Es wird einmal gewesen sein …. Heribert Riesenhuber

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Es wird einmal gewesen sein … - Heribert Riesenhuber


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und lebendiger aussah als die Portraitierten, deren Gesichter nach der Sitzung immer etwas blass und matt wirkten, war man mit seiner Arbeit äußerst zufrieden. Junge, ihm vollkommen unbekannte Frauen suchten ihn in seinem Atelier in der Stadt auf, um ihm nackt Modell zu stehen. Auf diese Weise entstanden sinnliche Bilder, die so vollkommen waren, dass sie, trotz ihrer ans Obszöne grenzenden Inhalte, stets respektvoll bewundert wurden. Seltsam bewegten sie ihre Betrachter. Die Kunstkritik allerdings schenkte seinen Werken wenig Beachtung.

      Johann Baptist Zimmerli fuhr fort, Dinge so lange zu malen, bis sie verschwanden. Über drei Jahre hinweg beschäftigte er sich mit dem Matterhorn. Doch ein Gegenstand von solcher Größe und Komplexität nutzte sich durch Betrachtung nur sehr wenig ab. Sicher hatte sich der Berg in dieser Zeit verändert. Doch es war dem Maler lediglich gelungen, eine dünne äußere Schicht abzutragen, so wie den Staub von einer Vase.

      Es folgte eine Zeit, in der sich der Maler Zimmerli für den Frieden engagierte. Er nahm teil an Demonstrationen und machte Zeichnungen von militärischen Einrichtungen, von Panzern und Raketenstützpunkten. Diese Bilder, wie auch die späteren Serien »Zivilisationsmüll« und »Ten most wanted«, brachten ihm endlich auch die Anerkennung der Kunstszene. In seinem eigentlichen Sinne, so wie er es sich gewünscht hatte, waren sie aber keine Erfolge.

      Einmal machte er sogar den Versuch, seine Entdeckung über den Zusammenhang von Anblick und Stofflichkeit, über das Verschwinden der Dinge durch Betrachtung und Wiedergabe, an junge Maler weiterzugeben. Er hielt eine Vorlesung an der Akademie, aber die, die ihn hörten, hielten ihn für verrückt und man fing an, Witze über ihn zu machen.

      Schließlich zog sich Johann Baptist Zimmerli in dieses abgelegene Gebirgstal zurück, wo er – unbeachtet von der Welt – weitermalte. Sein letztes und möglicherweise auch sein bedeutendstes Werk ist ein lebensgroßes Selbstbildnis. Übrigens das einzige, das er je gemalt hat.

      Heinz

      »Ah, der Student.« Frau Zachels sah ein wenig aus, wie die strenge Erzherzogin in den alten Sissi-Filmen, und so, wie sie das »Ah, der Student« aussprach, machte es den Eindruck, dass sie nicht viel auf Studenten gebe. Sie hob die Augenbrauen und betrachtete den jungen Mann, der vor ihr stand, kritisch. Heinz fühlte sich nicht besonders wohl. Das Zimmer, das über einen Aushang in der Mensa angeboten wurde, lag viel zu weit von der Uni entfernt und die Vermieterin schien alles andere als freundlich. Während sie ihn in das Zimmer führte, das im oberen Stock des kleinen Hauses lag, erklärte sie ihm die »Hausordnung«. Schuhe waren im Eingangsbereich auszuziehen, Damenbesuch nach 21 Uhr war nicht erwünscht, die Bettwäsche wurde jeweils am Freitag gewechselt und der Mietvertrag, wenn er denn überhaupt zustande käme, wäre zunächst auf die Dauer eines Studiensemesters befristet.

      Mehr als ein halbes Jahr würde er es hier ohnehin nicht aushalten, dachte sich Heinz. Aber da das Zimmer möbliert und die Aussichten auf dem Wohnungsmarkt in der Stadt nicht günstig waren, schien es dann doch keine so schlechte Option zu sein. Seine anfängliche Befangenheit wich, als er mit Frau Zachels in ihrem Wohnzimmer Tee trank. Die Einrichtung erinnerte ihn an die seiner Großeltern, wobei das »Fremdenzimmer«, das er zu mieten gedachte, allerdings eine Ausnahme war und wohl eher mit alten Möbeln vom Sperrmüll ausgestattet war. Frau Zachels gab Heinz ein paar Informationen zur Nachbarschaft und Tipps, wo er seine Brötchen einzukaufen hatte. Ob er Sport betreibe, wollte sie noch wissen, und als er antwortete, »Bergsteigen«, war sie zufrieden. Berge gab es hier nicht und sie könne den Geruch verschwitzter Sportler in ihrem Hause nicht ertragen. Sein Studium, das in ein paar Wochen beginnen sollte, interessierte sie nicht besonders und nach einer halben Stunde unterzeichneten sie einen Mietvertrag, den Frau Zachels offensichtlich selbst verfasst und auf einer alten, mechanischen Schreibmaschine getippt hatte.

      Das Studium konnte beginnen. Heinz war entgegen seiner Erwartungen ganz zufrieden in der neuen Bleibe. Die morgendliche Fahrt mit der Regionalbahn machte ihm wenig aus. Im Gegenteil, dabei konnte er sich sammeln und ein bisschen lesen. Mit einer eleganten Ledertasche, die er sich für seine Studienunterlagen besorgt hatte, war er jeden Morgen unterwegs.

