Seewölfe Paket 35. Fred McMason
Читать онлайн книгу.und Chandra Muzaffar sein. Die beiden waren Fanatiker, die bedenkenlos über Leichen gingen, um an ihr Ziel zu gelangen.
Sie hockten in einer schäbigen Hütte in der Nähe von Tuticorin an dem übelriechenden und moskitoverseuchten Nebenarm eines kleinen Flusses, der in den Golf von Mannar mündete.
An diesem Morgen war es unerträglich heiß und schwül. Über dem kleinen Fluß stand die Luft wie eine Mauer. Myriaden winziger Stechmücken schwebten über dem braunen Wasser.
Nasir ud-daula war ein graubärtiger Inder, der sich auf die Kunst des Tätowierens verstand. Vor ein paar Tagen hatte er Malindi Ramas Schädel kahlgeschoren und eine Karte darauf tätowiert, die die Tempelanlage von Kandy zeigte.
„Laß sehen“, sagte Nasir und beugte sich über Malindi. Er betrachtete die Karte und nickte zufrieden vor sich hin. Die winzigen Wunden waren verheilt, und auf der Tätowierung sprossen wieder dunkle Haare.
Schon in ein paar Tagen würde die Zeichnung nicht mehr zu sehen sein, die Haare bedeckten sie dann vollständig.
„Ja, das sieht gut aus“, sagte er. „Natürlich wirst du mit Chandra noch ein paar Tage hierbleiben müssen, aber wir haben Zeit, außerdem muß alles sorgfältig geplant sein. Es wird eine lange und sehr beschwerliche Reise, die mit allerlei Gefahren verbunden ist. Aber ihr seid ja zu zweit und werdet es schon schaffen.“
Die anderen Inder, die sich noch in der Hütte aufhielten, blickten auch noch einmal auf die Karte.
Sie war ein kompliziertes Werk und sehr sorgfältig und genau gearbeitet. Es gab nicht viele, die den genauen Ort des Tempels kannten. Nur wenige Eingeweihte wußten, wo er lag.
Die Fanatiker hatten es auf den größten Schatz der Singhalesen abgesehen, eine heilige Reliquie. Es war der Weisheitszahn Buddhas, das einmalige Heiligtum, das im Tempel des Zahns, dem Dalada Maligawa, aufbewahrt und von Priestern und anderen heiligen Männern scharf bewacht wurde.
Fiel diese Reliquie in die Hände der Fanatiker, dann bedeutete das Krieg und blutige Fehden, denn die Singhalesen würden diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen.
Bei dem Gedanken an ein blutiges Gemetzel grinste der alte Inder jedoch nur. Sein ganzes Leben lang hatte er daran geplant und gearbeitet, um diesen Weisheitszahn sein eigen nennen zu können, und es hatte viele Jahre gedauert, bis er das Versteck kannte.
Aber er selbst war den Strapazen nicht mehr gewachsen, er war zu alt, um den langen und gefährlichen Marsch ins Landesinnere von Ceylon antreten zu können.
„Anhand dieser Karte werdet ihr euch zurechtfinden“, sagte er. „Niemand wird das Geheimnis erfahren, nur ihr kennt es und ein paar Eingeweihte. Ihr kennt jetzt auch den Weg, und wenn ihr ihn verfehlt, dann könnt ihr euch an der Karte orientieren. Solltest du, Chandra, durch ein unergründliches Geschick dein Leben verlieren, dann wird Malindi allein weitergehen. Du brauchst nur in die stillen Wasser eines Sees zu blicken, und schon hast du die Orientierung wieder, denn die Karte wird sich im Wasser spiegeln. Sie ist dann seitenverkehrt, aber das weißt du ja.“
Malindi nickte ergeben. „Es sei, wie du sagst, großer Subedar.“
Nasir ud-daula ließ die respektvolle Anrede widerspruchslos über sich ergehen und lächelte unergründlich. Er war schon seit undenklichen Zeiten kein großer Subedar mehr, seit ihn die Singhalesen von diesem Verwalterposten entfernt hatten. Aber die Anrede gefiel ihm, und seine Anhänger hatten sie beibehalten, denn sie hatten alle großen Respekt vor seinem Wissen.
„Du weißt auch, mein Sohn, was geschieht, wenn dich unterwegs das unergründliche Schicksal ereilt.“
Malindi wußte das, es war ihm oft genug erklärt worden, und es störte ihn nicht im geringsten.
„Dann wird mir Chandra die Kopfhaut abschneiden, sie in der Sonne trocknen lassen und sie auf eine kleine Trommel spannen, wenn sie dünn wie Papyrus geworden ist.“
„Du wirst davon nichts mehr spüren, mein Sohn. Denke immer daran, daß die Reliquie wichtiger ist als euer Leben, das ihr aber trotzdem nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürft. Einer von euch muß mit dem Weisheitszahn des Erleuchteten wieder zurückkehren.“
„Wir versprechen es, großer Subedar“, sagten die beiden feierlich.
