Chronik eines Weltläufers. Hans Imgram

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Chronik eines Weltläufers - Hans Imgram


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17. August 1867:

      Wir näherten uns jenen wenig besuchten Ländereien, in denen die Grenze zwischen Algerien und Tunesien strittig ist. So erreichten wir um die Mittagszeit die Berge von Schania, von denen man in das Gebiet der Schotts herabblicken kann. Auch heute holten wir den Krumir nicht ein.

      Sonntag, 18. August 1867:

      Wir kamen an eine Stelle, an der der Krumir mit seiner Gefangenen die Nacht zugebracht hatte. Gegen Mittag, blitzte es am fernen Himmelsrand hell und kristallisch auf; das war der Schott Rharsa. Wir sahen zwei Pferde, einen Falben und einen Schimmel: Mochallah und der Krumir. Auch er musste uns erkennen, denn er flog mit beiden Pferden davon. Wir näherten uns dem glänzenden Spiegel des Schotts immer mehr. Ich holte den Krumir mit meinem Lasso aus dem Sattel, doch er schwang sich hinter Mochallah auf deren Pferd und lenkte es auf die hell erklingende Salzdecke hinaus, ich hinter ihm her. Und Achmed folgte mir. Der Boden dröhnte, wankte, knirschte und prasselte. Der Tod flog mit uns, vor, neben, unter uns. Als der Krumir merkte, dass sein Pferd an Kraft verlor, weil es die doppelte Last zu tragen hatte, wollte er Mochallah herunterstoßen, doch die klammerte sich an ihm fest. Er aber schlug sie herunter, das flüssige Salz gab nach, sie sank. Doch in diesem Augenblick schoss mein Pferd an ihr vorüber, ich beugte mich tief hinab und fasste sie am Oberarm und zog sie hoch. Da endlich bemerkte ich einen dunklen Streifen, das war fester Boden, doch wir mussten springen, um auf ihm zu landen. Der Krumir war noch vor uns. Mein Rappe flog wie ein Vogel über den breiten, tief sumpfigen Rand hinweg, der die Salzkruste vom festen Boden trennte, und gleich hinter mir landete auch Achmed glücklich. Der Krumir aber lag regungslos im Sand. Seine ermüdete Stute war zu kurz gesprungen, und der aus dem Sattel geschleuderte Krumir hatte, mit dem Kopf zuerst aufschlagend, den Hals gebrochen. Wir banden den Toten auf sein Pferd, während Achmed Mochallah mit auf das seine nahm. Dann ritten wir unseren Gefährten entgegen. Später versenkten wir den Leib des Krumir unter die Salzkruste des Schotts Rharsa.

      Donnerstag, 22. August 1867:

      Wir blieben bis heute bei den Uëlad Mescheer, dann trennten wir uns von dem gastlichen Beduinen-Stamm. Achmed und Mochallah ritten mit ihrem Vater, dem Scheik Ali en Nurabi, zu den Uëlad Sedira zurück. Ich aber wollte über Sfax in meine Heimat, und Lord Percy, der mich noch ein Stück begleiten würde, wollte hinüber nach Algerien.

      Dienstag, 10. September 1867:

      In Sfax war in absehbarer Zeit kein Schiff nach Europa zu erwarten. Deshalb entschloss ich mich, mit einem Dampfer nach Tunis zu fahren, wo ich auf einen besseren Anschluss hoffen konnte. Hier machte ich mein Versprechen, Krüger Bei einmal in Tunis zu besuchen, schneller wahr als vorher gedacht. Draußen in Bardo, wo der ‚Herr der Heerscharen‘ seinen Sitz hatte, lernte ich auch seinen Adjutanten Selim kennen, der aber nur der alte ‚Sallam‘ genannt wurde. Krüger Bei freute sich riesig über mein unerwartetes Auftauchen. Natürlich musste ich ihn ausführlich über unser Abenteuer mit dem Krumir und dessen Ausgang informieren. Ich musste in seinem Haus Quartier nehmen und er wollte mich unbedingt länger hier behalten. Weil ich aber nach Hause wollte, erkundigte ich mich in Goletta, dem Hafen von Tunis, wann ein Schiff nach Marseille, Neapel oder Genua fahren würde, doch man konnte mir keinen konkreten Termin nennen.

      Mittwoch, 11. September 1867:

      Schon am frühen Morgen sah ich einen Frachtdampfer im Hafen liegen. Ich eilte hin, um mich nach dessen weiterem Reiseziel zu erkundigen. Doch nicht ein europäischer Hafen war sein nächstes Ziel, sondern Stambul in der Türkei. Am kommenden Tag, nachdem ein Teil der Fracht gelöscht und andere aufgenommen sei, werde das unter englischer Flagge fahrende Schiff wieder abdampfen. Enttäuscht kehrte ich zurück zu Krüger Bei. Sicher saß ich hier noch einige Tage fest, ohne in Richtung Heimat zu kommen. Dann aber kam mir die Idee: Warum nicht nach Stambul fahren? Ich hatte ja schon immer vor, eine Reise dorthin zu machen. Nun bot sich mir unverhofft die Gelegenheit dazu; warum sollte ich sie nicht nutzen, zumal ich ja einen Teil des Reisewegs sparen konnte? Bevor ich mein Quartier kündigte, nahm ich mit dem Kapitän des englischen Frachtdampfers Kontakt auf und dieser erklärte sich bereit, mich nach Stambul mitzunehmen. Ich solle spätestens heute Abend an Bord sein, denn schon beim ersten Morgengrauen wolle er ablegen.

