Seewölfe Paket 35. Fred McMason
Читать онлайн книгу.möglich war, schienen obskurer Herkunft zu sein. Vielleicht stammten sie aus spanischen oder portugiesischen Gießereien. Auch ein holländisches Schiff war als unfreiwilliger Waffenlieferant nicht auszuschließen.
„Welche Waren?“ fragte der kahlköpfige Anführer der Piraten schroff und schon zum zweitenmal. In Gedanken, versunken, hatte ich nicht darauf geachtet.
Der Tonfall verriet, daß seine Geduld zu Ende war. Ich mußte irgend etwas sagen, um ihn zufriedenzustellen.
„Die Schebecke hat Tauschwaren aus England geladen. Sie segelt nach Madras, um Gewürze und edle Hölzer einzuhandeln.“
In meiner Aufregung hatte ich englisch gesprochen. Der Kahlkopf verstand mich nicht.
„Madras?“ wiederholte er lediglich.
Ich nickte. Daraufhin musterte er mich noch einmal verächtlich, wandte sich um und ging nach achtern.
Sollte ich noch versuchen, über Bord zu springen? Oder standen meine Chancen besser, wenn ich darauf wartete, daß die Piraten die Schebecke angriffen?
Ich zögerte zu lange. Zwei Inder stießen mich unter Deck und sperrten mich in einen engen, stinkenden Raum, in dem ich nicht mal die Hand vor Augen sah. Wasser tropfte von den Wänden und sammelte sich in Pfützen auf dem unebenen Boden.
Außerdem war ich nicht allein.
Als etwas Warmes, Weiches meine Beine berührte, trat ich sofort zu. Das Vieh wurde gegen das Schott geschleudert, quietschte schrill und griff wieder an. Offenbar waren seine Augen weit besser als meine, die sich nur langsam an die Dunkelheit gewöhnten.
Zwei hungrige Ratten teilten mit mir das Gefängnis, und ich hatte nicht mal einen Dolch, um ihnen zu beweisen, wer der Stärkere war.
Als ich damals, nach dem Untergang der „Seawind“, gerettet wurde, hatte ich es weitaus besser getroffen …
5.
März 1598.
„… er ist fast noch ein halbes Kind.“ Die Stimme, die das sagte, klang zwar bärbeißig, entbehrte aber keineswegs eines sympathischen Untertons. Wahrscheinlich hätte ich in dem Moment jede menschliche Stimme als angenehm empfunden.
Ich befand mich in einem eigenartigen Zustand zwischen Wachen und Ohnmacht, unfähig, mich zu artikulieren, doch keineswegs von allen Wahrnehmungen ausgeschlossen.
Starke Arme hoben mich hoch.
Für einen winzigen Moment gelang es mir, die Augen zu öffnen. Ich sah nur blendende Helligkeit und, falls der Eindruck nicht trog, ein rotbraunes Lateinersegel im Hintergrund.
„Ist er tot?“ fragte eine zweite Stimme aus der Höhe, wahrscheinlich von Bord des Schiffes. Sie klang merkwürdig hell.
„Der Junge lebt noch. Er atmet flach, und eben hatte er die Augen offen.“
„Wer mag er wohl sein?“
„Wenn Gott will, Cynthia, erfahren wir es von ihm.“
„Und wenn nicht, Dad?“
Der Mann trug mich eine Jakobsleiter hinauf. Ich merkte es an der Bewegung. Andere hilfreiche Hände griffen zu, hoben mich über die Verschanzung und legten mich auf die Decksplanken.
Jemand wischte mir das Haar aus der Stirn. Das mußte Cynthia sein, der Stimme nach zu schließen ein junges Mädchen.
„Er ist nur noch Haut und Knochen, und seine Wunden eitern.“
„Wer weiß, wie lange er schon auf der Gräting treibt. Wahrscheinlich hat er seit Tagen nichts zu sich genommen.“
Ich fror, obwohl mir jemand die nassen Plünnen auszog, mich kräftig abrubbelte und anschließend in Wolldecken hüllte. Die Kälte drang aus meinem Inneren, sie ließ sich nicht so einfach vertreiben.
Plötzlich klangen alle Geräusche unsagbar weit entfernt.
Dann war nichts mehr.
Bei meinen nächsten Erwachen spürte ich ein feuchtes Tuch auf der Stirn. Die Berührung war überaus angenehm.
