Es wird einmal gewesen sein …. Heribert Riesenhuber

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Es wird einmal gewesen sein … - Heribert Riesenhuber


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Ansichtskarten und, umschwirrt von Schmetterlingen und Mücken, schrieb er Grüße an die Freunde. Als es dunkel wurde, saßen sie wieder am Schanktisch. Morgen sollte die Modemesse eröffnet werden und er lauschte den Geschichten von kühlen Frauen, die in dunklen Weihern und Tümpeln hockten, dort auf Männer warteten, um sie in ihr kaltes Reich zu locken.

      Die Nacht war stürmisch. Der Wind ließ die Fenster klirren und zerrte an dem Haus, als wolle er einen alten Baum entwurzeln.

      Auch am folgenden Tag sollte das Gebirge Guido di Monaco, wie er sich seit nunmehr dreizehn Jahren nannte, noch nicht freigeben. Heute weigerte sich sein Sportwagen anzuspringen. Guido fluchte. Und als das nichts half, machte er sich zu Fuß auf den Weg.

      Die Landschaft zeigte sich prachtvoll: die Wiesen lagen wie ausgespannte, hellgrüne Seide zwischen den Höhen. Als dünne, milchweiße Bänder schlängelten sich Bäche hindurch, glucksten in den Gumpen wie Glocken. Dort, wo der Berg abgerutscht war, traf Guido auf Männer, die die Straße frei räumten. Einer von ihnen war der Mechaniker im Dorf. Er kratzte sich das wie aus Stein gehauene Gesicht und versprach, später vorbeizukommen. Auf dem Weg zurück zur Hütte ruinierte sich Guido dann vollends die teuren Schuhe. Die Berge standen hoch aufgereckt vor ihm und in schattigen Mulden lagen schmutzige Eisfelder, die auch im Sommer nicht ganz abschmolzen: Cocktailsauce auf ein anthrazitgraues Abendkleid gekleckert. Zu dieser Stunde sollte in Mailand eröffnet werden.

      Was für eine Seltenheit, bewunderte am Abend der Mechaniker den Sportwagen. Guido lächelte über die Ahnungslosigkeit des Bergbewohners, der das neueste Sportcoupé mit einem Oldtimer verwechselte. Was dem Wagen fehlte, konnte der Mechaniker trotzdem rasch feststellen: Es war kein Benzin mehr im Tank. Morgen früh würde er zurück sein und welches bringen. Und so verbrachte Guido di Monaco einen weiteren Abend mit der Frau. Diesmal erzählte sie ihm eine Geschichte vom Riesen, der nachts mit Felsen um sich warf, solange, bis die Morgensonne ihn wieder zu Stein erstarren ließ.

      Trotz allem war der Modemacher zufrieden wie selten, als er spät nachts in einen traumlosen Schlaf fiel. Nur einmal kurz schreckte ihn ein Kreischen wie von reißendem Stoff auf. Doch der Morgen war hell und klar. Die Berge lagen vor ihm wie eine dralle Frau im Sommerkleid. Guido hatte ein Faible für dralle Frauen, weil er in seinem Beruf eher mit flachbrüstigen, mageren Models zu tun hatte. Auf den Wiesen stand geil emporgeschossen das Knabenkraut. Die Teufelskralle krümmte ihre Blüten wie blaue Kunstfaser und in den feuchten Lagen wiegte sich das Greisenhaar im Wind. Namen vieler anderer Blumen hatte Guido längst vergessen.

      Dann kam endlich der Mann mit dem Benzin und nach einem herzlichen Abschied, flitzte das Coupé fröhlich die Berge hinab. Im Spiegel sah der Modedesigner lange das Gebirgsmassiv abtauchen und in der Silhouette der Gipfel glaubte er fast, das Profil der alten Frau zu erkennen.

      Die gesuchte Passstraße konnte er auch heute nicht finden und so fuhr er schließlich in einem Tunnel unter den Bergen hindurch, bis dieser ihn in eine helle Landschaft ausspuckte. Das Handy blieb immer noch stumm und als di Monaco am Nachmittag Mailand erreichte, war da keine Spur von der Modemesse. Auch im Hotel gab es keine Reservierung für ihn. Bald musste er feststellen, dass seit seiner Abreise dreißig Jahre vergangen waren. Doch letztendlich war auch das nicht weiter schlimm. Denn in der Modebranche konnte man auch einen dreißig Jahre alten Stil getrost als den neuesten Schrei verkaufen und das Gerücht von ewiger Jugend war dabei durchaus verkaufsfördernd.

      Das Talent des Malers

      Der Maler Johann Baptist Zimmerli lebte in einer blassen, undeutlichen Landschaft, einer Landschaft, in der man auch bei schönem Wetter immer das Gefühl hat, ein feiner Nebel läge vor den Dingen. Schon als Kind, in einem kleinen Dorf unweit der österreichischen Grenze, war Johann durch seine außerordentliche Begabung zum Zeichnen aufgefallen – was seine Eltern mit Stolz und heimlicher Furcht erfüllte. Mit dem Bleistift war er bereits in jungen Jahren so geschickt, dass er Gegenstände jeglicher Art und sogar Fotos mit größter Präzision abzeichnen konnte. Da Johann Baptist bei seinem Eintritt in die Schule fehlerfrei schrieb, hielt ihn die Lehrerin für intelligent. Allerdings nur so lange, bis sie bemerkte, dass er zwar die Worte schreiben konnte, von ihrer Bedeutung aber keine Ahnung hatte. Buchstaben malte er wie kleine Bilder. Das Lesen lernte er leidlich und mit dem Rechnen hatte er bis ins Alter hinein große Schwierigkeiten.

