Ulrike Woytich. Jakob Wassermann

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Ulrike Woytich - Jakob Wassermann


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dieselben, und es gab fast keinen Gedanken mehr, der sich nicht quälend und beunruhigt an Ulrike kettete.

      Doch niemand in Josephes Umgebung erriet etwas von dieser Verwirrung ihres Gemütes, auch Christine nicht.

      Am dritten Tag waren die seidenen Dominos für Esther und Aimée fertig; der eine war weinrot, der andere teerosengelb. Für beide waren Gewänder Christines zerschnitten worden, die seit Jahren im Schrank hingen und die sie nicht mehr trug. Das Zubehör war unter alten Resten herausgesucht und mit Geschicklichkeit und Geschmack verwendet worden. Ulrike hatte ihrerseits auch ein altes Samtkleid in ihren geringen Beständen entdeckt und so gut es gehen wollte zurechtgeschneidert.

      Sie war damit schon am Montag vormittag zustande gekommen und nahm es gleich mit nach Hause. Dann half sie den Schwestern bei der Arbeit, und am Dienstag, gegen Mittag, war der letzte Nadelstich getan. Die Verabredung war so: beim Mittagessen hatten Esther und Aimée dem Vater mitzuteilen, dass sie für den Abend zu Ulrike geladen seien; mochte er sich darunter vorstellen, was ihm beliebte, bei der Harmlosigkeit der Sache würde er sich schnell beruhigen. Am Nachmittag sollten sie ihre Besorgungen machen; sie mussten noch passende Strümpfe und ein paar Kleinigkeiten kaufen; Geld hatte ihnen Ulrike bereits gegeben. Nach dem Abendessen sollten sie sich in ihrem Zimmer umziehen, selbstverständlich unter Anwendung aller Vorsicht; vielleicht dass Josephe Wache hielt; dann hatten sie sich in einen Einspänner zu setzen und zum Hause Dorotheergasse Nummer zehn zu fahren, wo Ulrike sie Punkt neun Uhr erwarten würde.

      Alles lief wider Vermuten gut ab, und trotz des Lampenfiebers der Mädchen: die Erlaubnis zu dem abendlichen Besuch ward erteilt, wennschon unter Brummen und Nörgeln. Mylius zog sich zur Siesta zurück, Esther und Aimée gingen fort, Josephe begleitete eine halbe Stunde nachher die Mutter zum Zahnarzt.

      Unbedachterweise, im Glauben auch, die Mutter bleibe als Aufpasserin in der Wohnung, hatten die Schwestern ihre Dominos in der gemeinsamen Schlafstube über eines der Betten gebreitet, und als Mylius sich von der Mittagsrast erhob und wahrnahm, dass niemand zu Hause war, geriet er in schlechte Laune, denn er hatte es nicht gern, wenn alle ausser dem Haus waren. Sei es, um zu spionieren, sei es nur, um sich Bewegung zu machen, er trat einen Gang durch sämtliche Räume an, und als er in das Zimmer von Esther und Aimée kam, sah er sogleich die beiden Kostüme. Sah, dass sie neu waren, sah, dass sie zu einem verdächtigen Zweck bereit lagen. Eine Weile verharrte er und dachte nach; plötzlich hatte er die Erleuchtung: der angebliche Besuch bei der Woytich am Abend war ihm ohnehin nicht ganz geheuer vorgekommen. Also war etwas im Werk; also geschah Verwerfliches und ohne sein Wissen; das roch von weitem nach Lustbarkeit, nach Vergnügungstaumel, nach Geldverschleuderung. Er stiess einen leisen Pfiff aus, ergriff die beiden Gewänder, legte sie geschickt zusammen, holte einen grossen Bogen braunes Papier aus dem Flur, machte ein kunstgerechtes Paket und nahm dieses unter den Arm, um es in seinen Laden zu schaffen und zu verschliessen. Während er die Stiege hinunterging, schmunzelte er grimmig.

      Als Esther und Aimée gegen fünf Uhr heimkamen und die Dominos nicht vorfanden, hatten sie noch kein Arg; sie dachten, die Mutter habe sie vorsichtshalber verwahrt. Ziemlich missmutig harrten sie auf deren Rückkehr, und es wurde halb sieben, bis Christine und Josephe endlich kamen. Zum Schrecken der beiden erklärte Christine, dass sie die Kostüme nicht weggeräumt, nicht einmal angerührt habe. Therese wurde gerufen und verhört. Sie wusste nichts. Aimée schrie: „Der Vater! nur er kann es gewesen sein.“ Die ganze Wohnung wurde durchsucht, Schubladen aufgerissen, Schränke entleert, unter den Betten Nachschau gehalten, in Küche, Flur, Vorratsraum, Magdkammer alles um- und umgewühlt: vergeblich. Esther irrte bleich von Stube zu Stube; Aimée warf sich aufs Sofa und brach in unstillbares Weinen aus; um diese war Josephe mitleidig bemüht, jene zu beschwichtigen, war Christines Bestreben. Als Lothar nach Hause kam und Zeuge des Jammers wurde, schlug er vor, Josephe solle in Vaters Laden und ihn geradezu fragen; was Schlimmeres, als dass er sie wieder gehen heisse, könne ihr nicht passieren. Er selbst, in einer Beklommenheit und Hast, die noch auf anderes deutete als brüderliche Teilnahme, erbot sich, in die Dorotheergasse zu laufen und Ulrike zu holen. Josephe war bereit, obgleich ihr bei dem Auftrag nicht wohl war; ihr Verhältnis zum Vater war das einer gespannten Scheu; er war ihr ein wenig fremd, aber sie begegnete ihm mit der zartesten Rücksicht und Achtung; indem sie alles vermied, was sein Missfallen erregen konnte, kostete sie auch jede Annäherung einen Entschluss.

