Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz

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Wirklichkeiten - Kurd Lasswitz


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Innern hinausführt und die Objektivität des Gedachten ausdrückt. Wenn man dies berücksichtigt, so wird es möglich, nunmehr trotz der rein subjektiven Form unserer Wahrnehmungen die Existenz objektiver Ordnungen zu erklären.

      Schon die Sätze der Logik und Mathematik, dann die Regelmäßigkeit der Naturerscheinungen, die Gebote der Moral, die Formen des Schönen sind zweifellose Beweise von der Existenz allgemeingültiger Ordnungen. Es gibt also subjektive Vorstellungsgebilde, die allen Subjekten in gleicher Weise zukommen und die man deshalb als objektiv bezeichnet. Wenn dies aber der Fall ist, so gibt es gemeinschaftliche Gesetze für die Subjekte, und die Gesetze, die demnach den Subjekten übergeordnet sind, stellen den objektiven Weltinhalt dar. In dieser Fassung wird somit ausdrücklich die Existenz objektiver, vom Subjekt unabhängiger Bestimmungen anerkannt, und zwar mit der Einsicht, daß diese Bestimmungen zugleich einen psychologischen Sinn haben, insofern Subjekte vorhanden sind, für die sie gelten. Denn ihre Allgemeinheit und objektive Realität besteht ja eben darin, daß sie etwas über das Verhalten der Subjekte festsetzen, daß nämlich unter gegebenen Umständen in allen Subjekten dieselbe Vorstellungsverbindung stattfinden muß. Sie bedeuten also ganz dasselbe, was nach realistischer Ausdrucksweise die Ordnung der Dinge ist.

      Was heißt es denn, wenn wir sagen: »hier ist ein Veilchen«, und wenn wir dabei meinen, daß hier unabhängig von allem Bewußtsein ein Ding gegeben ist? Doch nur, daß hier etwas ist, wodurch jedes Subjekt zu der Wahrnehmung eines Veilchens und aller damit verbundenen Wirkungen gezwungen ist. Dies heißt also, hier ist eine objektive Bestimmung, die für alle Subjekte verbindlich ist, ein Veilchen wahrzunehmen, und das ist eben der Gegenstand »Veilchen«. Man kann also ganz wie der naive Realist sagen: »Dieses Veilchen ist ein objektives Ding«. Man denkt dabei nur etwas mit, woran das naive Bewußtsein nicht denkt, weil es eben die Folgen seiner Aussage nicht erwägt; man denkt nämlich zugleich mit, daß Dinge, wenn man von ihnen redet, doch immer von irgend jemand vorgestellt werden müssen: man denkt die vorstellenden Subjekte zugleich mit. Denn ohne diese hat es gar keinen Sinn, von einem Veilchen zu sprechen, weil ein Veilchen ein bestimmter Komplex von Farben, Widerstandsempfindungen, Gerüchen, von räumlich und zeitlich bestimmten Anschauungen, von Begriffen über seine Entstehung, seine Wirkungen, endlich von Gefühlen und Strebungen ist, und weil die Anschauung aller dieser Eigenschaften, sowie ihre Verbindung zum einheitlichen Gedanken eines Veilchens, doch nirgend anders vollzogen wird als in der Vorstellung eines bewußten Wesens. Es wird wenigstens niemand imstande sein, zu sagen, was ein Veilchen sei, außer durch Angabe von lauter Tatsachen, die in irgend einem Subjekt vorgestellt werden. Nur folgt daraus nicht, daß das Veilchen nur im Subjekt sei – dann wäre es bloß subjektiv und vielleicht Schein; es folgt nur, daß es nicht ohne ein Subjekt bestimmt werden kann. Es ist unabhängig vom Subjekt, es ist objektiv; aber diese Objektivität besteht darin, daß es die Bedingung ist für die Übereinstimmung der Subjekte inbezug auf die im Gegenstand »Veilchen« gesetzte Einheit von Vorstellungen. »Es gibt eine Ordnung der Dinge« bedeutet also nichts anderes als »Es gibt Bedingungen für die Übereinstimmung der Subjekte«. Dies sind die Objekte.

      Man darf sich nicht daran stoßen, daß die Form des Seins, die wir als subjektiv an unsern Vorstellungen kennen, nun als die allgemeine Form alles Zusammenhangs auftritt, wodurch es scheinen könnte, als käme somit jenen objektiven Ordnungen dieselbe Unbestimmtheit zu wie den subjektiven. Wir haben nur keine Möglichkeit, eine andere Form der Einheit zu denken, als sie die psychischen Mittel unseres eigenen Bewußtseins liefern, aber eben die diesen anhaftende Unbestimmtheit schließen wir aus, indem wir Gesetze eines den Subjekten übergeordneten Systems voraussetzen. Wir würden sonst von den Vorstellungen niemals zu den Gesetzen der Gegenstände kommen; denn wer sagte uns, daß das, was ich hier Veilchen nenne, dasselbe ist, was sich mein Nachbar vorstellt? Phantasie und Wirklichkeit wären überhaupt nicht zu unterscheiden, wenn die Bedingungen zur Bildung von Vorstellungen und Begriffen von Gegenständen nur im Subjekt lägen. Dann wäre alle Erkenntnis unmöglich, denn Erkenntnis setzt gerade voraus, daß es etwas gibt, worin die Subjekte übereinstimmen. Und dies kann nicht in den Subjekten allein liegen, weil man nicht einsieht, warum sich dann in ihnen allen dieselbe Vorstellungsverknüpfung vollziehen soll. Diese Übereinstimmung muß vielmehr den Subjekten aufgezwungen werden durch etwas, was nicht aus ihnen selbst entspringt, nämlich durch Gesetze, die den Subjekten übergeordnet sind und es bedingen, daß sie gesetzmäßige Anschauungen und Begriffe von Gegenständen haben. Diese Gesetze sind das Objektive; aber ihren Sinn erfahren wir in den Subjekten.

