Das Herz siegt. Auguste Groner

Читать онлайн книгу.

Das Herz siegt - Auguste Groner


Скачать книгу
ist die Aufmerksamkeit auf den Alten gerichtet. In diese horchende Stille hinein redet die müde Stimme des Alten: „Gestern war ich gegen Abend in meinem Weingarten, um nach den edelreifen Trauben zu sehen, die, noch von Stroh geschützt, auf den Stöcken hängen. Froh ging ich heim, denn schönere Trauben hab’ ich noch nicht gekeltert. Ganz munter war ich und hellauf und hab’ mir noch ein’s gepfiffen. Da seh ich plötzlich, wie ein dunkler Nebel über unsre Stadt zieht. Also das ist nichts besonderes, aber in dem Nebel wird’s mit einemmal lebendig und ich seh’ rote Reiter drin mitten im Kampf. Und das war keine Täuschung! Wahrhaftig! Denn wie ich noch so steh’ wie angewurzelt, kommt meine Schwester schon angelaufen und keucht: ,Hast du sie geseh’n, Ohm! Die Reiter?’ …“

      „Seltsam!“ Irgend einer in der Stube hat es gesagt.

      „Das zeigt eine Gefahr an für unsere Stadt“, meint ein anderer: es war Vinzenz, der Fischer.

      „Lächerlicher Aberglauben!“ ruft Thanon dazwischen. „Woher soll denn für Wien eine Gefahr kommen?“

      Da stand der alte Winzer auf und langte nach seiner Otterfellmütze. „Ich weiß es nicht“, murmelte er, „aber ich habe die roten Reiter gesehen.“

      Gleich nach ihm verließen auch der Perser und auch seine Bekannten, die türkischen Kaufleute, die Schenke.

      Thanon aber fühlte sich plötzlich sehr wichtig. Er wies in gespreizter Rede darauf hin, daß am 3. Februar des nun zu Ende gehenden Jahres der Internuntius Caprara mit großem Gepränge nach Belgrad gefahren sei, um den mit den Türken abgeschlossenen Frieden für weiterhin zu sichern, welche Bestrebung ganz sicher gelingen mußte, da ja die Türken keine feindlichen Absichten bekundeten.

      Da ließ sich plötzlich ein bis jetzt ganz unbeachtet gebliebener Mann, der in einem Winkel saß, vernehmen. „Der Baron Zwiefel“, sagte er nicht ohne leichten Spott, „weiß vielleicht mehr von Wien und was unserer Stadt schaden kann als mancher Wiener. Das hat er soeben bewiesen, indem er just von den Türken zu reden anfing. Der Herr hat Capraras Abfahrt von hier wie ein richtiger Augenzeuge geschildert. Das kann ich bezeugen, denn auch ich war Zeuge der Abreise unseres Gesandten. Ich habe nämlich Abschied nehmen müssen von meinem Bruder, der als Kurier unserem Internuntius gefolgt ist. Was aber der Baron Zwiefel nicht zu wissen scheint, ist die Tatsache, daß da unten in Ungarn, in Ofen, wo ja die Türken herrschen, jedermann vom Krieg gegen uns redet und daß ein Stallmeister des Sultans dem Wesir von Ofen den Befehl überbracht hat, ein mächtiges Kriegsheer zu sammeln und es gegen Wien zu führen. Diese Kunde hat Caprara, der am 22. Februar noch in Ofen war, durch meinen Bruder nach Wien gelangen lassen. Dies weiß Baron Zwiefel vielleicht nicht“, sagte der Mann weiter und blickte bei dem Worte „vielleicht“ scharf nach dem merklich unruhig gewordenen Franzosen. „Baron Zwiefel weiß es vielleicht auch nicht, daß Caprara heute ein Gefangener der Türken ist, daß diese also ganz offen Feindseligkeit gegen uns zeigen. Herr Thanon — wisset Ihr auch nicht, daß just in letzter Zeit einige Fremde in Wien sich zeigten, die sich in ganz merkwürdiger Weise für die Anlagen unserer Stadt interessieren? Für die Basteien und Tore und was sonst unsere Befestigung ausmacht?“ Damit stand er vor dem Franzosen, der seinen ernsten Blick nicht zu ertragen vermochte.

      „Was wollt Ihr von mir?“ raunzte er, indessen seine Augen unstet umherfuhren. „Und warum nennt ihr meinen Spitznamen?“

      „Ein Spitzname! Ein Spitzname! wie gut ist es, wenn man nur so einen führt. Gebt acht, Herr Thanon, daß Ihr nie etwas Schlimmeres genannt werdet als ,Baron Zwiefel‘.“

      Im nächsten Augenblick hatte sich die Türe hinter dem Unbekannten geschlossen.