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, fiel ich erneut in einen unruhigen Dämmerzustand, in dem mir Alpträume zusetzten. Später sagte mir Cynthia, daß ich den Tag, die darauffolgende Nacht und sogar noch bis weit in den nächsten Tag hinein geschlafen hätte. Zum Ende hin war mein Schlaf jedoch unruhig geworden, und ich hatte häufig um mich geschlagen und geschrien. Damit ich mich nicht verletzte, wurde ich zeitweise auf der Koje festgebunden.
Als ich endlich die Augen aufschlug, schwebte ein engelsgleiches Geschöpf über mir. Helle Locken von der Farbe reifen Sommerweizens umrahmten zwei strahlend blaue Augen.
„Geht es dir besser?“ fragte sie.
Ich konnte nichts sagen und nur nicken. Daraufhin setzte mir Cynthia vorsichtig einen Becher an die Lippen und gab mir zu trinken. Ich verschluckte mich und mußte husten.
„Nicht so hastig. Das ist warme Ziegenmilch.“
Was sie sagte, wirkte beruhigend, und die Milch tat unbeschreiblich gut. Nach einer Weile fühlte ich mich wieder stark genug zum Aufstehen, doch Cynthia drückte mich auf die Koje zurück. Sie war bestimmt fünf oder sechs Jahre älter als ich und erstaunlich kräftig.
„Wer ist Masterson?“ fragte sie überraschend. Ich muß wohl ein ziemlich dummes Gesicht gezogen haben, denn sie lachte glockenhell. „Wenn du dich sehen könntest!“
Ich reagierte vor allem erschrocken.
„Woher kennst du den Namen?“
„Du hast im Fieber ununterbrochen geredet. Wir fürchteten schon, daß du sterben würdest, aber wie es aussieht, bist du endlich über den Berg.“
Sie erinnerte mich an Mutter, die immer genauso dagesessen und meine Hand gehalten hatte. Deshalb erzählte ich ihr von der „Seawind“ und wie es mich zur Seefahrt verschlagen hatte. Cynthia war eine aufmerksame Zuhörerin.
Als ich die Sprache auf die Haie brachte, die meine Gräting belauert hatten, sagte sie plötzlich: „Mein Gott, wir reden und reden, und ich weiß noch nicht mal deinen Namen, nur daß du aus London stammst.“
„Clinton Wingfield“, sagte ich, „meine Freunde nennen mich Clint.“
Warum ihre Wangen in dem Moment eine tiefrote Farbe annahmen, verstand ich damals noch nicht. Später versprach ich zwar, sie in ihrer Heimatstadt zu besuchen, doch inzwischen trennen uns schon wieder Ozeane.
Mit vollem Namen hieß sie Cynthia Elizabeth Mayfield. Sie stammte aus Brighton, einer Hafenstadt in Sussex, und sie hatte ihren Vater und ihren Onkel, der übrigens der Kapitän des Schiffes war, auf einer Reise in den Golf von Guinea begleitet. Mein Glück war gewesen, daß die „Good Luck“ eine Woche früher als geplant wieder auf Heimatkurs lag.
Cynthia kümmerte sich rührend um mich und mir schien, daß sie eine Aufgabe gefunden hatte, die sie erfüllte. Sie brachte mir zu essen und verband meine immer noch schwärenden Wunden. Und sie erzählte mir, wie wunderschön die See sei. Stürme schienen sie nicht weiter zu beunruhigen. Mir blieb genügend Zeit, meine Meinung über die christliche Seefahrt zu ändern.
Am dritten Tag fühlte ich mich wieder stark genug, aufzustehen und auf Erkundung zu gehen. Die Mannschaft war freundlich und behandelte mich keineswegs wie den letzten Dreck.
Als ich die Kuhl betrat, schien zwar die Sonne, doch ein unangenehm kalter Nordostwind herrschte. Die See lag ruhig, nur ein paar helle Schaumkronen waren zu sehen, und achteraus zeichnete sich wolkenverhangen die afrikanische Küste ab.
Unwillkürlich suchte ich die Kimm nach fremden Segeln ab, doch die „Good Luck“ war allein und blieb es den ganzen Tag über. Kein Spanier versuchte, uns zu kapern.
Beim abendlichen Backen und Banken, das ich erstmals im Kreis der Mannschaft genoß, erwähnte