Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz

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Wirklichkeiten - Kurd Lasswitz


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endlich die Gemeinschaft des Gefühls in der Religion.

       Jede dieser Richtungen stellt sich dar als eine besondere Art der Wirklichkeit, oder besser, als eine besondere Form von Gesetzlichkeit, wodurch Verwirklichung von Erfahrung erzeugt wird. Auf diese Weise entstehen Natur, Sittlichkeit, Kunst als selbständige Realitäten, indem dasjenige, was sich uns als Weltprozeß enthüllt, sich nach eigenen Gesetzen gestaltet, nach Weisen der Bestimmung, die wir als Prinzipien der Verstandeserkenntnis, als die Idee der Freiheit und als die Idee der Zweckmäßigkeit bezeichnen. Wie ein jeder Mensch sein Erlebnis in der Form von Gedanken zusammenschließt, zugleich aber mit diesem Erlebnis ganz bestimmte Willensregungen verbindet und Gefühle der Lust und Unlust durchkostet, und wie sich Gedanken, Wille und Gefühle im einzelnen wohl widersprechen können, dabei aber der Mensch doch die ganze, sein Leben umfassende psychische Einheit bleibt, so erweist sich auch der Weltinhalt nach diesen drei Richtungen des Wahren, Guten und Schönen als Natur, Freiheit und Zweckmäßigkeit gegliedert, ohne deshalb in seiner Einheit zu zerfallen.

      Was uns in der täglichen Erfahrung entgegentritt, wird auf dem naiven, unwissenschaftlichen Standpunkte der Weltbetrachtung einfach für das »Wahre«, »Wirkliche«, »Seiende« für die Dinge selbst gehalten. Aber es ist keineswegs das Ursprüngliche, es ist vielmehr tatsächlich schon ein Produkt der Arbeit des Bewußtseins, der Abstraktion und Kombination. Der Unterschied zwischen der naiven und der philosophischen Auffassung besteht nun darin, daß letztere sich über die tatsächlichen Umformungen Rechenschaft zu geben sucht, die der Weltinhalt bei seiner Gestaltung zum subjektiven Erlebnis erleidet, um die möglichen Gattungen von Begriffen, Ereignissen, Realitäten zu unterscheiden und zu erkennen, daß es Grade und Arten der Wirklichkeit gibt. Die naive Auffassung dagegen kennt solche Unterschiede nicht, indem sie die tatsächlich verschiedenen Formen der Realität für ein und dieselbe ansieht und für das Wirkliche überhaupt hält. Auf diesem Standpunkt kann man daher nicht begreifen, wie z. B. neben der Realität, die die Naturvorgänge im Raume als Mechanismus bilden, noch die Realität der Willensfreiheit bestehen könne, ohne daß die eine die andere aufhebt oder stört. Das kommt daher, weil für die naive Auffassung die Welt eben nichts ist als die eine fertige Ordnung der Dinge, und damit ist ihre Weisheit zu Ende. Die Philosophie dagegen unterscheidet Werte der Realität, (logische, psychologische, theoretische, ethische, Gefühlswerte, Begehrungswerte) und grenzt diese als eigene Formen der Realität ab. Gelingt dies der Philosophie, so kann das praktische Leben alsdann bewußtermaßen diejenigen Werte bevorzugen, die je für die Gestaltung der Lebensrichtungen in Wissenschaft, Ethik, Kunst, Religion, Gesellschaft förderlich und vorteilhaft sind, d. h. es kann Realität bestimmter Art nach Kulturprinzipien schaffen. Das ist der eminente Kulturwert der Philosophie, daß sie die Formen des Daseins nach Rechten und Mitteln sondern lehrt.

      Auf dem kritischen Standpunkte sagen wir uns nun, daß die verschiedenen Realitäten auf der Art und Weise beruhen, wie der Weltinhalt in verschiedenen Formen zu Einheiten zusammengefaßt auftritt. Denn das ist doch offenbar die Voraussetzung für alles Sein überhaupt, daß es in Zusammenhängen besteht. Diese Zusammenhänge müssen aber zugleich die Bedingungen enthalten, unter denen sie im menschlichen Bewußtsein als Ordnung des Erlebnisses sich ausweisen. Wir können den Weltprozeß als solchen nur erkennen und überhaupt etwas von ihm aussagen, insofern sein Inhalt bereits zu Einheiten gestaltet ist, die sich auf unser Bewußtsein beziehen. Was das Seiende ohne unser Bewußtsein ist, bleibt eine Frage, die man offenbar nicht beantworten kann. Das, was wir das Seiende nennen, hat immer schon eine Beziehung auf die Gesetze, unter denen es sich für unser Bewußtsein gestaltet. Soweit eine solche Gestaltung nicht vollzogen ist, besteht überhaupt nur die unbekannte Bedingung zur Möglichkeit der Erfahrung, daß etwas sei. Über diese Bedingung selbst kann man nichts aussagen, sondern immer nur über die Formen, in denen sie in unserem Bewußtsein auftritt. Sie ist das große X, welches sich erst im gestalteten Erlebnis als Inhalt und Gesetz unseres Bewußtseins ausweist. Jenes X ist das, was Kant das Ding an sich nannte, es ist die bloß gedachte Gesamtheit dessen, was noch wirklicher Weltinhalt werden kann und das sich am besten bezeichnen läßt als eine unendliche Aufgabe für die Menschheit, es zum Erlebnis zu gestalten. Es ist das ewig Bestimmbare, das sich für unser Bewußtsein als Weltinhalt bestimmt, und zwar durch Gesetze, die zugleich die Gesetze des Bewußtseins sind. Damit ist schon gesagt, daß diese Bestimmung sich nicht etwa nach willkürlichen, subjektiven Anordnungen vollzieht, sondern daß sie die objektive Ordnung selbst ist, der auch das subjektive Bewußtsein unterliegt, daß aber diese Ordnung als realer Weltinhalt zugleich mit seiner Realität im Bewußtsein gegeben ist.

