Ulrike Woytich. Jakob Wassermann

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Ulrike Woytich - Jakob Wassermann


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in ferner Zukunft freilich erst, so um das Jahr neunzehnhundert herum. Und lachte wieder und schielte mich triumphierend von der Seite an.

      Mir schien das alles kindisch-greisenhaftes Geschwätz, und ich glaubte, er habe einfach seine sonstige schlaue Überlegung eingebüsst. Nach und nach aber begriff ich, dass er eine Absicht dabei verfolgte, und die war, mir zu verstehen zu geben, dass er mein geheimes Streben durchschaut hatte und dass es zwecklos sei, ihn etwa überlisten zu wollen oder zu neuen Unterhandlungen zu verführen. Er wollte sich den steten Zwang zur Wachsamkeit und die Belästigung ersparen und mich durch das Unerwartete seiner Taktik verblüffen. Er wollte mich loswerden, da er ja spürte, dass mich kein anderes Interesse an seine Person fesselte. So entschloss er sich, wie die Diplomaten, wenn sie immer noch genug Hintertüren wissen, zu dieser trügerischen Offenheit.

      Ich fragte mich nur: was soll ihm die Geige? Er legte keinen übermässigen Wert auf Geld und Lebensgenuss. Er war nicht geiziger und habsüchtiger als die meisten alten Männer. Er war nicht reich, vielleicht nicht einmal wohlhabend. Seine Bedürfnisse waren seit fünfzig Jahren die nämlichen, und dass er sie bis an sein seliges Ende würde befriedigen können, war ziemlich sicher. Warum also die Gier und Ungeduld zuerst, sich in den Besitz der kostbaren Geige zu setzen, und dann, als er sie hatte, das Sichgenügenlassen am blossen Haben? Er hatte sich daraufgestürzt wie eine Elster auf ein funkelndes Stück Metall und sie irgendwo in seinem Nest versteckt; denn dass sie sich wirklich im Haus und unter seinen Augen befand, bezweifelte ich keinen Moment. Weshalb zog er nicht greifbaren Nutzen daraus, wenn er schon den rechtmässigen Eigentümern verwehrte, ihre bedrängte Lage durch sie zu verbessern? Ich fand auf diese Fragen keine Antwort; es war ein Geisteszustand, den ich nicht enträtseln konnte, und ich sinne noch heute vergeblich dran herum. Aber einmal werd ichs schon erfahren.

      Nun begann also ein neuer Kampf, sozusagen mit aufgedeckten Karten. Als er einsah, dass er seinen Zweck, mich zu entmutigen, nicht erreichte, wurde er wütend. Er verbot mir den Platz an seinem Tisch. Nichts konnte mir gleichgültiger sein. Ich verzehrte mein Wurstbrot in der Mansarde. Er schickte mir geharnischte Episteln herauf, alle wie mit Mönchsschrift gemalt; ich beantwortete sie nicht und liess die Smirczinska nicht mehr zur Türe herein. Dafür spionierte die hinter mir her, verbündete sich mit dem Hausmeister und hinterbrachte ihrem Herrn Botschaft von jedem meiner Schritte und jedem Gespräch, das ich mit Menschen führte. Da bekam der Alte Angst, dass ich etwas wider ihn anzettelte, und er befahl mich zu sich. Er verfluchte mein Leben und benahm sich wie ein leibhaftiger Teufel; fletschte die Zähne und schrie, dass die Leute auf der Gasse zusammenliefen. Meine Beherrschung und mein spöttisches Gesicht stachelten ihn noch mehr auf; er wollte mich nicht aus dem Zimmer lassen, versperrte die Tür und steckte den Schlüssel in die Tasche. Als er mich aber anpackte, da hatte ers zu bedauern und versuchte es nicht zum zweitenmal. Auch den Schlüssel musste er ausliefern. Am anderen Tag war er nicht wiederzuerkennen, so freundlich, dass mir bange wurde, und er sagte, dass er sich entschlossen habe, mir die Geige testamentarisch zu vermachen, bis jetzt habe er sie dem kaiserlichen Privatschatz zugedacht, doch knüpfe sich daran die Bedingung, dass die Smirczinska ein Legat von zehntausend Gulden erhalte; wenn ich mich dazu verstehen wolle, könne das Testament gleich aufgesetzt werden. Ich erwiderte, keinen roten Heller bekäme das Frauenzimmer von mir, und er meinte hämisch, das habe er ohnehin vermutet, und so müsse alles beim alten bleiben.

      Es war, als ob man mit einem Werwolf rang, aber ich lernte menschliche Natur dabei kennen, das darf ich wohl behaupten, denn der eine Mann war ein Zusammengebrautes von vielen und ein Sinnbild für vieles. Eigentlich machte mir da eine ganze Zeit zu schaffen, eine Welt, die in Zersetzung war, etwas Finsteres, Tückisches und Gewalttätiges, dessen Griff ich bis ins Herz spürte. Ich sagte ihm einmal in aller Ruhe, seit ich mit ihm zu tun hätte, wüsste ich, was Österreich sei, seitdem verstünde ich erst unsere Geschichte und unser armes Volk. Den Blick, mit dem er mich danach anschaute, werd ich nicht vergessen; fast bereute ich das Wort. Es war das erstemal, wo ich die Empfindung hatte: du hast ihn getroffen.

