Das Geheimnis des Medaillons. Marie Louise Fischer

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Das Geheimnis des Medaillons - Marie Louise Fischer


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an: Du und ich, wir beide sollten zusammenarbeiten. Das würde ein Geschäft! Natürlich laß ich dich mitverdienen. Es soll dein Schaden nicht sein. Sieh dich doch nur einmal im Spiegel an. Ein Mädchen wie du! Was könntest du aus dir machen mit ein bißchen Geld.«

      Er hatte den Motor abgestellt, rutschte vom Sattel und stand jetzt dicht bei ihr. Der Scheinwerfer war erloschen, es war dunkel um sie.

      »Schöne Kleider«, fuhr er fort, »Schuhe mit so hohen Absätzen, Pelze, Schmuck, seidene Strümpfe. Wenn du schon eine Hexe bist, warum profitierst du nicht von deinen Künsten? Warum läßt du dich von den Dummköpfen verspotten? Zeig ihnen, wer du bist. Wenn wir zusammenarbeiten, sind sie verloren. Wir werden alles haben – Reichtum, Macht. Du kannst dich rächen! Hast du dir das nicht oft gewünscht? Rache?«

      Machten seine Worte Eindruck? Kamen sie Undines geheimen Gedanken entgegen? Undine sagte weder ja noch nein. »Mein Vater«, stieß sie hervor, »er wartet auf mich. Ich muß …«

      »Laß ihn warten! Was kümmert er dich? Ein alter Mann. Du weißt genau, er ist nicht dein Vater, er ist nicht einmal mit dir verwandt …« Jakobus Schwenzen hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da brach er ab, denn er spürte, daß er einen schweren Fehler begangen hatte. Aber es war schon zu spät.

      »Geh!« schrie sie und stieß ihm heftig mit der Faust vor die Brust. »Laß mich gehen – du!«

      Sie wollte an ihm vorbei, aber er ließ sein Motorrad fallen, packte zu und hielt sie mit beiden Armen fest. Sie warf den Kopf zurück, um sich zu befreien. Aber er umklammerte sie um so fester, zwang sie in die Knie, warf sie zu Boden.

      Sie schrie wild wie ein gepeinigtes Tier. Aber ihr Schrei ging unter im Lärm der Sturmnacht. Ihre Abwehr, die nicht einen Atemzug lang erlahmte, steigerte nur noch seine Zudringlichkeit. Er preßte ihre Schultern gegen den Boden.

      Da ertastete ihre Hand etwas Metallisches. Es war die Stablampe, die ihr bei Beginn des Kampfes entfallen war. Sie hatte eine Waffe.

      Sie entspannte sich, machte sich schlaff in seinen Armen. Und als er glaubte, ihren Widerstand gebrochen zu haben, da riß sie die Hand hoch und schlug die Stablampe mit aller Kraft auf seinen Schädel.

      Es gab ein hartes, häßliches Geräusch. Er stöhnte dumpf und ließ von ihr ab.

      Sie sprang auf die Füße und rannte davon, ohne sich noch einmal umzusehen. »Vater«, rief sie schluchzend, »Vater …!«

      Die Wirtin Wiebke Jans lauschte auf das Toben des Sturms. »Das Wetter wird heute nacht umschlagen«, sagte sie, »ich spüre es in meinen Knochen. Morgen früh ist es ganz klar.«

      »Hoffen wir’s«, sagte Frank Ostwalď gelassen, »es würde auch langsam Zeit. Seit drei Tagen bin ich nun schon vom Harmshof fort. Mein Vater wird sich Gedanken machen.« Er war nun doch als einziger Gast geblieben und hatte sich ein Buch aus seinem Zimmer geholt.

      Wiebke Jans kam näher, beugte sich über seine Schultern. »Daß Ihr das alles in Eurem Kopf behalten könnt«, sagte sie, als sie die physikalischen Formeln und Zeichnungen sah, »so ein Kram. Für was soll denn das gut sein?«

      »Wenn ich es schon im Kopf hätte, brauchte ich es nicht mehr zu lesen«, sagte er mit einem Lächeln, »aber lernen muß ich es wohl, sonst lassen mich meine Professoren durch die Prüfung fallen. Das wäre schlecht.«

      »Ich an Eurer Stelle«, sagte die Wirtin, »ich würde mir nicht den Kopf heiß machen lassen. Ich würde möglichst bald die Antje Nyhuus heiraten und …«

      »Soweit ist es noch nicht«, unterbrach er sie, »und was für Achtung sollte ein Mädchen vor einem Mann haben, der sich auf ihren Hof setzt und es sich gutgehen läßt? Vielleicht mögen andere anders denken, aber unsere Art ist das nicht.«

      »Man sagt …« Wiebke Jans beobachtete den jungen Mann wohlgefällig, »Ihr hättet oben in Ostpreußen eigenen Grund und Boden gehabt, und wenn ich Euch so ansehe, dann möchte ich es glauben.«

      »Das ist vorbei!« sagte Frank Ostwald. »Mein Vater kommt wohl noch manchmal ins Sinnieren, wenn er daran denkt, aber ich kann mich an nichts mehr erinnern – außer an die Pferde, ja, an die schönen wilden Pferde, aber an mehr nicht. Nein, es hat keinen Zweck, in der Vergangenheit herumzuwühlen. Wir leben hier und jetzt, und damit müssen wir uns abfinden.«

      Er beugte seinen Kopf wieder über das Lehrbuch, um der Wirtin zu zeigen, daß für ihn das Gespräch beendet sei.

