Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz

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Wirklichkeiten - Kurd Lasswitz


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mein Bewußtsein nicht, der Gegensatz verliert hier seinen Sinn. Die Täuschung kommt von der doppelten Bedeutung des Wortes »Ich«. Denn mit Ich bezeichnet man zwar die Verbindung Seele-Leib, häufig aber bezeichnet man damit auch die Seele, d. h. die Einheit des Bewußtseins, allein, mit Ausschluß alles räumlichen Inhalts, also auch des Leibes. Trotzdem behält man gewohnheitsmäßig den Ausdruck Inneres bei, man spricht von unserer Innenwelt usw. und vergißt, daß es ein Äußeres wohl für den Leib, nicht aber für das Bewußtsein gibt; außer meinem Körper sind die anderen Körper, weil beide im Raum sind; außer meinem Bewußtsein aber ist nichts, was ich in einen räumlichen Gegensatz dazu bringen könnte, dieses »außer« kann dann nur bedeuten »ohne« mein Bewußtsein, und davon weiß ich natürlich nichts.

      Diesen unberechtigten Sprachgebrauch, das Bewußtsein als ein Inneres gegenüber der Körperwelt und diese als ein Äußeres zu bezeichnen, überträgt man nun auch auf die Natur. Dadurch entsteht eine neue Komplikation. Denn im wissenschaftlichen Sinne bedeutet ja Natur nur den gesetzmäßigen Zusammenhang der Vorgänge in Raum und Zeit. Soll nun diesem Zusammenhang auch ein eigenes Bewußtsein entsprechen, wie ich es an meinem Leibe kenne? Und ist vielleicht dieses Bewußtsein der Natur ihr »Inneres«? Also etwa die »Weltseele«? Es ist richtig, mein Leib ist ein Teil der Natur; mein individuelles Bewußtsein ist, darüber kann kein Zweifel bestehen, durchweg abhängig von dem Bau und der Entwickelung meines Leibes, von meiner Organisation, also auch von der Natur. An den Teil der Natur, welchen ich als meinen Leib kenne, finde ich Bewußtsein geknüpft, nämlich das meinige. Sicherlich kommt also wenigstens einem Teil der Natur ebenfalls Bewußtsein zu. Und dann entsteht die Frage, wie kann sich nun mein individuelles Bewußtsein noch von der Natur unterscheiden? Oder sind meine Vorstellungen und Gedanken doch etwas von der Natur ganz und gar Verschiedenes? Wenn sie das nicht wären, wie sollte ich da als Vernunftwesen die Freiheit meiner sittlichen Bestimmung besitzen? Ist nicht vielleicht hier, wo die Gesetzmäßigkeit der Natur und die Freiheit meiner Gedankenwelt konkurrieren, die geheimnisvolle Stelle, wo das Innere der Natur zu suchen ist?

      Gewiß liegt hier ein Hauptpunkt der Frage. Wie gelange ich zu der Natur, die ich erlebe? Bin ich selbst diese Natur, wie kommt es dann, daß ich sie doch als etwas anderes erkenne, als ich selbst bin? Wir stellen also das Problem: In welcher Beziehung steht die Natur zum individuellen Geiste?

      V.

      Objektiv und Subjektiv

      Natur und Geist! Notwendigkeit und Freiheit – das ist der Gegensatz, der uns bei dem Problem der Natur persönlich, für unsere Menschheitswürde, interessiert. Aber wir müssen ihn zunächst einmal beiseite lassen, um einen andern Gegensatz in den Vordergrund zu stellen, der auch darin steckt: Körper und Seele! Dieser betrifft das Interesse der Erkenntnis. Was bedeutet es, daß wir von Objekten sprechen, die von unserm Ich unabhängig sind, und die doch in der Gestalt von Vorstellungen unserm Ich angehören und unsere subjektive Welt bilden?

      Der Mond bewegt sich um die Erde, er existiert; dazu bin ich, nämlich mein individueller Geist nicht nötig. Der Mond kümmert sich nicht um mein individuelles Ich. Diesen Mond nennen wir einen objektiven Teil der Natur, einen Körper im Räume, und er ist es auch. Nun richte ich den Blick auf den Mond und ich sehe ihn; dazu ist der Mond nötig und ich auch, nämlich eine bestimmte, räumlich-zeitliche Gruppierung des Mondes und meines Ich. Diesen Mond, den ich sehe, nennen wir inbezug auf mein Ich eine Wahrnehmung. Drittens endlich, der Mond ist gar nicht zu sehen, ich denke aber an ihn, hierzu bin ich allein nötig; und nicht der Mond, nämlich nicht sein Vorhandensein in derselben Zeit. Diesen Mond nennen wir eine Vorstellung. Die beiden letzteren »Monde« heißen subjektive Erscheinungen, weil ich, d. h. mein Ich, zu ihrer Existenz erforderlich bin. Wodurch unterscheiden sich nun diese drei Monde?

      Den ersten braucht niemand zu sehen, den zweiten sehen viele zugleich, den dritten hab' ich für mich allein.