      Als im Hause der Eltern eines Tages anstand, ein altes, hölzernes Buffet zu entfernen, dessen Oberfläche stumpf und unansehnlich geworden war, machte die Mutter eine seltsame Entdeckung: Auf der Wand, hinter dem Buffet, die – so sollte man jedenfalls annehmen – über Jahre hindurch von dem Möbel verdeckt gewesen war, befand sich eine exakte Zeichnung von eben diesem Buffet. Mit allen Einzelheiten, dem Porzellan und den Gläsern; ja, sogar ein Spinnennetz, das schon längst wieder verschwunden war, konnte man erkennen. Niemand gelang es, herauszufinden, wie es der schmächtige Johann, um dessen Werk es sich zweifellos handelte, geschafft hatte, das schwere Buffet von der Stelle zu rücken. Kurz darauf merkten die Eltern, dass sich Zeichnungen des Jungen hinter jedem Schrank in der Wohnung, hinter jedem Bild an der Wand, auch hinter den Betten befanden. Und sie wunderten sich.

      Zu seinem achten Geburtstag schenkte ein Onkel Johann Baptist die ersten Buntstifte und einen Kasten mit wasservermalbaren Farben. Mit einem Bild – so wünschte es die Mutter – sollte der Junge sich beim Onkel für das Geschenk bedanken. Also setzte sich der Onkel eines Vormittags in aller Bequemlichkeit auf die kleine Bank vor dem Hause in die Sonne und der Junge fing an zu malen. Er hielt sich gar nicht erst mit irgendwelchen Vorzeichnungen auf, sondern trug gleich mit sicherem, leichtem Strich die Farbe aufs Papier. Doch bereits nach wenigen Minuten, als das Gesicht des Onkels gerade in seinen charakteristischen Zügen hervorzutreten begann, wurde der Onkel von heftigen Kopfschmerzen heimgesucht, sodass die Sitzung abgebrochen wurde und das Bild, zum Bedauern Johanns, unvollendet blieb.

      Es dauerte nur ein paar Monate, bis der Junge sämtliche Gegenstände der ihm bekannten Welt und auch einige Tiere zu Papier gebracht hatte. Im ganzen Haus gab es kein Ding mehr, zu dem nicht auch die entsprechende Zeichnung existierte. Und manchmal machte Johann Baptist Zeichnungen von Zeichnungen.

      Schnell hatte sich das Talent des Jungen herumgesprochen und nicht selten kamen Fremde an die Tür, um für ein paar Groschen Blätter zu erwerben oder das Wunderkind beim Malen zu beobachten. Johann nahm es gelassen und beinahe teilnahmslos hin.

      Eines Tages, er war inzwischen dreizehn Jahre alt, machte Johann Baptist eine Entdeckung, die für ihn wie die Bestätigung einer lang gehegten Ahnung war. Aus Mangel an neuen Motiven hatte er damit begonnen, eine einzelne Tasse aus dem Küchenschrank wieder und immer wieder zu malen. Es war eine schlichte, schlanke Kaffeetasse aus weißem Porzellan, deren Rand etwas angeschlagen war und auf deren Grund ein brauner Kaffeerand sich nicht mehr entfernen ließ. Johann malte und zeichnete diese Tasse aus jeder nur denkbaren Perspektive. Er probierte den Lichteinfall von allen Seiten und zu jeder Stunde des Tages – so wie es einst der Maler Monet mit der Kathedrale von Rouen gemacht hatte. Nachdem er etwa fünfzig Zeichnungen fertiggestellt hatte, bemerkte Johann, dass sich etwas verändert hatte. Nach hundert Bildern konnte jeder sehen, dass die Tasse an Substanz verloren hatte. Es war, als ob der Maler mit seinem Blick dem Objekte etwas weggenommen hatte. Aber erst nachdem er sie rund fünfhundertfach gemalt hatte, war die Tasse verschwunden. Sie war gänzlich auf das Papier übergegangen. Johann Baptist Zimmerli war nicht erstaunt darüber. Seine Entdeckung behielt er für sich, denn es war nicht Zweck der Malerei, die Dinge verschwinden zu lassen. Trotzdem machte er, im Verborgenen, weitere Versuche mit dieser Technik. Schon bald brauchte er nicht mehr als hundert Zeichnungen von einem Gegenstand anzufertigen, um ihn derart mit den Augen abzunutzen, dass er verschwand. Manchmal ließ er Dinge verschwinden, die er nicht mochte, wie den grauen Hut, den die Mutter eine Zeit lang getragen hatte.

      Sobald die Dinge verschwunden waren, gewannen seine Bilder eine besondere Bedeutung, denn sie konservierten die Erinnerung. Und manchmal wurde Johann Baptist natürlich verdächtigt, etwas, das er gemalt hatte, verloren zu haben. Der Vater vermutete zum Beispiel, der Sohn habe die Teekanne, die er so oft gezeichnet hatte, fallen gelassen und aus Angst vor der Entdeckung die Scherben beseitigt.

      Als junger Mann wurde Johann Baptist Zimmerli ein beliebter


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