Chronik eines Weltläufers. Hans Imgram

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Chronik eines Weltläufers - Hans Imgram


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man Winnetou und mir die Handfesseln löste, um uns als Nächste gemeinsam an den Baum zu binden, konnten wir uns befreien. Wir entrissen den Roten die Silberbüchse und den Bärentöter und eilten zu den Pferden der Komantschen. Sie waren so verblüfft, dass sie gar nicht daran dachten, auf uns zu schießen. Erst als sie uns verfolgten, schossen wir vier von ihnen nieder, sodass sich die anderen etwas zurückzogen. Dadurch gewannen wir Zeit, uns die besten Pferde auszusuchen und davonzureiten. Jetzt waren wir die Jäger und die Komantschen, die vier unserer Kameraden getötet hatten, die Verfolgten. Wir konnten diese rächen und alle Komantschen bis auf einen erschießen, darunter auch deren Häuptling ‚Starke Hand‘. Wir begruben sie mit allem, was ihnen gehörte. Aber was sie uns geraubt hatten, das nahmen wir ihnen ab, darunter auch meinen Henrystutzen. Mowa-kituh, die ‚Starke Hand‘, musste, weil er Häuptling war, ein würdiges Grab erhalten; das tat Winnetou nicht anders. Es gab im Todestal eine Felsspalte, in die wir ihn gelegt haben, die Waffen in der Hand, den Medizinbeutel umgehängt.2

      Wir erlebten noch einige Abenteuer und die Nachrichten davon verbreiteten sich in Windeseile, denn obwohl ich noch ziemlich neu im Westen war, schienen Winnetou und Old Shatterhand in aller Munde zu sein. Wir waren – wie man bei uns zu sagen pflegt – bekannt wie bunte Hunde.

      Samstag, 25. Juni 1864:3

      Ich befand mich mit Winnetou bei den Navajos. Sie lagerten zwischen den Höhen der Agua Grande genannten Gegend und wollten von da aus nach dem Colorado hinab. Da brachten unsere roten Wachen zwei fremde Indianer, die sie unter sehr verdächtigen Umständen aufgegriffen hatten. Wir mussten wissen, woher die beiden Indianer kamen und ob sie Kundschafter irgendeines Stammes waren. Der Apatsche, ich und ein junger, aber sehr erprobter Krieger ritten fort, um den Aufenthalt der Gegner zu entdecken. Erst am Abend erreichten wir ein Wässerchen, wo sie gestern Rast gemacht hatten. Aus versteckten Farbtöpfchen ersahen wir, dass sie Pah-Utahs waren und sich auf dem Kriegspfad befanden.

      Sonntag, 26. Juni 1864:

      Es war gegen Mittag, als uns drei Reiter entgegenkamen. Zwei davon kannten wir: Es waren Dick Hammerdull und Pitt Holbers. Der dritte Reiter hieß Fletcher und war immerzu am Fluchen. Wegen seiner Flüche hatte er den Namen Old Cursing-Dry erhalten. Sie erzählten uns, dass ihre Gruppe, als Dick und Pitt auf der Jagd waren, von den Pah-Utahs überfallen wurde und nur Fletcher entkommen konnte. Sie sahen, dass ihre acht Gefährten gefangen und zwei Indianer tot waren. Winnetou nannte Fletcher den Mörder der beiden Indianer. Dieser aber antwortete: „Ich will erblinden und zerschmettert werden, wenn ich der Mörder bin!“ Wir wollten die Gefangenen befreien, unter denen sich auch Fletchers Sohn befand, und mussten dazu die Hilfe der Navajos herbeiholen. Winnetou schickte deshalb den uns begleitenden jungen Krieger mit der Nachricht zu seinem Stamm zurück und beschrieb genau den Ort, wo wir auf sie treffen würden, um die Pah-Utahs in eine Falle zu locken.

      Montag, 27. Juni 1864:

      Gegen Morgen des anderen Tages kamen wir in der Nähe der Pah-Utahs an. Winnetou ging zur Erkundung. Nach einem Streit schlug ich Fletcher nieder und er wurde gebunden. Dann kam Winnetou zurück. Er hatte erlauscht, dass unter den Toten der Sohn des Häuptlings ‚Großer Mokassin‘ war. Er war, wie einer der Indianer beobachtet hatte, von Fletcher erschossen worden. Man bereitete die Bestattung der Toten vor und wollte anschließend aus Rache die gefangenen Weißen töten. Um die Gefangenen zu befreien, mussten wir die zweihundertsechzig Pah-Utahs von diesen weglocken. Wir nahmen den Häuptling gefangen und zündeten das Grabmal an, worauf alle Pah-Utahs dorthin eilten. Dadurch konnten wir die Gefangenen befreien und zu einem Floß bringen, mit dem Winnetou den Rio San Juan flussabwärts fuhr. Zu viert ritten wir mit dem gefesselten Fletcher zu unserem vereinbarten Ziel.