„Wir bringen das Heiligtum zurück, es ist unser größter Schatz.“
„Noch ist es der größte Schatz der Singhalesen“, berichtigte der bärtige Mann nachsichtig lächelnd. „Ich habe viele Jahre damit verbracht, herauszufinden, wo man ihn verwahrt. Sie hüten das Geheimnis und geben es nicht preis, auch um ihr Leben nicht. Und noch etwas: Ihr werdet auf den heiligen Kandy-See stoßen, aber meidet seine Fluten. In ihnen lauern die gefräßigen Räuber, die die Priester dort ausgesetzt haben. Widersteht der Versuchung auf ein kühles Bad. Die Krokodile würden euch zerfleischen.“
Sie wußten alles, der große Subedar hatte es ihnen unzählige Male erklärt, aber er erinnerte sie immer wieder daran.
Nasir ud-daula vertraute ihnen seit Jahren, und nie wäre er auf die Idee verfallen, daß einer abtrünnig werden könnte.
Doch so war es, ohne daß er es ahnte. In Malindi Rama hatte sich der Gedanke festgesetzt, diese Reliquie für sich allein zu stehlen, ohne sie dem großen Subedar zu bringen. Wer den Weisheitszahn Buddhas besaß, der würde ins Nirwana eingehen und der glücklichste Mensch auf dieser Erde werden.
Der Gedanke daran war so überwältigend, daß Malindi von einem Schauer überrieselt wurde, der ihn zittern ließ und der durch alle Fasern seines Körpers drang.
Unbewußt schlugen seine Zähne wie im Fieber aufeinander. Es war wie ein wilder Rausch, der ihn erfaßte.
Dem großen Subedar entging die Veränderung nicht, aber er legte sie falsch aus und zweifelte nicht an der Ehrlichkeit Malindis.
„Was fehlt dir, mein Sohn?“ fragte er besorgt. „Dich wird doch nicht das tückische Fieber befallen haben?“
„Nein, großer Subedar“, antwortete Malindi keuchend. „Es ist der bloße Gedanke an dieses Heiligtum, der mich zittern läßt. Ich kann den Tag kaum erwarten. Es wird viel Aufregung geben.“
„Ja, es wird sehr viel Ärger und Aufregung geben, Malindi. Viel mehr als du ahnst. Die Insel wird in Aufruhr geraten, und der Aufruhr wird auch das Festland erschüttern. Man wird in Anuradhapuraya den heiligen Bo-Baum befragen, unter dem Buddha seine Erleuchtung fand, und die heiligen Männer werden ausschwärmen, um den Frevel zu sühnen. Wahrscheinlich wird es ein furchtbares Blutbad geben, Aufstände, Krieg und Leid. Aber das alles ist nichts, um in den Besitz dieser einmaligen Kostbarkeit zu gelangen. Und ihr beide seid dazu ausersehen, ganz Indien zu erschüttern.“
„Dieser Gedanke läßt auch mich wohlig erzittern, großer Subedar“, sagte Chandra Muzaffar.
Er war ein mittelgroßer Mann mit schwarzen, enganliegenden Haaren und wilden, fanatischen Augen, die wie Kohlestückchen glühen konnten.
Malindi war dagegen fast unglaublich dürr. Er hatte vorher lange, schwarze und fettige Haare gehabt. Jetzt ähnelte er einem ausgemergelten, fanatischen Wanderasket, dessen Blicke wie Dolche brannten. Er war etwa zehn Jahre älter als Chandra Muzaffar, aber hinterhältig und tückisch.
„Wir haben die letzten Einzelheiten noch nicht festgelegt, großer Subedar“, sagte Malindi nach einer Weile, in der sie schwiegen und nur das Summen der Mücken zu hören war. „Und das Boot haben wir auch noch nicht gesehen. An welchem Tag soll es losgehen?“
„Das Boot liegt bereit und ist längst besorgt. Ihr werdet Wasser, Reis, Melonen, getrocknete Fische und Bananen als Proviant mitnehmen, und ihr werdet euch immer als Fischer ausgeben. Das wird auch gleichzeitig euren Speiseplan bereichern, denn fischen müßt ihr selbst. Für Fische, Muscheln, Krebse und Garnelen müßt ihr selbst sorgen. Eure Reise beginnt dann, wenn deine Haare so weit nachgewachsen sind, daß man die Karte nicht mehr sieht, Malindi. Das wird bei deinem dichten Haar in etwa einer Woche der Fall sein.“
„Und wie werden wir uns orientieren?“