Chronik eines Weltläufers. Hans Imgram

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Chronik eines Weltläufers - Hans Imgram


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Sandia, Old Death, Winnetou und ich, waren voran. Man erkannte von außen, an welcher Stelle sich der Eingang befand. Old Death trat als erster ein. Da fiel ein Schuss. Ich sah, wie sich der Scout mit beiden Händen an den Rahmen des Vorhangs krampfte, und sah zugleich mehrere Gewehre auf den Eingang gerichtet. Der Alte konnte sich nicht mehr aufrecht halten; er glitt zu Boden. „Schießt nicht!“, schrie ich auf. „Wir sind Freunde, Deutsche!“ Als die Leute des Lagers begriffen, dass wir keine Feinde, sondern Freunde waren, traten auch die beiden Langes ein, mit ihnen Sandia. Old Death war tot, gerade durchs Herz geschossen. Harton musste mir sagen, wie er entkommen sei. Außerdem galt es die nötigen Vorbereitungen zu treffen. So standen jetzt mehr als fünfzig Mann bereit, die Feinde zu erwarten, denen wir an Zahl gleich, an Waffen aber weit überlegen waren. Da kam einer der Leute, die wir vorgeschickt hatten. Er brachte zwei Weiße, die Señor Uhlmann ihre Aufwartung machen wollten. Dieser saß allein im Zelt, denn ich hatte mich mit den Langes, Winnetou und Harton in das Nebenabteil des Zeltes zurückgezogen. Da sah ich Gibson mit William Ohlert eintreten. Als sie saßen, trat ich aus meinem Versteck hervor; Harton folgte mir. Bei unserem Anblick fuhr Gibson auf. Ohlert saß wie gewöhnlich teilnahmslos da. Gibson aber fasste sich schnell. Er hatte sein Gewehr in der Hand und holte zum Kolbenhieb aus. Als ich ihn abwehrte, ging der Hieb zur Seite, der Kolben sauste nieder und traf den Kopf Ohlerts, der zusammenbrach. Im nächsten Augenblick drängten sich einige Arbeiter von hinten ins Zelt. Sie richteten ihre Gewehre auf Gibson. Ein Krach, und er stürzte, durch den Kopf getroffen, tot zu Boden. Als wäre der Schuss ein Zeichen gewesen, so erhob sich unweit des Zeltes wildes Indianergeheul. Als ich hinauskam, war das Gefecht schon entschieden. Die Feinde waren anders empfangen worden, als sie gedacht hatten. Die meisten von ihnen lagen tot oder verwundet am Boden. Die anderen flohen dem Ausgang zu.

      Harton hatte noch keine Ahnung, wer auf unserer Seite der einzige Tote des heutigen Abends war. Ich ging mit ihm hinaus ins Tal und teilte ihm mit, was er erfahren musste. Fred Harton weinte wie ein Kind. Er hatte seinen Bruder trotz allem stets geliebt, hatte ihm alles vergeben. Ich musste ihm alles erzählen, von meinem ersten Zusammentreffen mit dem Scout bis zum letzten Augenblick, da den Reuigen die Kugel traf, die nicht für ihn bestimmt war. Erst nach mehr als einer Stunde gingen wir zum Zelt zurück.

      Freitag, 13. Juli 1866:

      Am anderen Morgen wurde Old Deaths Sattel herbeigeholt und aufgeschnitten. Wir fanden eine Brieftasche. Der Tote hinterließ seinem Bruder Bankanweisungen in bedeutender Höhe, und, was die Hauptsache war, die ausführliche Beschreibung und den peinlich genau bezeichneten Plan einer Stelle in der Sonora, wo Old Death eine vielverheißende Bonanza entdeckt hatte. Wir begruben Old Death und errichteten ihm ein Grabmal mit einem Kreuz aus silberhaltigem Erz. Sein Bruder trat aus dem Dienst Uhlmanns, um sich in Chihuahua einige Zeit auszuruhen. Groß war das Glück, das Uhlmann und seine Frau über die Ankunft ihrer beiden Verwandten empfanden. Sie waren liebe, gastfreundliche Leute, denen dieses Glück zu gönnen war. – Ohlert lebte zwar, aber er wollte nicht aus seiner Betäubung erwachen. Ich wollte so lange warten, bis es sein Zustand erlaubte, ihn nach Chihuahua in die Pflege eines tüchtigen Arztes zu geben.

      Samstag, 14. Juli 1866:

      Winnetou beschloss, mit seinen zehn Apatschen heimzureiten, denn seiner harrten nach Abschluss des Kampfes mit den Komantschen noch die Verhandlungen, die zwischen beiden Stämmen den Frieden sichern sollten. Auch der Neger Hektor reiste ab.

      Samstag, 15. September 1866:

      Und zwei Monate später saß ich bei dem guten Ordensmann Benito von der Bruderschaft El bueno Pastor in Chihuahua. Ihm, dem berühmten Arzt der nördlichen Provinzen, hatte ich meinen Kranken gebracht, und es war ihm gelungen, ihn völlig herzustellen. Es war, als sei mit dem Kolbenhieb in Ohlert die unglückliche Zwangsvorstellung, ein wahnsinniger Dichter zu sein, erschlagen worden. Er war munter und wohlauf und sehnte sich nach seinem Vater. Er wusste noch nicht, dass ich meinen Auftraggeber erwartete. Ich hatte ihm nämlich einen Bericht geschickt und darauf die Nachricht erhalten, dass der Vater selbst kommen werde, seinen Sohn abzuholen. Nebenbei hatte ich bei Mr. Josy Tailor um meine Entlassung gebeten. Heute saßen wir nun wieder beisammen: der Pater, Ohlert, Harton und ich. Da ließ der Diener einen Herrn herein, bei dessen Anblick William einen Freudenschrei ausstieß: Es war sein Vater, der Bankier Ohlert aus New York. Da gingen wir anderen still hinaus.