      Wie’s in der Bibel heisst: ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, so sprach ich zu ihm: erst gib mir mein Recht, dann wird dir deine Ruhe. Ich brach zu jeder Zeit des Tages und der Nacht bei ihm ein. Ich drohte ihm mit den Gerichten. Ich schickte ihm kleine Briefchen, die ihn in Schrecken versetzten. Ich beredete Leute, die zu ihm kamen und ihn fragten, ob er keine alten Geigen zu verkaufen habe. Ich legte Zeitungsausschnitte auf seinen Tisch, in denen von Mordanfällen auf hartherzige Greise berichtet wurde. Ich liess ihm sagen, dass ich um eine Audienz beim Kaiser angesucht hätte. Dieses letzte wirkte wie ein Zauber. Er kam und bat um Frieden. Wir schlossen endlich einen Pakt. Er sah, dass es kein anderes Mittel gab, sich von mir zu befreien, und ich wollte ja mein Leben nicht von ihm in Fetzen reissen lassen. Seine Forderung war, dass ich mir eine Stellung in der Welt machen solle; entweder durch Heirat oder sonstwie, die Art sei ihm gleichgültig, meinte er; aber Karriere sollte ich machen, ich hätte das Zeug dazu. Wenn mir dies klärlich und einwandfrei gelungen sei, wolle er mir nach zehn Jahren, nicht früher, nicht später, die Geige als unveräusserliches Eigentum überlassen, vorausgesetzt, dass ich dann auch die Sorge für seine Person und seinen Unterhalt auf mich nähme. Ausserdem erklärte er sich bereit, mir zum ersten Fortkommen dreihundert Gulden zu geben. Nun, ich hatte Zutrauen zu meinem Glück; dreihundert Gulden waren ein Vermögen für mich; ich willigte ein, die Bedingungen wurden schriftlich stipuliert, auch die, dass ich die Geige erben würde, falls ihn vor Ablauf der zehn Jahre der Tod ereilen sollte, und ich zog von dannen. So froh hatt ich ihn noch nie gesehen wie in der Stunde, wo ich ihm adieu sagte.

      Es sind nun sechs Jahre von den zehn vergangen, aber meine Umstände haben sich bis heute nicht so geändert, dass der Vertrag zur Erfüllung reif wäre, und ich kann mir auch nicht denken, wie sie es je werden sollten. Hab ich auch nicht alle Hoffnung aufgegeben, von Karrieremachen ist weit und breit nichts zu sehen. Onkel Klemens aber lebt, bei trefflicher Gesundheit sogar, und ich meine, er wird recht behalten und ins neue Jahrhundert treten, von dem uns beinahe noch zwei Dezennien scheiden. Ich war drei Jahre in der Familie eines Grafen Lippa in Böhmen; schwere Jahre; dann ging ich in den Westen hinüber, bekam mit allerlei Sorten von Menschen zu tun, allerlei Narren, allerlei Bösewichtern, allerlei Dummköpfen, und wenn ich die Wahl habe, sind mir die Narren und die Bösewichter unbesehen lieber als die Dummköpfe. An denen geht die Menschheit nur nicht so geschwind zugrunde und ausserdem langweilen sie einen schon vorher zu Tod. Aber was ich in all den Jahren erlebte, das kann ich heut nicht mehr erzählen. Wie heisst es in ‚Tausend und eine Nacht‘? Schahrasad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Es graut nicht der Tag, sondern es wird Nacht, und das zwingt nicht weniger, Schluss zu machen.“

      Ulrike erhob sich lächelnd und mit gravitätischer Verbeugung. Keiner ihrer Zuhörer stellte eine Frage oder sagte ein Wort, aber an den Augen, die erregt und verwundert auf sie gerichtet waren, erkannte sie, dass sie sie völlig gewonnen hatte, jeden in seiner Weise, auch Helmut Otto Mylius, der noch ganz wie zu Beginn am Türpfosten lehnte.

      Ulrike handelt furchtlos, wo alle zittern

      Esther gestand der Mutter den Plan mit dem Akademieball. Die ersten Vorbereitungen waren getroffen; man bedurfte nur der Zustimmung und Hilfe Christines.

      Diese erschrak. Da war, was sie stets zu verhüten bestrebt gewesen, der Abweg, die Heimlichkeit. Aber ihr Einspruch war matt, weil sie sich bewusst war, mit Josephe ein schlechtes Beispiel gegeben zu haben; ausserdem hatten sich beide Mädchen in das freudige Vorhaben bereits so eingelebt, dass sie keiner Ermahnung mehr zugänglich waren. Die Erlaubnis des Vaters zu erwirken war ein aussichtsloses Beginnen, das musste auch Christine einräumen, also waren sie entschlossen, das Verbotene hinter seinem Rücken zu tun, und forderten von der Mutter stürmisch, dass sie es decke.

      „Es läuft meiner Natur zuwider,“ sagte Christine in ihrer schüchternen Art zu Ulrike; „es ist der erste Keim zum Unfrieden und zur Lüge. Man kann freilich einwenden, dass den Mädchen das harmlose Vergnügen zu gönnen ist, ja, dass es ihnen gebührt. Sie sind nicht mehr in dem Alter, wo sie wie Gefangene leben können, das weiss ich. Aber bisher ist es mir gelungen, sie in Gehorsam und Ehrfurcht gegen ihren Vater zu halten; darin hab ich meine Pflicht gesehen. Es hat viel gekostet, allerdings; oft bin ich mir wie eine Zielscheibe vorgekommen, die von zwei Seiten beschossen wird. Dafür ist aber mein Gewissen rein.“

      Ulrike


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