einsamen Hochebene. Der Wind heulte wie ein Schlosshund, in langen stöhnenden Stössen, und erstarb in Wimmern. Er blies durch die flatternden Kleider bis auf die Knochen. Gleichgültig funkelten die Sterne an dem herbstfalten Nachthimmel. Der Mann im Mond segelte vor ihnen rasch dahin, als habe er seinerseits die Verfolgung des Zuges aufgenommen, der irgendwo da in der Ferne nach Westen rollte . . . immer weiter nach Westen . . .

      Der Bub bastelte hoffnungslos an dem Motorrad herum. Das junge Mädchen lehnte an dem Wegweiser — die Fäuste gebaüt — die weichen Lippen wild aufeinander gepresst — stürmisch atmend — den Blick starr am Boden. Sie überlegte.

      „Jetzt müssen wir eben zu Fuss weiter, Pepi!“ sagte sie fanatisch. „Bis zum nächsten Dorf!“

      „Und dann?“

      „Ich weiss nicht. Ich denke an nichts! Ich hol’ den Hans ein oder ich bleib’ tot!“

      Durch den Sturm brüllte irgendwo fern eine verirrte, weidende Kuh. Dann wurde es wieder still. Der Wegweiser warf seinen Mondschatten quer über die Strasse. Auf der leuchtete in der Nacht ein Lichterpaar auf. Das Kuhgebrüll klang stossweise schon viel näher. So rasch konnte kein Stück Vieh laufen. Die grellen weissen Augen wuchsen auf der Landstrasse zu blendenden Scheiben. Bläuliche Helle huschte mit ihnen und färbte den Boden rechts, und links weiss, als läge schon Schnee auf den Herbststoppeln.

      „Ein Automobüi!“ rief der Bub. Almuth Römer sprang jäh mitten


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