Drachentöter. Rudolf Stratz

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Drachentöter - Rudolf Stratz


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I — da möcht’ man doch alles kurz und klein schlagen . . . sapperdibix!“

      „I bewunder’ dei’ Ruh’!“ sagte der Papa. „Ich, wie i jung war, mei’ Lieber, war hitziger!“

      „Net amal die Fenster darfst einschmeissen, da wo die verfluchte Bagasch’ wohnt!“

      „Warst halt immer ein stiller Bub!“

      „Da haben’s gerufen: ‚Die beiden Franzosen — die tun ihre Pflicht!’ Sehr recht! Aber die Deutschen, die ihnen das zur Pflicht gemacht haben — denen möchť ich ihre Pflicht mit dem Ochsenfiesel auf den Buckel schreiben!“

      „Hansei — ka Schneid hast net!“ sagte der Alte. Er nahm die lange Bismarckpfeife in den Mund und zündete sie mit zitternder Hand wieder an. „An Ochsenfiesel — des is viel z’ wenig! . . . Die Engländer und die Franzosen, die haben ihren König geköpft. Das war ein schreckliches Verbrechen. Aber ein König ist auch ein Mensch. Es wächst ein anderer für ihn nach. Aber in Weimar haben’s die deutsche Ehre umgebracht — im Vertrag von Versailles — die Verbrecher und die Verbrecherinnen —“

      „. . . schon dass wir unsere Feldherren und Kriegshelden hätten ausliefern sollen!“ Der Sohn hob die geballten Fäuste. „Und das nennt sich Deutsche und erstickt net daran . . .“

      „. . . und die Ehre, Hansei — die wachst von selber net wieder nach! Nie und nimmer! Die muss sich a Volk wieder holen, und dös gibt an harten Gang.“ Der Vater Mühlberger stand auf. Er hatte heute ausser dem Elsernen Kreuz noch den bayrischen, den badischen und den württembergischen Militärverdienst-Orden und ein paar andere Kriegskreuze auf der Brust. „Wenn i no raufen könnt’ —“ brummte er. Und dann, ergeben: „Aber i bin halt alt!“

      „Horch . . .“

      „’s Telephon?“

      Nein. Es war blinder Lärm. Vater und Sohn schwiegen. Aus dem Nebenzimmer rief die helle Stimme der Cenz: „Mittag is! Kommt’s zum Essen!“

      Die Cenz, eine stämmige, schöne, achtzehnjährige Bavaria von der Theresienwiese, teilte die Suppe aus. Die Eltern löffelten behaglich. Der Hans Mühlberger ass nichts. Er horchte immer wieder, ob nicht nebenan der Apparat schrillte.

      „Cenz — wie weit stemmst du jetzt den Diskus?“

      „I sag’s net!“ Die Cenz tat geheimnisvoll. „Ihr werdet’s ja heut nachmittag schaug’n!“

      „Aber im Weitsprung hast dich um zehn Zentimeter verbessert! Dös is Tagesgespräch . . .“

      „Um beinah’ elf!“ berichtigte Fräulein Mühlberger. Sie räumte die Teller ab. Man ahnte die Spannkraft des Biceps unter ihren durchsichtigen Blusenärmeln.

      „Kommsť leicht heut’ gar net an die Reih’!“ sprach der Tertianer kauend, in Verachtung der Weiblichkeit. „Die Leuť draussen — die wollen euch Madel heuť gar net schaug’n — heuť, wo die nordischen Meister zu Besuch da sind. Dös gibt an Wettbewerb . . . Hansei: heut’ derfst zeig’n, was du kannst!“

      „Der Hansei wird schon Ehre einlegen gegen die Finnen und die Norweger!“ sagte die sportehrliche Cenz, ohne jede Empfindlichkeit und mit leuchtenden Augen. Der ältere Bruder wehrte finster ab.

      „I hab’ jetzt anderes im Kopf! . . . Vater: Warum ruft denn der von vorhin net wieder an?“

      „Wahrscheinlich, weil’s gefährlich is, für ihn! Er traut sich net noch einmal an den Apparat!“

      Hans Mühlberger stand brüsk vom Tisch auf und bezog wieder seine Wachtstellung am Telephon nebenan. Er lehnte da beharrlich, mit gekreuzten Armen. Nach einer halben Stunde steckte die Schwester fröhlich den blonden Münchener Kindl-Kopf in Hut und Schleier durch den Türspalt und zeigte lachend die weissen Zähne:

      „Hansei? Kommst jetzt mit?“

      „I hab’ kei’ Zeit!“

      „Ja aber — “

      „Schau, dass d’ weiterkommst!“

      Er hörte das Haustor unter der kräftigen Hand der Cenz dröhnen. Er harrte und harrte . . . wieder eine halbe Stunde . . . da endlich . . . Er fuhr auf . . . Es schrillte . . . Er riss den Hörer ans Ohr — beugte seine Körperlänge zu dem Apparat nieder. Sein Antlitz verfinsterte sich: Es waren nur die Freunde. Vom Sportplatz draussen. Sie mahnten: „Wo bleibst denn? Ohne dich sind wir g’schmiert! Dös weisst eh! Mach’ schnell!“