      Wir haben nunmehr einen großen Vorteil gewonnen, indem wir die Objekte nicht als eine Ordnung fertiger Dinge definieren, sondern als Bestimmungen, wodurch Dinge gesetzmäßig vorgestellt werden müssen.

      Zunächst löst sich die Frage, wie es möglich ist, daß es eine Ordnung der Vorstellungen in den Subjekten – die Erkenntnis – gibt, welche die Ordnung der Objekte bedeutet. Denn jetzt handelt es sich ja nicht mehr, wie beim naiven Realismus, darum, daß eine fertige Welt von Dingen, die an sich existieren, in das Bewußtsein der wahrnehmenden Wesen eintritt, sondern die Ordnung der Vorstellungen von den Dingen ist mit den Dingen selbst schon gesetzt. Dasselbe Gesetz, das ausspricht, daß hier ein objektives Ding, ein Veilchen, ist, spricht auch aus, daß dieses als die Bedingung für die Verbindung der Vorstellungen zur Wahrnehmung eines Veilchens gegeben ist. Es braucht garnicht erst etwas in die Subjekte hineinzukommen, um die Vorstellung des Veilchens zu erzeugen, weil der subjektive Vorgang die psychologische Erscheinungsform des Objektes selbst ist. Wir haben nicht nötig, Objekt und Subjekt künstlich zu verbinden, wenn wir uns klar gemacht haben, daß Objekt und Subjekt überhaupt gar nicht getrennt denkbar sind. Es ist dieselbe Einheit, die Eigenschaften und Wirkungen gesetzlich im Objekt verbindet, die auch die Vorstellungen im Subjekt zum Begriff des Gegenstandes notwendig zusammenschließt. In diesem Sinne kann man sagen, daß der Begriff den Gegenstand schafft, wie man auch sagen kann, daß der Gegenstand den Begriff hervorruft, weil nämlich beide, Gegenstand und Begriff, ein und dasselbe sind – nämlich das Gesetz des Daseins; und dieses Gesetz wird nur verschieden bezeichnet, je nach dem Standpunkte, von welchem aus man es betrachtet. Geht man davon aus, daß es objektive Ordnungen gibt, die unser Denken bestimmen, so nennt man das Gesetz oder die Einheit des Seienden den »Gegenstand«: geht man davon aus, daß alles, was wir erfahren, irgendwie vorgestellt werden muß, so nennt man das Gesetz, das die Einheit der Vorstellungen ausdrückt, den »Begriff«.

      Wir haben weiterhin gesehen, daß es gar keine Dinge gibt im Sinne fertiger Weltgestalten, die sich in Vorstellungen umsetzen, sondern daß es Gesetze für Vorstellungen gibt, die sich in den Subjekten vollziehen, Einheiten der Bestimmung, durch die erst die Gegenstände der Erkenntnis mit unseren Begriffen zugleich erzeugt werden. Man könnte auch folgende Ausdrucksweise versuchen: Inwieweit der Gesamtzustand der menschlichen Gehirne psychisch eine theoretische Einstimmigkeit bedeutet, nicht in bezug auf Gefühl und Willen, sondern nur auf das Logisch-Zwingende in der Bestimmung der räumlich-zeitlichen Veränderungen, insoweit ist Naturerkenntnis vorhanden. Dieser Zustand ist eben der augenblickliche Zustand der Natur im wissenschaftlichen Sinne. Zum Bewußtsein kommt er uns in der Form des Denkens und ist das Mittel, aus der Unbestimmtheit des Subjektiven Natur als Begriff und Objekt abzusondern.

      *

      Unsere Denkformen sind jedoch nicht die einzigen Einheiten, in denen sich die Übereinstimmung der Subjekte als ein gesetzlicher Zusammenhang ausspricht. Es kann also sehr wohl verschiedene Arten geben, in denen gesetzliche Einheiten erzeugt werden – die Vorstellungen können nach verschiedenen, gesetzlich bedingten Grundsätzen sich zu Verbindungen zusammenschließen, von denen die Erscheinungen der Natur unter dem Gesetze der Notwendigkeit nur eine der wirklich vollziehbaren ist. Welche andere Arten bedingen ebenfalls Übereinstimmung von Subjekten? Welche Wirklichkeiten gibt es noch?

      Als das umfassendste, allerdings auch als das unbestimmteste solcher Gebiete tritt uns zunächst das Leben selbst entgegen; wir meinen damit den gesamten Lebensinhalt, den man, wie früher dargelegt, auch in einem allgemeinen Sinn schlechthin als Natur bezeichnet, das Zusammenwirken alles Seienden, wie es sich in der Entwicklung der lebenden Wesen und der menschlichen Gesellschaft, sowie im Erlebnis und den Erfahrungen des einzelnen überhaupt offenbart. Aus diesem allgemeinen Gebiete treten nun besondere Richtungen hervor, die durch Tatsachen der Kultur ausgezeichnet sind. Es ist dies außer der theoretischen Erkenntnis


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