      Ende September 1867:

      Der englische Frachter, auf dem ich mich mit Kurs auf Stambul befand, fuhr zwischen dem griechischen Festland und der Insel Kandia (Kreta) in das Ägäische Meer hinein und an den vielen größeren und kleineren Inseln vorbei, die größtenteils zu Griechenland gehörten, bevor wir den langen, engen Schlauch der Dardanellen passierten, um dann in das breitere Marmarameer einzufahren. Dahinter lag der Bosporus, der zum Schwarzen Meer hinführt. Der Kapitän erklärte mir, dass der Bosporus ungefähr siebenundzwanzig Kilometer lang sei und seine größte Breite etwa knapp zwei Kilometer betrage. Vom Schwarzen Meer her herrschte eine starke Strömung vor und jetzt im Herbst drückte ein starker Nordwind herein. Schließlich tauchte am südlichen Ende des Bosporus die Haupt- und Residenzstadt des Osmanischen Reiches, Konstantinopel, vor uns auf, von den Türken Istanbul, Stambul oder Ber-i-Veadet (Pforte des Glücks), von den türkischen Slaven auch Zarigrad (Kaiserburg) genannt. Nachdem unser Schiff in das Goldene Horn eingefahren war, legte es am nördlichen Ufer beim Stadtteil Galata an, wo der Handel und Verkehr von Konstantinopel seinen eigentlichen Brennpunkt hat.

      An den Hafendämmen lagen die Dampfer und Segler aller seefahrenden Völker, und auf den glitzernden Wogen wiegten sich die seltsam gebauten türkischen Gondeln und Kähne, zwischen denen bisweilen schlankgeflügelte Seemöwen übers Wasser hinschossen, als wollten sie in spielerischem Übermut ihre Fluggeschicklichkeit erproben und beweisen.4

      Ich suchte mir in Pera ein europäisch eingerichtetes Quartier. Pera ist der Stadtteil von Konstantinopel, der vorzugsweise von Europäern, ihren Gesandten und Konsuln bewohnt wird. Ich wollte mir hauptsächlich die auf dem europäischen Festland liegende geschichtsträchtige Stadt und vielleicht noch ein oder zwei ihrer Stadtteile, wie Pera und Galata, ansehen. Das auf der asiatischen Seite gelegene Skutari interessierte mich weniger. Die eigentliche Kernstadt südlich des Goldenen Horns ist teilweise mit Ringmauern umgeben, von denen die innere mit den hohen Türmen noch ziemlich gut erhalten ist. Mehrere Tore durchbrechen diese Ringmauern, davon allein fünfzehn nach dem Goldenen Horn zu.

      Dienstag, 15. Oktober 1867:

      Mein erstes Ziel war die Hagia Sofia, heute Moschee und ehemals christliche Kirche, ein Musterbau byzantinischen Stils. Die unter dem osmanischen Herrscher Soliman dem Großen erbaute Moschee gleichen Namens wurde der Hagia Sofia nachgebildet und wird als die schönste gerühmt. Sieben Minaretts hat die Moschee Achmeds I. Übrigens gibt es noch viele christliche Kirchen und einige jüdische Synagogen. Der Serai, die verlassene Residenz der ehemaligen Sultane, liegt auf der Spitze des Dreiecks zum Bosporus und Goldenen Horn und ist von einer Mauer umgeben. Dort befinden sich Paläste, Moscheen und die Wohnungen der Sultanswitwen und der alten Palastdiener. Beeindruckt war ich von dem Großen Basar mit seinen langen, in verschiedene Richtungen verlaufenden Bogengängen, worin sich ein normaler Europäer gänzlich verirren kann. Die eigentliche Stadt ist fast dreieckig auf sieben Hügeln gebaut und besteht aus einem Gewirr von engen, winkeligen und stinkenden Gässchen mit meist elenden, fensterlosen Hütten, teils unterbrochen durch einen freien Platz oder ein größeres Gebäude. Ganz anders sieht es in Pera oder in Galata aus, denn beide Stadtteile sind doch mehr europäisch geprägt. Besonders imposant ist der fünfundvierzig Meter hohe und runde Turm in Galata, der als Signalpunkt dient und eine herrliche Aussicht über Konstantinopel und die Vorstädte bietet.

      Während ich mich hauptsächlich darauf beschränkte, die Stadt am Bosporus kennenzulernen, wurde ich Zeuge, wie ein Gefangener fortgeschafft wurde.5 Ich erinnere mich deshalb so genau an diese Begebenheit, weil dieser Mann schöne und feine, aber in ihrem Missklang doch so teuflische Züge6 hatte. Sein Blick, als wir uns nur einen kurzen Moment Auge in Auge gegenüberstanden, war forschend, scharf, stechend und förmlich durchbohrend.

      Kurz nach dieser Begegnung konnte ich einem türkischen Offizier namens Osman einen nicht unbeträchtlichen Dienst erweisen und es stellte sich dabei heraus, dass dieser früher Adolf Farkas hieß und ein ehemaliger ungarischer Offizier war. Wir wurden sozusagen Freunde und tranken gemeinsam so manche Tasse Kaffee und rauchten manchen Tschibuk miteinander.7 Er war es auch, der mir über einen Kammerdiener einen Ferman


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