      Dies besagt nichts anders als: Der objektive Mond bringt Wirkungen hervor – oder, ganz allgemein zu sprechen, er hat Beziehungen, – auf welche ich nicht den geringsten Einfluß habe. Der wahrgenommene Mond kann solche Wirkungen nicht hervorbringen, insofern ich dabei nicht etwa wieder den objektiven Mond, sondern nur seine Beziehung auf mein Ich in Betracht nehme; die Existenz dieser subjektiven Beziehung ist zwar nicht allein von mir abhängig – denn der Mond muß für mein Auge erreichbar sein –, aber sie ist doch auch von mir selbst mit abhängig. Der vorgestellte Mond endlich ist, wenn ich davon absehe, daß ich allerdings den Mond früher einmal wahrgenommen haben muß, allein abhängig von den Zuständen, die ich unter dem Namen meines Ich zusammenfasse.

      Liegt die Sache nun so, wie man gewöhnlich annimmt, daß der objektive Mond zu meiner Vorstellung wird, indem er in irgend einer Form, als ein Abbild oder Zeichen seiner wirklichen Existenz, in mich hineintritt und seine physische Realität sich hier in die psychische, in meine Vorstellung verwandelt? Es mag hierbei das Wort Vorstellung in dem Sinne genommen werden, daß es die Wahrnehmung mit umfaßt; denn es handelt sich jetzt lediglich um den Gegensatz von Körper und Seele. Treten nun diese Vorstellungen der Dinge als eine neue Art des Seins neben ihre wirkliche Existenz, und liegt es hieran, daß der vorgestellte Mond nicht jene unabweisbare Aufdringlichkeit des Daseins besitzt wie ein wirklicher Gegenstand? Dann müßte sich also die räumliche Körperwelt, die Natur, in der Seele des Menschen in etwas Unräumliches, das Geistige, verwandeln, die Dinge müßten als Vorstellungen eine andere Art des Seins annehmen. Und dann entsteht die schwierige Frage, wie ist dies möglich? Wie können die physischen Wirkungen sich in psychische umsetzen wie kann aus der räumlichen Bewegung Empfindung und Vorstellung werden?

      Demgegenüber versuchen wir darzulegen, daß eine solche Umwandlung garnicht stattfindet. Die objektiven Dinge und die subjektiven Vorstellungen von ihnen unterscheiden sich nicht dadurch, daß die Dinge aufhören, etwas Körperliches zu sein, und eine andere Existenzform, die psychische, annehmen. Vielmehr handelt es sich in beiden Fällen um gesetzliche Beziehungen derselben Art. Der Vorgang ist dieser: Die gesetzlichen Verbindungen von Elementen, welche die Dinge im Raume darstellen, verändern sich durch die Aufnahme neuer Elemente und büßen dafür andere, ihnen eigentümliche Beziehungen ein, während sich gleichzeitig die spezielle Verbindung derjenigen Elemente ändert, die wir unser Ich nennen. Objektiv und subjektiv unterscheiden sich nur durch den Inhalt an Bestandteilen des Seienden.

      Wenn unsere Wahrnehmungen und Vorstellungen als etwas ganz anderes und Flüssigeres, Unbestimmteres erscheinen und es auch sind im Vergleich zu den objektiven Dingen, so ist es darum, weil der Inhalt, der sich in ihnen zu einer Einheit zusammenschließt, ein anderer ist. Es ist die Verbindung mit den zahllosen und wechselnden Veränderungen, die von allen Teilen der Welt in einem menschlichen Nervensystem und Gehirn zusammentreffen, wodurch die objektive Bestimmtheit des Dinges abgeändert wird; und es ist diese Abänderung durch die Beteiligung des Systems, das wir unser Ich nennen, die wir allein im Auge haben, wenn wir von unsrer Vorstellung gegenüber dem Dinge sprechen. Aber die Gesetzlichkeit, wodurch die Einheit der Dinge und die unsrer Vorstellungen entsteht, ist ein und dieselbe; beide bilden sich gleichzeitig, doch umfassen sie nur teilweise den gleichen Inhalt. Dies bedarf einer näheren Ausführung.

      Jenes Helle, Runde, das als Mond am Himmel steht, ingleichen das Helle, Runde, was ich als Mond wahrnehme oder vorstelle, ist ein und dasselbe. Wenn ich das erste objektiv nenne, so geschieht es, weil es in einer gesetzlichen Verbindung steht mit astronomisch bestimmbaren Bewegungen der Erde und der Sonne und hierdurch als ein kugelartiger Körper von der und der Größe und Beschaffenheit erkannt ist; und wenn ich das zweite subjektiv nenne, so geschieht es, weil es in einer gesetzlichen Verbindung steht mit gewissen physiologisch bestimmbaren Veränderungen meines Nervensystems, die ich als meine Empfindungen und Gefühle erlebe. Zu jener objektiven Verbindung gehört zwar ebenfalls die gesetzliche Beziehung auf Nervensysteme, aber nur, insofern sie gesetzmäßig bestimmbar ist als gleichartige Wirkung auf viele Nervensysteme. Will ich diese Beziehung hervorheben, so nenne ich den Mond einen objektiven Himmelskörper; will ich dagegen betonen, daß ich speziell eine Abänderung meines Nervensystems mit dem System Mond zusammen erlebe, so spreche ich von meiner subjektiven Vorstellung. Der Unterschied besteht nicht etwa darin, daß es sich beim Subjektiven um Empfindungen handele, beim Objektiven aber nicht; denn auch den objektiven Mond definieren wir nicht ohne


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