Das Geheimnis des Medaillons. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.gutmütig.
»Er wird den Badearzt verständigen.«
»Wenn der man kommt.«
»Er muß«, sagte Undine und warf ihr langes schwarzes Haar mit einem Ruck in den Nacken. Sie war sehr schön, wie sie so dastand, rank und schlank und hochaufgerichtet, die roten, geschwungenen Lippen leicht geöffnet, die schwarzen, großen Augen voller Glut.
Die Burschen standen dicht beieinander und starrten sie an. Jeden gelüstete es, das Mädchen in die Arme zu nehmen.
Ole Peters, der Kühnste von ihnen, hatte ein Geldstück in die Musikbox geworfen. Der Automat dudelte los. Ein wilder Cha-Cha-Cha peitschte den Burschen Mut ein.
Undine wollte zur Tür.
John Manners, Ole Peters’ bester Freund, vertrat ihr den Weg. »Na, wie wär’s, schöne Hexe?« sagte er. »Ein Tänzchen gefällig?« Er faßte sie bei den Handgelenken.
Sie versuchte sich loszureißen, aber der Griff seiner Hände war eisern.
»Nicht doch, nicht doch«, spottete er, »wir können’s wie der Teufel, du wirst sehen!« Er drehte sie ein paarmal, schleuderte sie dann mit heftigem Schwung einem seiner Kumpane zu, die sich in weitem Kreis um ihn und das Mädchen gestellt hatten.
Undine wäre fast gefallen, aber einer riß sie hoch und schleuderte sie fort – direkt in die Arme von Ole Peters. Der preßte sie an sich, wollte seine Lippen auf ihren atemlos geöffneten Mund drükken, aber sie wandte blitzschnell den Kopf zur Seite, und er traf nur ihre Wange. Sie versuchte ihn von sich zu stoßen, doch er dachte nicht daran, nachzugeben, packte sie noch fester.
»Laß das, Ole Peters! Ausgerechnet, wo ihr Vater krank ist!« rief die Wirtin ärgerlich, aber nicht gerade mit großem Nachdruck.
Undines dunkle Augen schweiften hilfesuchend durch den Raum, blieben an Frank Ostwalds ruhigem Blick haften. Ohne sich über seine Beweggründe Rechenschaft zu geben, stand er auf, ging auf die Kämpfenden zu.
»He, laß sie los, du!« rief er energisch.
Unwillkürlich lockerte Ole Peters seinen Griff, wandte sich Ostwald zu. »Kümmere dich um deinen eigenen Mist …«
Er kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen.
Undine hatte die Sekunde der Unaufmerksamkeit genützt, sich aus seiner Umarmung zu befreien. Jetzt schlug sie ihm mit aller Kraft ins Gesicht. »Du wirst noch an mich denken!« schrie sie außer sich vor Zorn. Dann bückte sie sich geschmeidig, hob ihr Schultertuch auf und hatte die Tür schon aufgerissen, ehe die anderen sich von ihrer Überraschung erholt hatten.
Ole Peters rieb sich verdutzt die schmerzende Wange, seine Freunde lachten schadenfroh. Er wurde rot vor Wut, holte aus und traf seinen Freund John Manners mit der Faust aufs Ohr.
Frank Ostwald riß ihn am Kragen zurück. »Genug. Du bist ja betrunken.«
Ole Peters fuhr herum, wollte auf Frank Ostwald losgehen, aber der war zehn Jahre älter als er, größer und stärker. Trotz seines Zorns begriff er, daß es nicht klug war, sich mit diesem Riesen anzulegen.
»Mach dich nicht unglücklich, Ole Peters«, sagte die Wirtin, »Herr Ostwald hat ganz recht. Du hast zuviel getrunken. Ich will keinen Ärger wegen euch Kroppzeug haben. Macht, daß ihr nach Hause kommt. Von mir kriegt ihr jedenfalls keinen Tropfen mehr.«
Die Burschen schoben, leicht schwankend, die Hände in den Hosentaschen, zur Tür.
Jakobus Schwenzen war nach vom gekommen. »Warte, Ole Peters«, rief er, »warte, bis ich dir das Mittel gebe! Ich würde an deiner Stelle nicht nach draußen gehen, ehe der Fluch der Hexe gebrochen ist.«
»Dummes Zeug«, knurrte Ole Peters, ohne sich umzusehen, und ging stur zur Tür.