      So erklärt es sich, daß entsprechend den Richtungen unserer psychologischen Tätigkeit im Denken, Wollen und Fühlen auch drei Hauptrichtungen in der gesetzlichen Gestaltung des Weltinhalts als Natur, Sittlichkeit und Kunst sich unterscheiden lassen. Nicht etwa, daß die subjektiven Vorgänge jene objektiven Realitäten des Welt- und Kulturprozesses hervorbrächten und bedingten; sondern indem jene objektiven Realitäten sich vollziehen, bildet der gesetzliche Zusammenhang, durch den sie selbst bedingt sind, auch zugleich die Bedingung für den subjektiven Zusammenhang im Bewußtsein. Und dies ist das Große an der kritischen Auffassung, daß sie die Möglichkeit nachweist, wie jene Realitätsgebiete, Natur, Sittlichkeit, Kunst, neben einander ohne Widerspruch bestehen können. Dies können sie darum, weil sie ein und dasselbe Bestimmbare – noch nicht Bestimmte – nur in verschiedenen Formen der Bestimmtheit darstellen. Sie sind Realisierungen ein und desselben Weltinhalts unter verschiedenen Richtungen des Bewußtseins. Natur, Sittlichkeit und Kunst sind nicht getrennte Welten, sondern sie sind ein und dieselbe Welt in verschiedenen Gestaltungsgesetzen. Damit ist nicht etwa gemeint, daß sie den Weltinhalt darstellten nur unter verschiedenen Standpunkten betrachtet, – denn das wäre ein subjektives Spiel und kann uns höchstens als Bild dienen – sondern es ist gemeint, daß wir es wirklich mit drei realen Arten der Gesetzesform zu tun haben, deren Einheit durch die Einheit des Bewußtseins in der Persönlichkeit gewährleistet ist. Dieser Punkt, die Einheit der Weltrealitäten, wird uns noch weiter zu beschäftigen haben. Zunächst betrachten wir die einzelnen Arten, in denen der Weltinhalt sich realisiert.

      Die erste Stufe der Realität ist das Leben selbst, d. h. jene Mannigfaltigkeit des alltäglichen Erlebnisses, wie sie dem Bewußtsein als die Fülle des Daseins ohne systematische Reflexionen sich aufdrängt. Das allgemeine Gesetz, unter dem diese Realität steht, ist die Ordnung im Nacheinander der Zeit und der Zusammenschluß zum Erlebnis räumlich getrennter Individuen. Das Leben spielt sich ab in der persönlichen Erfahrung der einzelnen, und die Bedingung, daß solche Einzelwesen gleichzeitig nebeneinander existieren können, nennen wir den Raum. Raum und Zeit sind die allgemeinen Bedingungen dafür, daß die subjektive Ordnung des Erlebnisses der einzelnen bewußten Wesen zugleich als objektive Ordnung von Körpern bestimmbar ist. Alles, was uns in Raum und Zeit umgibt, unsere Sinne reizt, unser Gefühl beherrscht, unsere Willenstriebe erregt, unsere Lebensenergie ausmacht, ist schon durch die Einheit des Bewußtseins geordnetes Erlebnis und als solches objektiv. Aber es ist kein reiner Bewußtseinsgehalt, d. h. kein Weltinhalt, der in reiner, einseitig gesetzlicher Weise realisiert wäre, sondern alle Richtungen des Bewußtseins wirken in ihm zusammen. Dieser Weltinhalt heißt das Leben, und diejenige Einheit, in der er sich als Erlebnis realisiert, heißt ein individueller Geist.

      Aus dem Leben sondert sich die Natur im wissenschaftlichen Sinne als eine Realität besonderer Art. Es fällt vielleicht auf, daß wir die Natur auch als eine Richtung der Kultur erklären, während sie doch gewöhnlich gerade als Gegensatz zur Kultur aufgefaßt wird. Wir verweisen zur Erläuterung auf das, was wir im vierten Aufsatze über den Doppelsinn des Wortes Natur gesagt haben. Wenn wir von der Natur als einer reinen Kulturrichtung sprechen, so meinen wir damit nicht jenes unbestimmte Etwas des Weltgeschehens überhaupt, sondern wir verstehen darunter die Natur im wissenschaftlichen Sinne, den Inhalt der Naturwissenschaft, den erkennbaren, nach dem Gesetze der Notwendigkeit sich vollziehenden Naturlauf. Nicht der Sturmwind, der unser Schiff zerschmettert, nicht die Sterne, die über unserm Haupte leuchten, sind Natur in unserm Sinne als Teile der Kultur, sondern objektive Natur sind an diesen Erlebnissen nur die atmosphärische Bewegung, insofern sie sich nach mechanischen Gesetzen vollzieht, der nach mathematischer Ordnung stattfindende Lauf der Gestirne und die Ausbreitung der Ätherwellen. Und nur dieses Produkt der Naturwissenschaft ist es ja, welches zum Gegensatz von Notwendigkeit und Freiheit führt. Das Naturgesetz, demzufolge


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