      „Ja — ja I komm’ schon!“ Er hängte ungeduldig ab. Er konnte sich nicht von dem Telephon losreissen. Er ging rasch und rastlos, mit feindseligen Blicken, vor dem stummen Kasten auf und nieder. Da lebte der wieder auf. Es klingelte. Das waren gewiss immer noch die Sportbrüder draussen, die ihn drängten! Herrgott— lasst’s mich in Ruh! . . . Zornig führte er die Muschel ans Ohr. Plötzlich wurde sein Gesicht starr und feierlich fast ein wenig bleich. Durch den Ferndraht raunte eine unbekannte Männerstimme mit oberbayerischem Anklang.

      „Wer is am Apparat? . . . Der junge Herr Mühlberger? . . . Der Herr Johann-Baptist Mühlberger? . . . Hören’s, Herr Mühlberger . . . Wie geht’s ’m Göd?“

      Er zuckte zusammen. Da waren wieder die drei geheimen Worte . . .

      „Gut geht’s ’m — dem Göd!“ sagte er ruhig in den Apparat. Eine kurze Pause. Dann wieder die ferne Stimme:

      „Am Telephon lässt sich das alles net so leicht ausdeutschen — gelt? Man weiss nie, wer zuhört! . . . Also bitt’ schön, Herr Mühlberger . . . seien’s so gut: auf dem Sportplatz draussen — da kommt unser Bote schon an Sie ’ran . . . da reden’s dann frei mit ihm . . . net wahr? Vergelt’s Gott viel tausendmal! . . . Alsdann . . . Pfü’et Gott, Herr Mühlberger!“

      „Grüss Gott!“ sagte Hans Mühlberger mechanisch. Dann kam Leben in ihn. Blinde, atemlose Hast. Den Hörer an den Haken! Hut und Mantel auf dem Vorplatz vom Riegel! Sein blau-weiss gestreiftes Sporttrikot hatte er zum Glück schon unter den Kleidern an. Im Sturmschritt nach der Flurtür.

      „Hansei! — Wohin?“

      „’naus, Vater! . . . Nix wie ’naus . . . auf den Sportplatz . . . I darf dir net mehr sag’n! I weiss ja selber noch nix . . . Wie? . . . I hab’ kei’ Zeit . . . Auf Wiederschauen auf d’ Nacht . . . Wann i bloss noch zurechtkomm’. . .“

      Frisches Herbstwehen über den weiten Flächen vor der Stadt. Warmes Sonnengold. Weiss segelnde Wolkenballen am blassblauen Himmel. Fern schon der schwarze Saum der Zaungäste. Buben auf Bäumen. Windverwehte Musik. Farbige Anschläge an der letzten Strassenecke, an der Bretterwand, am Eingang — mit schwarzem Teer und roter Tünche auf weisse Pappe in den Reichsfarben gepinselt. In grossen, schiefen Buchstaben: „Die nordischen Meister.“

      Innen, im Eirund der grünbewachsenen Arena, verkündeten gerade, als er eintrat, halbwüchsige Buben, die Klubfarben am Ärmel, durch grosse pappene Schalltrichter mit hellen Knabenstimmen aus dem Innenraum des Platzes nach den vier Windrichtungen: „Es wirft Jorois-Finnland!“

      Alle Augen waren auf den Nordländer gerichtet, der zum Sprung antrat. Hans Mühlberger, sonst hier der Held des Tages, konnte ein paar Minuten unbeobachtet, mit dem leichtausgreifenden, federnden, an freies Edelwild erinnernden Gang des grossen Sportmanns, aussen die Bahn umschreiten — an den Holzbänken des Ersten Platzes hin — an dem mit Papptafeln gezeichneten Raum für die Ehrengäste und die Presse. Über den zweiten Platz — durch das Gedränge des Stehplatzes drüben. Er dachte sich: Wenn auch alle auf den finnischen Meister schauen —der, der mich sucht, sieht mich schon. Lang genug bin ich dazu . . .

      Der Finnländer, ein kaum mittelgrosser, breitschulteriger, mit Muskelbündeln vollbepackter Athlet, lief, in andächtiger Stille ringsum, mit erhobenem Speer über die Mitte des Rasens heran. Grosse, schwarze, arabische Zahlen auf Papptäfelchen am Boden zeigten seitlings die Entfernungen — 30 — 40 — 50 Meter. Dann der derzeitige deutsche Rekord. Dahinter — nur ein paar Meter weiter — in unerreichbarer Ferne, dämmerte der Weltrekord . . .


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