Das Geheimnis des Medaillons. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.was die Hexennatur der Undine betrifft. Denn daß die anderen ertrunken sind in jener Nacht, das kann man doch wohl nicht ihr anrechnen. Und was ihre schwarzen Locken und schwarzen Funkelaugen betrifft – nun, Ihr wißt selber, daß sie auf einem Schiff gewesen ist, das vielleicht von weit her kam.«
»Ihr wollt mich nicht verstehen«, sagte die Wirtin gekränkt.
»Doch. Aber wenn Ihr keine besseren Beweise habt.«
»Die habe ich wohl. Aber gerade Euch möchte ich sie nicht erzählen. Ihr lacht mich nachher nur aus.«
»Das kommt drauf an, Wiebke Jans.« Frank Ostwald nahm den letzten Schluck aus seinem Punschglas. »Setzen Sie sich zu mir und erzählen Sie. Wenn Sie uns beiden vorher noch einen heißen Punsch bereiten möchten, könnte es gewiß nicht schaden.«
Während die Wirtin sein Glas nahm und sich am Schanktisch zu schaffen machte, betrachtete er sie aufmerksam aus seinen kühlen grauen Augen.
»Mich wundert nur eines«, sagte er, »Sie sprechen schlecht über das Mädchen und waren vorhin doch ganz freundlich zu ihr.«
»Legt Ihr Euch mit Hexen an, wenn Ihr mögt«, antwortete die Wirtin achselzuckend, »und dann – mir hat sie ja nie was getan, außer daß sie mir meinen Uwe genommen hat.« Sie stellte die dampfenden Gläser auf den Tisch, setzte sich und sagte nachdenklich: »Wenn sie auch eine Hexe ist, so tut sie mir leid, ich weiß selber nicht warum. Aber immer, wenn ich sie sehe, packt mich ein großes Erbarmen.«
»Sie sind eine gute Frau, Wiebke Jans«, sagte Frank Ostwald ernsthaft.
»Nun, vielleicht kommt es daher, daß der Herrgott mir selber keine Kinder gelassen hat, deshalb kann ich verstehen, wie es für Tede Carstens Frau war, als er ihr das Hexenkind brachte. Rein außer sich war sie vor Freude und Glück und hat es lieb gehabt bis zu ihrem Tode und hat sich ihre Liebe von niemand ausreden lassen. Sie war eine gute Freundin von mir, Tina Carstens, und so hat sie mich gelehrt, ihr Hexenkind mit ihren eigenen Augen zu sehen. Mutteraugen, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
»Doch. Das verstehe ich gut. Und wie hat das Mädchen seiner Pflegemutter die Liebe vergolten?«
Die Wirtin schwieg einen Atemzug lang, dann sagte sie: »Alles, was recht ist, ein gutes Kind ist sie immer gewesen, zu ihren leiblichen Eltern hätte sie nicht anhänglicher sein können. Und trotzdem …« Sie beugte sich vor und senkte unwillkürlich die Stimme. »Sie war etwa zwölf Jahre alt – wann sie wirklich geboren ist, hat ja nie ein Mensch erfahren –, als Tina Carstens ins Krankenhaus aufs Festland kam. Krebs. Es gab keine Hoffnung. Dem Kind hatte natürlich niemand etwas davon gesagt, sondern man hat sie belogen, wie man es Kindern gegenüber tut: ›Mutter kommt bald wieder‹ und was dergleichen Reden mehr sind. Hier bei mir im Deichkrug war es, als sie plötzlich die Totenglocke zu hören glaubte. Ganz weiß wurde ihr kleines Gesicht und die Augen riesengroß, direkt zum Fürchten. ›Mutter ist tot‹, sagte sie, sonst nichts, und dann war sie auch schon umgefallen. Ich habe auf die Uhr gesehen. Dreizehn Minuten nach elf war es, auf die Sekunde. Und im gleichen Augenblick ist Tina Carstens tatsächlich gestorben, weit weg von hier. Auf dem Festland.« Die Wirtin sah fast triumphierend aus, als sie sagte: »Was sagt Ihr nun?«
»Gedankenübertragung. Läßt sich ganz natürlich erklären.«
Die Wirtin stemmte die Ellbogen auf den Tisch und sah Frank Ostwald herausfordernd an. »Jetzt hört mich einmal an!« sagte sie zornig. »Ihr mögt ein kluger Herr sein, habt in der Stadt studiert, wißt sicher mehr als wir armen Leute hier, aber von Hexen versteht Ihr gar nichts. Ihr macht es Euch sehr leicht, sagt einfach: ›Das gibt es nicht‹. Und wenn man Euch etwas unter die Nase reibt, das Ihr selber nicht erklären könnt, dann sagt Ihr: ›Zufall‹. Aber damit schafft Ihr nichts aus der Welt. Ja, lacht nur, lacht mich nur aus. Aber wenn Ihr in Ole Peters Haut stecktet, dann würde Euch das Lachen schon vergehen!«
Die Burschen waren, nachdem sie das Wirtshaus verlassen hatten, gemächlich ins Dorf zurückgefahren. Als sie die große Esche fast erreicht hatten, riß Ole Peters seine rechte Hand hoch und gab mit der Leuchtgaspistole – seiner neuesten Errungenschaft – ein Signal in die Luft, worauf seine Freunde ihre Motorräder abbremsten und langsam neben ihm zum Stillstand brachten.