      Das Studentenleben gefiel ihm. Seminare wählte er danach aus, zu welcher Uhrzeit sie stattfanden. Lagen sie früh am Morgen, dann kamen sie für ihn nicht infrage, denn Heinz hatte keine Lust, zusammen mit den Pendlern in überfüllten Zügen zu sitzen.

      Zum ersten Mal im Leben war er sein eigener Herr. Er fühlte sich glücklich, denn er konnte tun und lassen, was er wollte. Und auch seine Vermieterin war nicht unzufrieden mit ihrem Untermieter, der sich ruhig und höflich verhielt. Wenn sie auf der Straße einer Nachbarin begegnete, unterließ sie es niemals, darauf hinzuweisen, dass sie an einen Studenten vermietet hatte, und schwärmte von den Vorzügen der höheren Bildung.

      Es dauerte nicht lang, bis Heinz andere Studenten kennenlernte, und er schloss oberflächliche Freundschaften mit ihnen. Manchmal trafen sie sich, um gemeinsam zu lernen und manchmal gingen sie zusammen ein Bier trinken. Natürlich waren auch einige Studentinnen darunter. Ab und zu ging er mit einer von ihnen aus. Da seine finanziellen Mittel begrenzt waren, suchte er sich einen Job in einer Bar, was ihm weitere Freundschaften aus der Studentenschaft eintrug. So verging das erste Studienjahr.

      Die Verlängerung des Mietvertrags mit Frau Zachels war reine Formsache und nur einmal gab es einen Vorfall. Heinz hatte eine Kommilitonin eingeladen, mit ihm gemeinsam auf seiner Bude zu lernen. Natürlich hatten sie auch ein bisschen »rumgemacht«, aber es war nichts Ernstes, wie seine Mutter gesagt hätte. Nur hatten sie dabei leider die Zeit vergessen und so hatte Steffi aus Saarbrücken den letzten Zug zurück in die Stadt verpasst. Früh am nächsten Morgen verließ sie lautlos das Haus, aber Frau Zachels wusste natürlich genau Bescheid über alles, was da geschehen war. Kurz gesagt, Heinz stand »so knapp« davor, rausgeschmissen zu werden. Deshalb war er die nächsten Wochen über sehr bemüht, Frau Zachels alles recht zu machen. Er bot ihr sogar an, im Garten zu helfen, was Frau Zachels lachend ablehnte. Später ergab sich aber doch eine Gelegenheit, ein Loch für einen neuen Stock mit Kletterrosen auszuheben.

      Die Semesterferien kamen und da Heinz noch eine Arbeit über das Motiv der Biene in der Frühmittelalterlichen Literatur zu schreiben hatte, blieb er in seinem Studentenzimmer und genoss die Ruhe in der Provinz. Manchmal ging er Wandern, bummelte durch die Fußgängerzone und setzte sich in eines der regelmäßigen Kurkonzerte.

      Bei einer dieser Gelegenheiten lernte er den Redakteur vom lokalen Tageblatt kennen, der ihm von einem akuten Personalengpass erzählte. Kurz: Heinz bekam Gelegenheit, sein Talent unter Beweis zu stellen. Er sollte die Aufführung einer örtlichen Theatergruppe besuchen und anschließend einen Bericht darüber verfassen. Das machte er nicht schlecht und ehe er sich versah, war er ein offizieller Mitarbeiter der lokalen Presse. Im Schreibwarenladen an der Uferpromenade kaufte er sich einen eleganten Kugelschreiber und ein praktisches Klemmbrett, auf dem er von nun an seine Notizen festhielt.

      War das ein Leben! Am Abend besuchte er Veranstaltungen, führte Interviews und ließ sich auf Vernissagen örtlicher Künstler blicken. Und am nächsten Morgen tippte er einen Bericht darüber in den Laptop. Den Rest des Tages nahm er sich frei, flanierte am Fluss entlang oder ließ sich in den Straßencafés die Sonne ins Gesicht scheinen.

      Als das nächste Studiensemester begann, wählte Heinz nur noch Vorlesungen und Seminare, die am frühen Nachmittag abgehalten wurden. Aber auch die besuchte er nur unregelmäßig. Statt eine akademische Karriere anzustreben, wollte Heinz nun Journalist werden. Und da er das ja eigentlich längst war, war er von der Notwendigkeit eines geregelten Studiums nicht mehr überzeugt. Frau Zachels war erfüllt von Stolz auf ihren Untermieter, der mit der Zeit zu einer geschätzten Persönlichkeit im Ort wurde. Manchmal lud sie ihn ein, ihr bei Kaffee und Kuchen Gesellschaft zu leisten. Sie war begierig danach, die neuesten Nachrichten von ihm zu erfahren und mit ihm über das örtliche Kulturleben zu diskutieren. Heinz erhielt sogar das Privileg, sich in seiner freien Zeit im Garten aufzuhalten. Und Heinz hatte viel freie Zeit. Er war zufrieden, wenn er, mit einem Glas Limonade in der Hand, auf der kleinen Gartenbank saß und den Blick über den blühenden Rhododendronbusch schweifen ließ. Er konnte sich kein besseres Leben vorstellen. »Was ist Glück?«, fragte er sich. »Ein Leben frei von inneren Unruhen und äußerer


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