      Ohlert brachte mir von Josy Tailor die erbetene Entlassung und den Gehaltsrest, dem der Bankier eine ansehnliche Sondervergütung beifügte.

      Sonntag, 16. September 1866:

      Jetzt hätte ich eigentlich mehr als genügend Mittel gehabt, um meine ursprüngliche Absicht, heimzukehren, endlich auszuführen. Aber ich sah ein neues Abenteuer winken, vor dem der Gedanke an die Heimat verblasste. Ich gab Fred Harton meine Zustimmung, ihn zu begleiten.

      Mitte Dezember 1866:

      Es kam auch jetzt wieder so, wie schon oft auf meinen Reisen: Ich blieb länger von zu Hause fort, als anfänglich mein Plan gewesen war. Es ist zu sagen, dass wir, allerdings unter großen Beschwerden und Gefahren, so glücklich waren, die von Old Death entdeckte Bonanza aufzufinden.

      Bei meinen weiteren Streifzügen durch die Sonora, das nordöstliche Gebiet Mexikos, lernte ich einen Südamerikaner aus den La-Plata-Staaten kennen, der sich Pena nannte. Wir hatten uns einander angeschlossen, hatten Freud und Leid miteinander geteilt und mancherlei Abenteuer miteinander gemeinsam bestanden2. Ich musste ihm bei unserer Trennung versprechen, ihn in Tucuman zu besuchen, falls ich einmal nach Argentinien kommen sollte.

      Samstag, 2. Februar 1867:

      Nicht ganz ungefährlich gestaltete sich mein Weg nach St. Louis zu Mr. Henry, wo ich meinen Bärentöter und den Henrystutzen abholen wollte. Ich hielt mich kurz am Rio Pecos bei den Mescaleros auf, ritt dann durch den Llano Estacado zur Oase von Bloody-Fox. Danach ging es weiter nach Nordost, wo ich teilweise die Bahn benutzen konnte, bis ich bei Mr. Henry in St. Louis war, bei dem ich heute ankam. Er hatte sich ja vor mehr als einem halben Jahr bereit erklärt, meine beiden Gewehre, die allzu auffällig und mir daher bei der Verfolgung von Gibson und Ohlert hinderlich waren, bis zu meiner mutmaßlichen Rückkehr von New Orleans aufzubewahren. Hätte ich damals freilich geahnt, welch unerwünschte Ausdehnung die Verfolgung annehmen würde, so hätte ich die Gewehre mitgenommen. Ich musste Mr. Henry versprechen, mich einige Zeit bei ihm von meinen Strapazen zu erholen, bis ich wieder nach Deutschland zurückkehren würde, was ich auch gerne tat.

      Donnerstag, 21. März 1867:

      Ich hatte mir vorgenommen, mich auf dem Weg nach New York ein wenig in den Oststaaten umzusehen, da ich hier, außer bei meiner ersten Nordamerika-Reise, fast kaum etwas von der Landschaft und von den Städten gesehen hatte. Bis auf eine Begebenheit, die mich leicht das Leben hätte kosten können, ist nicht viel davon zu berichten. Dieses eine Ereignis geschah, als ich einen Abstecher zum Kanawha machte, einem Nebenfluss des Ohio in West Virginia. Dort wurde ich Zeuge, wie ein Ölbohrturm explodierte und die in der Nähe stehenden Arbeiter mit in den Tod riss. Ich werde dieses furchtbare Ereignis nie vergessen, denn ich war in unmittelbarer Nähe, aber doch glücklicherweise noch so weit entfernt, dass ich mit dem Schrecken davonkam. Wann und wie das meterhoch senkrecht in der Luft stehende lodernde Feuer gelöscht wurde, erfuhr ich nicht mehr, denn da war ich schon aus dem Kanawhatal heraus. Ich setzte danach meine Reise über die Industriestadt Pittsburg und über Philadelphia, wo ich mich etwas länger aufhielt, fort. In New York besuchte ich als erstes das Bankhaus Ohlert, wo ich von Vater und Sohn Ohlert freudig begrüßt wurde. William Ohlert hatte sich in der kurzen Zeit, in der er offiziell als Juniorchef im Bankhaus tätig war, gut eingearbeitet, wie mir sein Vater bestätigte. Selbstverständlich wurde ich eingeladen, während meines New Yorker Aufenthalts in ihrem Haus zu wohnen und mich so zu fühlen, als ob ich hier daheim wäre. Nach kurzem Zögern nahm ich das Angebot dankend an und fühlte mich dort die ganze Zeit recht wohl. Ich nahm dann auch noch Verbindung zur ‚New Yorker Staatszeitung‘ auf, die die Berichte meiner letzten Erlebnisse freudig annahm, denn solche Artikel bekam sie nicht jeden Tag. Natürlich nannte ich darin William Ohlert nicht bei seinem richtigen Namen, sondern veränderte die Angelegenheit etwas, sodass niemand auf den Gedanken kommen konnte, dass damit ein Angehöriger des Bankhauses Ohlert gemeint sei. In zwei Tagen wird ein Dampfer den New Yorker Hafen in Richtung Hamburg verlassen, auf dem mir Mr. Ohlert, obwohl ich


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