Das Geheimnis des Medaillons. Marie Louise Fischer

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Das Geheimnis des Medaillons - Marie Louise Fischer


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hierher?«

      »Ich vermute, du müßtest es selber am besten wissen«, sagte der Vater. Er musterte den Sohn voll Skepsis.

      »Nein«, erwiderte Frank ruhig, »wie kommst du darauf?«

      »Mahlzeit miteinander!« Der Großknecht grinste unbehaglich. Dann, als niemand ihm antwortete, zog er sich rasch aus der Küche zurück.

      »Es ist ein reiner Zufall«, erklärte Frank Ostwald mit Nachdruck – Auge in Auge standen sich die beiden Männer, Vater und Sohn, gegenüber. »Ich habe das Mädchen erst einmal im Leben gesehen. Drüben auf der Insel. Und ich wette, sie kannte nicht einmal meinen Namen.«

      Frau Ostwald legte mit einer natürlich beschützenden Geste ihren Arm um Undines Schulter. »Ist das wahr, Dirn?«

      »Ja.« Sie schluckte. »Es tut mir leid, ich habe nicht gewußt …«

      »Sie konnte es gar nicht wissen«, sagte Frank Ostwald, »wir haben kein Wort miteinander geredet. Und selbst wenn es anders gewesen wäre …«, seine Spannung löste sich plötzlich. Er zeigte ein jungenhaftes Grinsen. »Ich bin doch nicht so einer, dem die Mädchen nachlaufen, noch dazu bei Nacht und Nebel.« Er reichte Undine seine kräftige braune Hand. »Ich bin Frank Ostwald. Deinen Namen kenne ich, und ich weiß auch noch einiges mehr über dich. Die Wirtin im ›Deichkrug‹ war froh, daß sie mir etwas erzählen konnte.«

      »Das kann ich mir denken.« Undine seufzte tief, ohne es selber zu merken. Sie sah den Verwalter mit einem großen Blick an. »Ich danke Ihnen für alles, Herr Ostwald. Sie waren so gut zu mir! Aber jetzt kann ich wohl nicht länger bleiben.«

      »Wieso denn?« fragte Gregor Ostwald erstaunt.

      »Weil ich auftauchte, nicht wahr?« stieß Frank Ostwald nach.

      »Ja«, sagte sie leise.

      »Hast du Angst vor mir?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      Frau Ostwald hatte ihrem Sohn eine große Tasse Milchkaffee eingeschenkt, schnitt ihm ein kräftiges Stück von einem Laib hausgebakkenen Brotes ab. »Setz dich, mein Junge, iß!« sagte sie. »Und dann wollen wir mal in aller Ruhe überlegen. Wir können dich natürlich nicht zwingen, bei uns zu bleiben, Undine – seltsamer Name, kann mich nur schwer dran gewöhnen –, aber willst du uns nicht wenigstens sagen, was du vorhast? Kennst du jemanden hier?«

      Undine schwieg. Aber als sie die drei Augenpaare unverwandt auf sich gerichtet sah, begriff sie, daß ihr eine Antwort nicht erspart blieb. »Ich will fort«, sagte sie zögernd, »dorthin, wo mich niemand kennt.«

      Frank Ostwald sah, sie belustigt über den Rand seiner Kaffeetasse hin an. »Du bist ein närrisches Ding, Undine. Bildest du dir etwa ein, auch wir würden glauben, daß du eine Hexe bist?«

      »Eine Hexe?« sagte seine Mutter. »Was ist das für ein Unsinn?«

      »Da hörst du es selber, wie Mutter über so etwas denkt, Undine.« Frank sah seine Eltern an. »Sie haben sie eine Hexe genannt auf der Insel, sie haben sie gequält, sie haben es soweit getrieben, daß ich mich nicht wundern würde, wenn sie sich selber für eine Hexe hielte. Habe ich recht, Undine?«

      Sie hatte die Hände gegeneinandergepreßt und sah ihn nur aus ängstlichen Augen an.

      »Und deshalb willst du davonlaufen? Bis du zu Menschen kommst, die nichts von dir wissen, die nicht dir die Schuld geben, wenn ein Unglück geschieht, eine Kuh verkalbt oder die Milch sauer wird.« Frank Ostwald lachte verächtlich. »So ist es doch wohl mit dem Hexenwahn, der ist was für die Unbelehrbaren, die nicht eher zufrieden sind, bis sie einen Sündenbock gefunden haben. Bleib bei uns, Undine«, sagte Frank Ostwald herzlich. »Nach ein paar Wochen wird man sehen, ob es dir nicht doch auf dem Harmshof gefällt …«, er schmunzelte, »und ob Mutter dich überhaupt brauchen kann. Fort kannst du immer noch. Sag nicht nein, wenn wir alle dich bitten.«

      Undine blieb, wenn auch mit schlechtem Gewissen. Sie war überzeugt, als Mörderin gesucht zu werden, und jedesmal, wenn ein Fremder sich dem Haus näherte, versteckte sie sich.