»Also wirklich, Ole Peters«, sagte die Wirtin. »Wie kann man nur so sein. Sei doch froh, daß Herr Schwenzen gerade hier ist. Du hast selber gehört, wie sie dir geflucht hat. ›Du wirst an mich denken‹, hat sie gesagt, und das bedeutet etwas.«
Die anderen stießen Ole Peters an, wollten ihn bewegen, zurückzugehen. Aber er dachte nicht daran. Er war zu sehr in seiner männlichen Eitelkeit verletzt, fühlte sich lächerlich gemacht. Um keinen Preis der Welt hätte er zugegeben, daß er sich fürchtete. Er stieß die Tür auf, trat ins Freie.
Jakobus Schwenzen hob die Hände, ließ sie resigniert wieder sinken. »Ich denke, ich gehe ihm doch lieber nach, daß kein Unglück geschieht«, sagte er und tauschte einen Blick des Einverständnisses mit der Wirtin. »Nichts für ungut, mein Herr.« Er nahm Hut und Wettermantel und verließ die Wirtsstube.
Undine rannte, den Kopf geduckt, das Schultertuch fest über der Brust zusammengezogen, keuchend den Deich entlang. Ihr Ziel war das alte Leuchtfeuergebäude, in dem ihr Pflegevater Tede Carstens lebte. Zu normalen Zeiten konnte man das einsame Haus vom Fischerdorf aus sehen, aber jetzt war vor und hinter ihr nichts als das rasende Unwetter.
Nur hin und wieder gab eine treibende Wolkenschicht den Mond frei, gleich darauf wurde es wieder pechschwarz. Heulende Böen drohten das Mädchen vom Deich herunterzudrängen; sie schluchzte laut.
Der Mann auf dem Kraftrad hatte Undine schon fast erreicht, als sie den Lärm des Motors unterscheiden konnte. Sie glaubte, entfliehen zu können, und schritt rascher voran. Aber das Motorgeräusch kam näher und näher, und sie begriff, daß Flucht aussichtslos war.
Sie blieb stehen, sah den Scheinwerfer dicht hinter sich, wich unwillkürlich zur Seite und merkte zu spät, daß sie in eine Falle geraten war; sie stand zwischen dem Motorrad und dem Meer.
Sie zitterte am ganzen Körper. Gischt spritzte gegen ihre nackten Beine, durchnäßte ihren Rücken. Es war eiskalt. Ihre Finger klammerten sich krampfhaft um die Stablampe, die sie aus der Tasche ihres Rockes gezogen hatte.
»Sitz auf!« sagte der Mann auf dem Motorrad.
Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, weil der Scheinwerfer sie blendete, aber sie erkannte an der Stimme, daß es nicht Frank Ostwald war, der sie verteidigt, und auch nicht Ole Peters, der sie belästigt hatte.
Unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen, schüttelte sie stumm den Kopf.
»Na, komm schon!« sagte der Fremde mit erhobener Stimme, um das Gebrüll von Wogen und Sturm zu übertönen. »Brauchst keine Angst zu haben. Ich meine es gut mit dir. Sitz auf, und ich bring’ dich nach Hause.«
Die Stimme des Fremden hatte gutmütig geklungen, um Vertrauen werbend. Dennoch erkannte sie instinktiv, daß er ein Feind war.
Sie nahm allen Mut zusammen. »Nein«, rief sie, »nein!«
»Na, was ist denn? Du wirst mich doch nicht fürchten?« Er streckte die Hand nach ihr aus.
Sie zuckte zurück, wäre beinahe auf dem lehmigen Grund ausgeglitten und den Deich hinuntergestützt. »Laß mich in Ruhe!« schrie sie. »Fahr weiter – laß mich in Frieden!«
»Sieh einmal an!« Die Stimme des Fremden hatte plötzlich ihren gutmütigen Klang verloren, war höhnisch und böse. »Die Hexe fürchtet sich vor ihrem Meister.«
Jetzt wußte Undine, wer der Mann war, der sie verfolgte: Jakobus Schwenzen, den man den »Hexenbanner« nannte! Mit dieser Erkenntnis kam seltsamerweise ihr Selbstvertrauen zurück. Jetzt, da sie die Absicht des anderen zu ahnen begann, schien er ihr nicht mehr so gefährlich.
»Laß mich vorbei, Jakobus Schwenzen«, sagte sie und hatte ihre Stimme fast wieder in der Gewalt, »ich muß zu meinem Vater. Du weißt, er ist sehr krank. Willst du seinen Tod auf dein Gewissen laden?«
»Ich muß mit dir sprechen, Undine«, drängte Jakobus Schwenzen, »hier, wo uns niemand hört und sieht.«
»Ein andermal!«
»Nein. Hier und jetzt. Ich brauche dich, verstehst du? Ich brauche dich, weil du eine Hexe bist.«
»Nein!« schrie sie gequält. Der Sturm riß ihr