      Dienstag, 28. Juni 1864:

      Wir folgten dem Fluss und kamen am Spätnachmittag an die Felswände, zwischen denen der Rio San Juan verschwand. Das war der Cañon, in dem wir die Pah-Utahs fangen wollten. Wir wussten, dass die Navajos bereits angekommen waren, und so konnten wir die Pah-Utahs in den Cañon locken, was auch gelang. Sie saßen in der Falle und konnten weder vorwärts noch zurück. Als sie merkten, dass ein Entkommen aus dem Cañon unmöglich war, waren sie so einsichtig, sich auf Verhandlungen mit uns einzulassen und dafür den Mörder des Häuptlingssohnes ausgeliefert zu bekommen. Da entriss Fletcher dem Häuptling ‚Großer Mokassin‘ die Pistole, die nur mit Pulver geladen war, hielt sie sich an die Schläfe und drückte ab, erhielt dabei aber von diesem einen Stoß, sodass der Schuss abgelenkt wurde und ihm in beide Augen ging. Er war blind. – In der Nacht wurde ich wach und erfuhr, dass Old Cursing-Dry entflohen sei. Sein Sohn war auch verschwunden. Einer der Außenposten hatte zwei Männer gesehen, die miteinander auf dem Pferd saßen. Er hatte sie angerufen und, als sie nicht antworteten, zweimal auf sie geschossen. Kurz darauf kam ein reiterloses Pferd ins Lager gelaufen. Es war das Pferd des jungen Fletcher.

      Mittwoch, 29. Juni 1864:

      Als der Tag zu grauen begann, machten wir uns auf die Suche. Wir brauchten gar nicht weit zu gehen, bis wir den Sohn liegen sahen, tot und kalt. Die Kugel des Außenpostens war ihm von hinten in die Brust gedrungen. Das Pferd war mit dem Alten weitergelaufen und hatte ihn an einer Felswand, die wohl dreißig Meter tief nach dem Fluss abwärts ging, abgeworfen. Wir holten ihn herauf. Seine Lästerung „Ich will erblinden und zerschmettert werden!“ war wortwörtlich eingetroffen. Als er erfuhr, dass sein Sohn tot sei, brach er sichtlich erschüttert zusammen. Endlich gestand er seine Tat, die beiden Pah-Utah-Indianer erschossen zu haben, und flehte um Gottes Barmherzigkeit. Dann starb er.

      Donnerstag, 30. Juni 1864:

      Wir hatten uns noch im Laufe des gestrigen Tages von den Navajos und den Pah-Utahs, die gemeinsam die Friedenspfeife geraucht hatten, getrennt und waren nach Norden weitergeritten. Dick Hammerdull und Pitt Holbers schlossen sich uns an. Ihre vier Gefährten aber ritten mit den Navajos zurück. Vor uns lag noch ein weiter Weg vom unteren Grenzgebiet der Territorien Utah und Colorado bis hinauf nach Wyoming.

      Donnerstag, 28. Juli 1864:4

      Vor drei Jahren war ich droben am Yellowstone von den Sioux-Ogellallah überfallen worden und musste mit drei Indianern kämpfen, um mein Leben zu retten. Nun wollte ich mit Winnetou nochmals hinauf zum Yellowstone, um die Gräber der von mir getöteten Sioux zu besuchen. Unsere kleine Gesellschaft bestand aus vier Personen: Winnetou, dem lustigen Dick Hammerdull, seinem wortkargen Freund Pitt Holbers und mir. Danach hatten wir einen uns befreundeten Stamm der Schoschonen besucht und waren von ihrem Häuptling und einigen hervorragenden Kriegern bis an die Mündung des Gooseberry Creek in den Bighorn River begleitet worden. Hier mussten die Schoschonen umkehren, weil jenseits des Bighorn das Gebiet der Upsarokas, der Krähen-Indianer, begann, mit denen sie in Todfeindschaft lebten. Zuvor hatten sie uns zu einer Bisonjagd im Herbst eingeladen, was wir auch angenommen hatten, vorausgesetzt, dass uns nichts dazwischenkäme. Als sie sich von uns getrennt hatten, setzten wir unseren Ritt in östlicher Richtung fort. Dick Hammerdull und Pitt Holbers wollten über die Bighorn Mountains nach dem Powder River und dann nach den Black Hills. Nördlich der Richtung, in der wir ritten, hatten die uns feindlich gesinnten Upsarokas ihre Jagdgebiete, und bis in die südlich von uns gelegene Rattlesnake Range waren die Sioux-Ogellallah vorgedrungen, unsere alten Gegner, die einen unversöhnlichen Hass gegen uns hegten. Wir befanden uns also zwischen zwei Völkerschaften, mit denen wir jede Begegnung möglichst zu vermeiden hatten. Noch hatten wir uns nicht weit vom Bighorn River entfernt, als wir auf eine Spur von etwa zweihundert Upsaroka-Indianer trafen, die sich auf einem Kriegszug befanden. Die Fährte stammte von gestern früh. Gegen Abend sahen wir zwei Pferdespuren und trafen bald auf eine Indianer-Squaw, die hinter ihren beiden vierzehn- und fünfzehnjährigen Söhnen her war, die heimlich ihrem Vater, dem Häuptling dieses Upsaroka-Stammes, folgen wollten. Nach einiger Zeit erblickten wir ein Lager der Sioux-Ogellallah. Als es dunkel war, beschlichen Winnetou und ich das Lager. Der Unterhäuptling ‚Langer Leib‘ saß mit einem Weißen etwas abseits, neben ihnen lagen die Upsaroka-Buben gefesselt im Gras. Der ältere der beiden sagte zu dem Weißen, dass dieser Folder heiße und seinem Vater einst Pferde gestohlen hätte. Der Weiße öffnete den Fellsack und zeigte ihnen die giftigen Klapperschlangen, die sich darin befanden. Da sprang neben uns die Indianer-Squaw aus den Büschen und warf sich über ihre Kinder. Der Unterhäuptling wollte Späher aussenden, um das Pferd der Squaw zu finden. Wir mussten schnellstens unseren jetzigen Lagerplatz verlassen


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