      Ostwalds merkten es wohl, aber sie verloren kein Wort darüber. Frank hatte seinen Eltern jenen Auftritt im »Deichkrug«, bei dem ihm Undine zum erstenmal begegnet war, ausführlich geschildert. Er wußte auch, daß man ihr auf der Insel die Schuld an dem Tod des jungen Ole Peters gab. Die Ostwalds waren tiefgläubige Menschen, und deshalb fehlte ihnen für Hexenwahn jedes Verständnis. Sie sahen nur, daß Undine ein armes, gequältes Menschenkind war, und sie hatten den Wunsch, sie zu schützen.

      Bei der Hausarbeit ließ sie sich geschickt an, und auch im Umgang mit dem Vieh, der ihr bisher ungewohnt gewesen war, fand sie sich rasch zurecht. Frau Ostwald hatte sie gern um sich und gab ihr manches gute Wort.

      Frank Ostwald blieb Undine gegenüber das, was er von Anfang an gewesen war – der aufmerksame Beschützer. Sie bewunderte seine Kraft, seine Ruhe, seine Zuverlässigkeit und nutzte jede Minute, die sie mit ihm zusammen sein konnte. Zwar wußte sie, daß er nur nach Hause gekommen war, um Carsten, den kranken Kleinknecht, zu vertreten, daß er bald wieder zur fernen Universität zurück mußte. Aber sie schob den Gedanken an Abschied und Trennung innerlich in weite Ferne.

      Selbst mit dem Harmshofbauern und seiner Frau, zwei sehr eigenartigen alten Leuten, denen das übrige Gesinde und auch die Verwaltersleute aus dem Wege zu gehen pflegten, kam sie gut aus.

      »Morgen fahre ich zu Carsten«, sagte Frank Ostwald am ersten Samstag, den Undine auf dem Harmshof arbeitete. »Willst du mitkommen?«

      »Ja«, sagte Undine, »aber …« Sie warf einen fragenden Blick zur Verwalterin.

      »Geh nur, Kind«, lächelte Frau Ostwald, »ich verstehe schon, daß du deinen Pflegevater besuchen willst.«

      Sie saßen in der Küche beim Mittagessen. Undine sprang so heftig auf, daß die Suppe in ihrem Teller fast übergeschwappt wäre. »Zu meinem Vater?«

      »Ja«, sagte Gregor Ostwald bedächtig, »er liegt im gleichen Krankenhaus wie Carsten. Wir haben uns erkundigt.«

      »Oh«, rief Undine und sah mit Tränen in den Augen von einem zum anderen, »ihr seid so gut zu mir. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

      In dieser Nacht fand Undine keinen Schlaf. Es war eine klare kalte Nacht. Fahles Mondlicht schien in Undines Kammer. Von der Kirche des fernen Dorfes schlug die Uhr.

      Undine zählte. Zwölf Schläge – Mitternacht.

      Es hielt sie nicht mehr länger im Bett. Sie stand auf, öffnete weit das Fenster, atmete die reine Nachtluft.

      Da sah sie ihn wieder – Jakobus Schwenzen.

      Mit kleinen, gleitenden Schritten kam er über den Hof, näherte sich dem Haus, eine geisterhaft blasse Gestalt im Schimmer des Mondes.

      Hassan schlug nicht an; er wimmerte nur.

      Undine schloß die Augen, hoffte inbrünstig, daß der Spuk verschwunden sein möge, wenn sie sie wieder öffnete. Aber das Bild hatte sich kaum verändert. Die Gestalt, die Undine für den Geist eines Toten hielt, hatte jetzt die Hintertür erreicht. Das Mädchen hörte, wie Jakobus Schwenzen dreimal gedämpft gegen das Holz pochte. Mit einem qualvollen Aufschrei brach sie zusammen.

      Als Undine aus ihrer Ohnmacht erwachte, war Frank Ostwald bei ihr. Wie ein Kind nahm er sie auf die Arme. Er trug sie zum Bett und deckte sie zu.

      »Was ist, Undine?« fragte er. »Was hast du? Was ist geschehen?«

      Es dauerte eine Weile, bis sie die Sprache wiederfand. Dann stieß sie mühsam hervor: »Jakobus Schwenzen …«

      Frank Ostwald beugte sich zu ihr. »Ja? Was ist mit ihm?«

      »Er war hier. Ich habe ihn gesehen. Er pochte an die Hintertür.«

      »Das mag wohl sein«, erwiderte Frank Ostwald gelassen. »Aber was soll’s? Bis in deine Kammer wird er nicht kommen.«

      Sie ertrug es nicht länger, mußte


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