»Was machen wir jetzt?« fragte er unternehmungslustig, als sie alle beisammen waren; er wollte die Schlappe, die er im Deichkrug erlitten hatte, so schnell wie möglich wettmachen.
Aber er fand bei den anderen kein Echo. »Ich bin müde – ich geh’ schlafen«, sagte einer nach dem anderen. Manche hielten sogar die Hand vor den Mund und gähnten herzhaft.
Ole Peters wurde weiß vor Zorn. »Ihr Feiglinge«, sagte er wütend, »habt ihr es mit der Angst bekommen?«
»Wir sind bloß müde«, sagten sie, und: »Heute ist doch nichts los!« und: »Morgen geht’s früh ’raus!« Sie sahen zur Seite, als sie ihm gute Nacht wünschten, wagten aber doch nicht, sich ohne seine Zustimmung davonzumachen, denn er galt als ihr Anführer.
»Sei vernünftig, Ole«, sagte John Manners, »wir werden bis auf die Haut naß, wenn wir länger hier herumstehen. Wenn du unbedingt noch was unternehmen willst, dann komm zu mir. Wir spielen eine Partie Karten.«
Ole Peters lachte verächtlich. »Wenn auch du dich fürchtest, dann mache ich es eben allein.« Er riß sein Fahrzeug herum und ließ den Motor anspringen.
»Was, Ole, was willst du tun?« John Manners versuchte ihm mit seinem Vorderrad den Weg abzuschneiden.
»Ich will’s ihr heimzahlen, der Hexe. Die wird’s bereuen, sich mit mir angelegt zu haben.« Er schwang sich in den Sattel. »Mir nach, wer sich ’was zutraut!« brüllte er und knatterte in Richtung auf den Deich davon.
Die anderen folgten ihm, zögernd, unentschlossen, aber doch voller Neugier, keiner bereit, sich vor dem anderen eine Blöße zu geben. Sie erschraken nicht, als Ole Peters den Deich an seiner steilsten Stelle anging, aber unwillkürlich verlangsamten sie ihr Tempo, um erst abzuwarten, wie er es schaffte.
Der Deich fiel fast drei Meter tief zum Hinterland ab, so daß sich eine steile, mit Grasnarben bedeckte Böschung bildete. Es war nicht das erste Mal, daß einem der Burschen das Kunststück gelang, die Steigung auf kürzestem Weg zu überwinden. Nie zuvor hatte jemand es jedoch bei so schlimmem Wetter versucht. Gras und Lehm hatten sich zu einer nassen, glitschigen Masse verknetet, auf der die Reifen keinen Halt fanden.
Zweimal ging Ole Peters den Deich an, und zweimal rutschte er wieder zurück.
»Laß den Quatsch, Ole«, rief John Manners, »du fährst dir noch deine Maschine zuschanden.«
Verbissen versuchte Ole Peters es zum drittenmal, und diesmal schien es zu gelingen. Die Reifen griffen in den Boden. Mit ungeheurem Lärm gewann das Motorrad an Höhe, hatte mehr als zwei Drittel der Steigung schon überwunden – da raste eine gewaltige Bö vom Meer her über den Deich.
Ole Peters verspürte noch den kräftigen Stoß gegen die Brust, wollte ihn abfangen, ausweichen – zu spät. Er verlor die Gewalt über sein Fahrzeug, flog hinterrücks durch die Luft in einen schwarzen, glänzenden Abgrund. Den Aufprall fühlte er nicht mehr.
John Manners stürzte als erster vor. »Ole!« schrie er. »Ole!«
Er kniete sich neben den Freund in den Lehm, packte ihn bei den Schultern, versuchte ihn aufzurichten – aber Ole Peters’ Kopf knickte in den Nacken, seine Augen standen weit offen, Blut rann ihm in einem dünnen Rinnsal aus dem Mund.
Ole Peters war tot.
Sie hatten nicht weit zu gehen, Ole Peters’ Mutter lebte im dritten Haus hinter der großen Esche. John Manners, der an der Spitze des traurigen Zuges ging, hörte die anderen hinter sich tuscheln. –
»Das war die Hexe«, sagte einer, »sie hat ihn verflucht.«
»Ich hab’s gleich gewußt – sie hat das Unglück auf ihn herabgeschworen.«
»Hätten wir uns bloß nicht mit ihr eingelassen!«
John Manners blieb stehen und wandte