      Als sie in die Himmelpfortgasse kam, war es sieben Uhr vorüber und das Gewölbe schon gesperrt. Man wusste, dass Mylius in der Zeit zwischen sieben und acht Uhr in einem kleinen Kaffeehaus an der Bäckerstrasse zu sitzen pflegte; er trank dort, stets einsam, eine Schale schwarzen Kaffee und las die deutschen Zeitungen. Josephe mochte nicht unverrichteter Dinge zurückkehren; sie ging zur Bäckerstrasse, stand alsbald vor der Eingangstür des Kaffeehauses, wollte warten, schritt auf und ab. Doch wurde ihr unbehaglich, als vorübergehende Männer sich umdrehten und sie anstarrten; sie trat an eines der Fenster, wo der Vorhang nicht bis an den Rahmen zugezogen war, und lugte hinein. Wie sehr erstaunte sie, als sie an einem der kleinen Tischchen den Vater in Gesellschaft Ulrikes erblickte. Sie sassen einander gegenüber, und Ulrike redete mit der Fülligkeit ihrer Gebärden, der Unbekümmertheit ihrer Haltung, den blitzenden Augen, dem heitern, immer ein wenig mokanten Lächeln auf ihn ein. Der Vater hörte zu, im Sessel zurückgelehnt, mit einer gewissen Höflichkeit, ja Verbindlichkeit, die Josephe an ihm nicht kannte und die seinem Gesicht einen für sie neuen Ausdruck verlieh.

      Sie machte sich wieder auf den Heimweg und begriff ihre Bestürzung nicht recht. Sie begriff nicht, was ihr an dem Anblick so ungewöhnlich und beängstigend gewesen war. Und sie begriff endlich nicht, weshalb sie nicht einfach hineingegangen war, um ihre Bestellung auszurichten. Zu ihrer Rechtfertigung sagte sie sich, es sei ja nun alles in bester Ordnung; da der Vater und Ulrike gemütlich beisammen sassen, brauchten die Schwestern nicht mehr zu bangen. Dabei fiel ihr ein, wie nichtig der Gegenstand dieses Bangens im Grunde war, und das vermehrte ihre Verstimmung.

      Doch sonderbar, Josephe konnte zu Hause nicht sagen, was sie gesehen. Sie zürnte sich selbst, aber die Lippen waren ihr wie versiegelt, als ob ein drohender Bote sie zum Schweigen aufgefordert hätte, und sie berichtete nur, dass der Laden geschlossen gewesen sei, was den Kummer und die Wut der Schwestern nicht eben verringerte.

      Freilich war Josephe auch sonst, wo es sich um Mitteilungen im Familienkreis handelte, von einer fast trotzigen Zurückhaltung. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass man den Menschen nicht dient, wenn man sich über ihr Tun und Lassen verbreitet, und dass es besser ist zu warten und zuzusehen, als sich voreilig in ihre Angelegenheiten zu mischen. In diesem Fall hatte ihr zudem ein unerklärliches Etwas in Ulrikes Miene Furcht eingeflösst, sie zu verraten oder überhaupt von ihr zu sprechen.

      Ein paar Minuten nach Josephe kam auch Lothar mit der Kunde, Ulrike sei nicht daheim. Eine gelbe alte Person habe ihn bös angefahren und ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Hierdurch schien er gereizt und erklärte, gleich wieder hingehen und Ulrike am Haustor erwarten zu wollen. Er stiess die Worte atemlos heraus und war augenscheinlich in Verzweiflung, dass er Ulrike nicht getroffen hatte. Jetzt fiel Christine seine Fahrigkeit und sein rastloser Blick auf, aber ehe sie ihn fragen konnte, war er schon wieder fort.

      Er hatte seiner Freundin ein schlimmes Geständnis zu machen. In seinem plötzlich erwachten Lebenshunger und den Begierden, die Ulrike allerdings mit Plan und Absicht in ihm geschürt, durch Geldmangel lästig eingeengt, hatte er, um sich zu helfen, zu einem verbrecherischen Mittel seine Zuflucht genommen und in einem unbewachten Augenblick im Geschäft des Vaters eine silberne, auf dem Deckel mit einem Smaragd besetzte Dose entwendet. In der begründeten Furcht, die Tat könne entdeckt werden, wenn er das gestohlene Gut an einen Händler in der Stadt verkaufte, hatte er die Dose seinem Freund Robert Elmenreich als Pfand gegeben, wofür ihm dieser seine gesamten Ersparnisse ausgehändigt hatte, an vierzig Gulden. Schon vorher hatte er kleine Beträge von ihm ausgeliehen, so dass er ihm im ganzen achtundvierzigeinhalb Gulden schuldig war. Weil nun Robert nach einigen Tagen selbst in Bedrängnis geriet, verlangte er das Geld zurück, und zwar mit unangenehmer Dringlichkeit. Lothar wusste nicht, wie er sichs verschaffen sollte; der andere drohte, das Pfand zu veräussern; Lothar stellte ihm die Gefahr eines solchen Schrittes vor und dass er als Hehler mitbezichtigt werden würde, da hatte ihm Robert Elmenreich, der für sein Vermögen zitterte, kurzweg erklärt, er werde die Dose Herrn Mylius übergeben und von ihm sein Geld fordern. Lothar


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