      Aber Wiebke Jans war nicht so leicht abzuschütteln. »Und der Harmshof?« bohrte sie weiter. »Glaubt Ihr nicht, daß Ihr den einmal übernehmen könnt? Die Bauersleute sind doch schon alt, und seit ihnen der einzige Sohn davongelaufen ist … Oder warten die Alten immer noch auf ihn?«

      Frank Ostwald zuckte die Achseln. »Wer will wissen, was in so alten Leuten vor sich geht. Eines steht aber fest: Mein Vater und ich, der ich auf dem Harmshof aufgewachsen bin, wir sind für den Bauern und seine Frau immer noch Fremde. Obwohl mein Vater seit Kriegsende den Hof für sie verwaltet, obwohl sie nie unfreundlich zu uns sind. Als Fremde sind wir gekommen, und Fremde bleiben wir wohl auch – bis wir sterben. Da ist es gut«, er klopfte auf sein Buch, »wenn man sich sein eigenes Lebensziel steckt und sich nicht von allerlei Hoffnungen und Berechnungen verwirren läßt«.

      Der Sturm heulte mit neuer Kraft um das Haus im Deichwinkel. Die Wirtin schauderte. »Grad’ so eine Nacht war es, als mein Uwe ertrank, mein Uwe und Peer Peters, Ole Peters Vater. Anno dreiundvierzig war es und eine Nacht wie heute. Damals«, sagte sie und rieb sich die Hände nahe beim Feuer, »damals ist auch Undine zu uns gekommen, die Hexe, wie sie genannt wird …«

      Er hob den Kopf. »Ach«, sagte er, »Sie können sich noch daran erinnern?«

      »Als wenn ich je vergessen könnte! So eine Nacht, und alle saßen sie hier beieinander im Deichkrug und tranken und ahnten nichts Böses. Bis die Tür aufgerissen wurde und Tede Carstens, der Leuchtturmwärter, hereinkam. Damals wurde das alte Leuchtfeuer noch benutzt. Tede Carstens sagte, ein Schiff hätte ein Rettungsboot ausgesetzt, und das käme geradewegs auf die Insel zu.« Wiebke Jans machte eine Kunstpause.

      »In solch einer Nacht?« fragte er. »Ein Rettungsboot? Ja, hatte es denn Schiffbruch gegeben?«

      Die Wirtin steckte sich eine Nadel fester in ihr üppiges blondes Haar. »Ja, wer das wüßte«, sagte sie, »darüber ist später noch viel gesprochen worden. Die einen haben gesagt, das Schiff wäre ein Schmugglerboot gewesen, und andere wieder haben es für einen Dänen gehalten, der sich verirrt hatte. Niemand hat es je erfahren. Denn die Menschen in dem Rettungsboot …«, sie senkte ihre Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern, »sind nicht an die Küste gekommen. Keiner von ihnen. Ertrunken sind sie alle. Und mein Uwe und Peer Peters dazu – weil die Männer nämlich die Boote losgemacht hatten, um denen da draußen zu helfen, und dabei ist’s passiert. Und jetzt wißt Ihr auch, warum die Undine eine Hexe ist. Sagt selber, wie könnte es sonst möglich sein, daß so ein winziges Ding heil an Land kommt, während alle, die bei ihr waren, und zwei dazu, die helfen wollten, ertrunken sind?«

      »Ihr habt sie in jener Nacht gefunden?«

      »Ja. Tede Carstens hat sie aus dem Wasser gefischt. Ein winziges Ding soll sie damals gewesen sein, und in einer Schwimmweste soll sie gesteckt haben. Aber es ist niemand dabeigewesen. Tede Carstens hat sie ganz allein an Land gezogen. Er und seine Frau haben sie mit zu sich auf den Leuchtturm genommen und keiner Menschenseele ein Wort davon gesagt. Versteht Ihr das?«

      »Nein.«

      »Ja, damals wart Ihr noch zu klein, das habt Ihr nicht richtig miterlebt. Aber Tede Carstens sagt, er hat Angst um das Kind gehabt, weil es so fremdartig aussah mit seinen schwarzen Funkelaugen und seinen schwarzen Locken. Anders als die Kinder hier – eben wie kein Christenmensch aussieht, und das war damals gefährlich. Gemeldet hat Tede Carstens es erst, als der Krieg aus war, und sie haben Nachforschungen angestellt nach den Eltern. Aber alles vergeblich. Und so ist sie denn im Leuchtturmhaus geblieben, und den seltsamen Namen hat sie auch behalten, den ihr Tede Carstens gegeben hat: Undine! Carstens hat eben selber gleich gemerkt, daß es anders mit dem Kind war, als es hätte sein sollen.«


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