Das rote Meer. Clara Viebig

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Das rote Meer - Clara Viebig


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trotz der frischgrünen Tannenbäumchen an den Fenstern und auf dem Balkon. Wie anders sah dagegen ihr eigenes Haus aus! Allem Schmerz, der in ihm wohnte, zum Trotz blinkten die Fenster hell, lag eine einladende Traulichkeit schon draussen vor der Tür.

      Das Mädchen, das auf leisen Sohlen ging, wies Hedwig in ein grosses, ein wenig verdunkeltes Zimmer.

      Helene Kettler stand vom Ruhebett auf, sie hatte da gelegen, den Kopf zur Wand gekehrt. Nun glitt ein Schimmer von Lächeln über ihr vergrämtes Gesicht, sie streckte Hedwig beide Hände entgegen, und wie erlöst von der Qual der Einsamkeit, seufzte sie auf: „Gott sei Dank, dass Sie kommen!“ Und hastig fuhr sie fort, als peitsche es sie innerlich, zu sprechen: „Verzeihen Sie, dass ich Sie rief, ich hoffe, Sie versäumen nichts Wichtiges, ich bin so allein, ich bin so grausam allein, dieser nahende Frühling mit seiner scharfen Sonne macht mich krank, ich sitze lieber im Dunkeln, ich —“ sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, die dunklen Augen irrten umher, als erwartete sie aus jedem Winkel Schrecknisse auftauchen zu sehen.

      „Was ist Ihnen?“ Von einem grossen Mitgefühl fortgerissen, legte Hedwig ihren Arm um die Erblasste. „Kann ich Ihnen helfen? Ich möchte so gern. Sprechen Sie doch!“

      Da liess die einsame Frau den Kopf auf die Schulter der anderen sinken und weinte.

      Wem es gegeben ist, sein Leid auszusprechen, der ist schon ein Halbbefreiter; Helene Kettler hatte es nie gekonnt, heute, hier hatte sie das Gefühl: das ist eine Mutter wie du. Sie fühlte das Band, das sich von einer Mutter zur anderen schlingt. Sie schluchzte: „Ich habe meinen Sohn verloren. Meinen einzigen Sohn.“

      Wie, jetzt plötzlich? Fast atemlos fragte Hedwig: „Wann? Wo? Tot?!“ Sie zitterte, von Mitleid erfasst.

      Die Weinende schüttelte den Kopf: „Tot ist er nicht. Und doch tot. Sehen Sie!“ Hastig zog sie Hedwig zum Schreibtisch, hastig schloss sie das Schubfach auf, hastig nahm sie ein Bild heraus. Mehrere Bilder: als kleines Kind, als Knabe, als Erwachsener.

      Hedwig sah gute, weiche Kinderwangen, ein lustiges Knabengesicht und dann einen hübschen, eleganten jungen Mann — aber gut sah der nicht mehr aus.

      „Fünfundzwanzig Jahre — fünfundzwanzig Jahre ist er nun — ein Tag wie heute, als er geboren wurde, wir freuten uns. Oh, hätten wir uns nie so gefreut! Wir glaubten ihm immer, wir haben ihn zu sehr geliebt, er war so frisch, so aufgeweckt, wir haben ihn zu sehr verwöhnt. Weiber, Schulden — mein Mann hat immer wieder gutgemacht.“ Die Mutter rang die Hände, es war eine unterdrückte Leidenschaft in ihrer Stimme, in jeder ihrer Bewegungen. „Glauben Sie, dass es möglich ist, dass man einen Sohn, zu dem man kein Vertrauen mehr haben kann, der mehr Kummer gemacht hat als hundert andere Söhne zusammen, auf den man nicht mehr hoffen kann, dass man so einen Sohn doch noch lieben kann? Es ist so über mich gekommen — heute fünfundzwanzig Jahre — verzeihen Sie, ich konnte so allein nicht sein — frohe Menschen verstehen ja nicht, aber Sie, Sie! Glauben Sie, dass man solch einen Sohn doch noch lieben kann?“

      „Ja,“ sagte Hedwig. Weiter nichts, aber sie sagte es fest. Sie dachte an ihre Söhne: hatte Rudolf ihr nicht auch Kummer gemacht? Ach, nur einen kleinen; der grosse Kummer, den er ihr bereitet, — sein Tod — war unverschuldet. Und Heinz? Nein, diese Frau hier hatte anderen Kummer. „Eine Mutter hört nie auf zu lieben, und sei der Kummer, den ihr der Sohn bereitet, auch noch so gross.“ Sie sagte es laut. „Sie darf auch nicht aufhören, den Sohn zu lieben. Wenn wir, die Mütter, das tun, was soll dann aus den Söhnen werden?!“

      Auf Hedwigs zartem Gesicht lag die Überzeugung dessen, was sie sprach.

      Die andere sah es, und in einem Drange des Vertrauens stiess sie heraus: „Er hat meinem Mann das Herz gebrochen. Er — er — er hat — o du, du!“ Sie schlug plötzlich mit der Hand auf das Bild des eleganten jungen Mannes, dass es von der Schreibtischplatte herunterflog. „Hassen sollt’ ich ihn, verachten, nicht mehr kennen, nicht mehr an ihn denken, und doch“ — sie brach förmlich zusammen — „heut ist sein Geburtstag!“ Sie weinte.

      Hedwig stand neben ihr, die auf einem Sessel zusammengesunken war, sie konnte nichts sprechen, es würgte sie in der Kehle. Was war ihr Schmerz gegen diesen? Sie wusste nichts, aber sie ahnte. Arme Mutter, unglückliche Mutter! Weich strich ihre sanfte Hand über das tiefgebeugte Haupt. Sollte sie tröstende Worte sprechen? Die Worte blieben nur Worte. Und wenn der Krieg nun aus war, wenn dieser Sohn wiederkehrte? Würde der Krieg ihn anders gemacht haben, besser? Ein Bangen kam sie an. „Helfen kann ich nicht,“ sagte sie leise. „Ich kann nur mit Ihnen weinen.“ —

      Sie sassen noch lange zusammen. Beiden Frauen war es, als kennten sie sich seit Jahren schon. Was lange Reihen von Freudenjahren nicht vermögen, das macht die kurze Stunde gemeinsam empfundenen Leides.

      Als Hedwig vorm Spiegel ihren Hut aufsetzte, blickte die andere mit hinein. Die beiden Gesichter lächelten sich wehmütig an. Beides einst schöne Frauen, noch war es nicht allzulange her — und heute? Augen, deren Glanz Tränen verlöscht; Wangen, über die sie hinabgeströmt, Rinnen gewaschen hatten mit heisser Flut. Linien waren gezogen, Runen, die kein Lächeln mehr wegbringt. Das Leid hatte die Schönheit gezeichnet, unerbittlich vernichtend.

      „Mütter,“ sagte Hedwig und nickte dem Spiegelbild zu.

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