      Thanon atmete erleichtert auf. Aber er fühlte sich zu früh sicher, denn Vinzenz, der sich von Thanon beleidigt fühlte, erhob sich plötzlich und trat auf ihn zu: „Abergläubisch ist seine Gnaden, der Herr Baron, vielleicht nicht“, knurrte er den Franzosen an, „aber vielleicht hat seine Herrlichkeit Sinn für Spionieren?’s sieht ganz so aus, nach dem, was sich der Herr soeben hat sagen lassen müssen.“

      Thanon war bleich geworden. Er war ein Feigling und als er sah, daß auch nicht einer in der Wirtsstube sich an seine Seite stellen würde, langte er schnell in die Tasche, legte eine Münze auf den Tisch und griff nach seinem Hut und seiner Laterne. Irgend etwas auf Französisch murmelnd, ging er schnell fort.

      Während die Gäste im „Roten Dachl“ über Thanon redeten und ihre Meinungen untereinander austauschten, schlich dieser zornerfüllt durch die krummen Gassen, in denen hie und da der Schein der Laterne eines Heimgehenden auftauchte. Einmal aber blieb er stehen und lachte höhnisch: „In Bälde werden es hier die Vornehmen und Geringen wissen, was ich jetzt schon weiß, den sie den ,Baron Zwiefel‘ heißen. Und wenn sie tot oder türkische Sklaven sein werden, dann werde ich lachen und reich werde ich dann sein, reich!“

      II.

      Der Freisingerhof mit all seinen mannigfaltigen Anbauten, seinen massigen Toren und seinen schwarzvergitterten Fenstern, dem unregelmäßigen Zickzack seiner steilen Backstühle und seinem dunklen Mauerwerk, lag, gleich der alten Kaiserstadt, noch in der tiefen Dämmerung eines nebelreichen Novembermorgens da, als ein Reicher hier vom Pferde stieg und mit dem schweißbedeckten Falben im finsteren Flur verschwand.

      Innerhalb des weitläufigen Baues gab es im großen, winkelreichen Hofraume etliche Ställe. In einem brachte der Angekommene sein Roß unter, versorgte es getreulich und stieg dann zwei Treppen aufwärts.

      Ein kurzer Gang nahm ihn auf, dessen Dunkelheit ein wenig vom Schein einer Lampe erhellt war, die hinter einem Fenster brannte, welches die Innenwand des düsteren Ganges unterbrach. An dieses Fenster pochte der Angekommene. Drinnen erhob sich jemand, der an einem Tisch gesessen und geschmaust hatte. Rasch öffnete er und empfing den Gast mit Verwunderung. „Jetzt kommst du schon?“ sagte er. „Der Graf erwartet dich erst heute Abend. Du kannst ja kaum aus dem Sattel gekommen sein!“

      „Fast hast du recht“, entgegnete der Heimgekommene, dessen flotte Jugendlichkeit übrigens wenig Müdigkeit verriet. „In Kapyvar hat man mir die größte Eile anbefohlen. So hab’ ich also auf dem Herweg nur die allernotwendigsten Rasten gemacht.“

      „Und auf dem Hinweg hast du erst recht nicht gerastet, denn da hat dich das Herz zur Eile getrieben“, meinte der andere spöttisch.

      „Laß mein Herz in Frieden, Andreas. Ich liebe solche Scherze nicht. Ilona Tököli steht hoch. Ihr kann deine Zunge freilich nichts anhaben, aber ich ärgere mich über deine Albernheit.“

      „Aber Ferencz! Ist es denn albern, wenn man annimmt, daß ein so schöner, junger Mensch, wie du einer bist, ein schönes, junges Weib liebt?“

      „Das meine Milchschwester ist, aber auch meine Gebieterin!“ sagte der junge Mann. „Siehst du, Andreas, das begreifst du nicht, daß einer zu stolz sein kann, um zu lieben, wo ihn nur Demütigung erwarten würde. Aber wozu sage ich dir das? Du verstehst ja doch nur eines: Deinem Gaumen wohl zu tun; geh, gib mir auch zu essen. Ich habe Hunger und der nächtliche Ritt hat mich durchkältet.“

      Während dieser Rede waren die Beiden in die niedrige, aber ziemlich weitläufige Stube getreten, darin ein mächtiger großer Ofen mollige Wärme und eine große Kanne einen wohligen Duft ausströmte.

      Andreas, ein kleiner, rundlicher, nicht mehr ganz junger Mann, faßte den Krug, der stark gewürzten, warmen Wein enthielt, und reichte ihn dem anderen hin, wobei er lachend sagte: „Sollst samt deinem Stolz leben. Mir aber laß die Freuden, die ich mir da in aller Stille zu schaffen weiß. So! und nun sitz und iß!“

      Ferencz ließ sich das nicht zweimal sagen. Nach einer Weile aber seufzte er und schob Krug und Teller von sich: „Ich fürchte, daß es so nimmer lang weitergehen kann!“ sagte er.

      Der andere beugte sich weit vor. „Woran denkst Du?“

      „Nur an unseren Herrn und an Ilona Tököli.“

      „Was ist denn geschehen?“

      „Es geschieht eben nichts, gar nichts und das ist es, was meine stolze Gebieterin quält.“

      „Weiberlaunen.“


Скачать книгу